Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Die Stunde der Originale

Deutschland hat bei der Industrie-Digitalisierung noch Chancen. Immerhin gibt es genügend Leitindustrie, die den Brückenschlag zu Forschung und Start-ups schaffen kann, findet Telefónica-Chef Thorsten Dirks.

Von Elisabeth Dostert, Berlin

"Müssen" ist ein Wort, das Thorsten Dirks, Chef von Telefónica Deutschland, sehr häufig benutzt. Seit er Präsident des Branchenverbandes Bitkom ist, vielleicht noch etwas mehr. Er benutzt das Wort so oft, dass es schon bedrohlich wirkt. Es geht um viel. Im Wettlauf um die digitale Transformation hat Europa schon einige Rennen verloren. "Wir haben hier keine horizontale Plattform wie Amazon oder Google", sagt Dirks: "Alle konsument-nahen Plattformen sind in den USA, oder, weil der Heimatmarkt so groß ist, wie Alibaba und Baidu in China."

Es gibt ein Rennen, das könnte Europa gewinnen. "Wir müssen es schaffen, unsere Leitindustrie zu digitalisieren", sagt Dirks. Es ist eine Aufforderung an alle: Unternehmen, Geldgeber, Politik, die Forschung. Die Heimat des großen "Wir" sollen digitale Hubs sein. So stellt sich das Dirks vor und auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Beim IT-Gipfel in Saarbrücken haben sie gerade ihre Digital-Hub-Initiative vorgestellt. Im Silicon Valley, sagt Dirks, haben sie es doch auch geschafft, die IT-Industrie, die schon immer da gewesen sei, mit Forschung, Universitäten und Venture Capital zusammenzubringen. Daraus sind Start-ups und ein digitales Ecosystem entstanden.

"Wir haben hier genügend Originale. Wie haben genügend Leitindustrie: die Autoindustrie, den Maschinenbau, Pharma und Logistik", sagt Dirks. Das Drehkreuz für Mobilität soll an der TU München entstehen. "Den Brückenschlag zwischen Start-ups und Konzernen haben wir in Deutschland noch nicht geschafft", beklagt er. Der Erfolg im Automobilbau werde nicht mehr darin liegen, das Spaltmaß noch zu optimieren. Es gehe darum, Mobilitätsangebote zu entwickeln, "jenseits des Autos". Dazu sind Hubs nötig. Dieser Gedanke ist nicht neu. Es gibt bereits Cluster, wie das für Mechatronik in Augsburg, von dem Kuka-Vorstandschef Till Reuter erzählt. "Wir pflegen dort seit Langem die Beziehung zwischen Universitäten, kleinen und großen Unternehmen. Wir versuchen, ein Robo-Valley um Kuka herum aufzubauen." An dem Roboterhersteller Kuka hält der chinesische Hausgerätehersteller Midea etwa 95 Prozent. Die Offerte hatte im Sommer einen kurzen, aber heftigen Sturm ausgelöst. Bundeswirtschaftsminister Gabriel und EU-Kommissar Günther Oettinger befürchteten den Ausverkauf deutscher Spitzentechnologie. Kuka wurde zum Symbol für die Industrie 4.0, die Digitalisierung der Produktion.

Um diese zu bewältigen, müssen in den Hubs auch unterschiedliche Welten ganz anderer Art zusammengeführt werden: die der Mechatronik und die der Daten. Noch sprechen sie nicht die gleiche Sprache. "Wir müssen es schaffen, global die richtigen Stärken zu kombinieren": Die IT-Kompetenz der USA mit der Ingenieurskunst aus Deutschland, das Engineering, und Chinas Stärke als Produktionsstandort. Im industriellen Internet hat Deutschland gute Chancen, ist sich Reuter sicher.

Selbst Dirks klingt manchmal optimistisch. "Wir werden sehen, dass Rechenzentren wieder nach Deutschland verlagert und Daten nicht mehr in den USA verarbeitet werden", weil für industrielle Anwendungen Reaktionszeiten des Netzes im Millisekundenbereich nötig seien. Da müsse die Datenverarbeitung nahe am Sensor erfolgen. "Wir müssen uns intensiv mit diesen Anforderungen beschäftigen." Da ist es wieder, ein sehr großes Muss.

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SZ vom 19.11.2016
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