Digitalisierung:Bitte mit BIM

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Komplizierte Konstruktionen wie die vom Architekten Piet Blom entworfenen Kubushäuser in Rotterdam erfordern eine gute Planung. (Foto: Andrea Warnecke / dpa)

Architekten und Handwerker könnten sich durch die Digitalisierung viel Arbeit ersparen. Doch die Branche tut sich schwer mit der Umsetzung.

Von Lea Weinmann

Wer früher etwas bauen wollte, der nahm Papier und Tuschestift zur Hand und begann, zu zeichnen. Auf dem Reißbrett entstand erst einmal eine abstrakte Version dessen, was später das eigene Heim, das Bürogebäude oder die neue Brücke sein sollte. Computer und spezielle Konstruktionsprogramme nehmen den Planern das händische Zeichnen zwar schon lange ab, aber immer noch arbeitet man am Bau hauptsächlich mit zweidimensionalen Plänen, mit Abrechnungen und Ausschreibungen auf Papier. Doch das dürfte sich in den kommenden Jahren drastisch ändern. Die Digitalisierung ist dabei, die Branche gehörig umzukrempeln - im Bauwesen hört sie auf den Namen "BIM" (Building Information Modeling).

BIM ist eine Methode des vernetzten Arbeitens. Damit wird versucht, alle für den Bauprozess relevanten Informationen digital zu bündeln. Branchenakteure sprechen oft von einem "digitalen Zwilling", der virtuell entsteht und exakt das abbildet, was zukünftig gebaut werden soll. "Bei den immer komplexeren Projekten behält man so einen besseren Überblick - und zwar unabhängig von einzelnen Mitarbeitern wie einem Projektleiter", sagt German Haimerl. Das Büro des Münchner Architekten arbeitet seit fünf Jahren mit BIM. Als Student habe der 52-Jährige Türen gleicher Bauart für die Ausschreibung noch selbst zusammenzählen müssen - die neuen Softwarelösungen nehmen ihm das ab.

Fatale Planungsfehler könnten leichter vermieden werden

Manche bezeichnen BIM auch als "5-D-Planung", denn zusätzlich zum dreidimensionalen Modell werden auch die Faktoren Kosten und Zeit miteinbezogen. Mengen, Materialkosten und Zeitabläufe berechnen sich automatisch. Dadurch bleibt den Planern sehr viel Rechnerei erspart: Wie verändern sich die Kosten, wenn ich einen anderen Bodenbelag wähle? Wie wirkt es sich auf den Energiehaushalt des Gebäudes aus, wenn ich das Material der Fassade ändere? Wie viel ist das Haus insgesamt wert? Virtuell berechnet sich das Objekt also von alleine - bleibt die Kreativität da nicht auf der Strecke?

"Im Gegenteil", sagt Architekt Haimerl. Er habe eher mehr Zeit für den kreativen Teil seiner Leistung. "Die meisten wollen Architekt werden, weil sie eine kreative Ader haben, aber der Großteil des Tagesgeschäfts besteht aus Messungen, Verträgen, Ausschreibungen." All das ließe sich mit BIM weitestgehend automatisieren.

Auch für den Bauherrn hat die Methode Vorteile: Dank Virtual Reality kann er künftig schon vor Baubeginn durch sein Haus schreiten; digitale Planung ermöglicht ihm eine genauere Kostenkalkulation und Planungssicherheit. Noch wird BIM vor allem bei Großbauprojekten angewandt, aber irgendwann könnte auch der private Hausbauer mit einem "digitalen Zwilling" arbeiten.

Die Methode soll alle Schritte des Bauprozesses miteinander verknüpfen. So legt die Software beispielsweise die Pläne von Haustechniker und Statiker übereinander und nicht - wie bisher - nur nebeneinander. Kollisionen etwa von Rohren und Leitungen sind damit schneller und verlässlicher erkennbar. Fatale Planungsfehler, wie es sie zuletzt bei Großprojekten wie der Elbphilharmonie oder dem Berliner Flughafen gegeben hat und gibt, könnten leichter vermieden werden. Letzten Endes sollen alle an einem Modell arbeiten: Der Architekt, der Planer, der Bauingenieur, der Fliesenleger und später sogar der Hausmeister - so zumindest die Überlegung.

In den Planungsbüros und auf den Baustellen Deutschlands tut man sich damit aber noch schwer. Architekt German Haimerl und andere Pioniere sind mit der neuen Planungsmethode noch weitgehend allein auf weiter Flur. Während sich BIM in Großbritannien, den skandinavischen Ländern, in den USA und Kanada schon seit Jahren als Standard etabliert hat, verwenden es hierzulande gerade einmal 29 Prozent der Akteure der Baubranche. Das ergab eine Studie im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft zum Thema Digitales Planen und Bauen im Januar 2018. Bei einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC von März 2018 gaben sogar nur elf Prozent aller befragten Unternehmen an, BIM einzusetzen. In beiden Studien ist von einem deutlichen Ausbaupotenzial die Rede.

BIM-Vorreiter sind die Architekten, auch große Bauunternehmen sind schon gut aufgestellt; die mittleren und kleinen Baubetriebe hinken hinterher - die machen allerdings mehr als 99 Prozent der Branche aus.

Solange nur einzelne Akteure mit BIM arbeiten, zahlt sich der Nutzen der Methode nicht aus. Das Büro von Architekt Haimerl plane seine Projekte zwar dreidimensional, nach der Ausschreibung verlangten die Bauunternehmen momentan aber nicht nach einem Modell, sondern nach den altbekannten Grundrissen. "Da geht es schon los", sagt der Architekt mit einer Spur Resignation in der Stimme. Auch die Abrechnung stellten die Betriebe selbst aus, anstatt auf die Informationen aus BIM zurückzugreifen. Für Haimerl und seine Kollegen bedeutet das dann: doppelte Arbeit.

Bei der Frage, wer sich zuerst bewegen muss, schieben sich die Unternehmen gegenseitig den Schwarzen Peter zu: Während einige Architekten die Bauunternehmen in der Pflicht sehen, argumentieren die Baubetriebe, die Planer seien am Zug: "Solange die Planer zweidimensionale Pläne liefern, werden die allermeisten Bauunternehmen zweidimensional arbeiten", sagt Regine Maruska vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB). Der Verband vertritt insbesondere die kleinen und mittelständischen Betriebe. Nur für die Bauausführung lohne sich die Umwandlung in ein 3-D-Modell nicht, so Maruska.

"Kein Unternehmen wird massiv digitalisieren, wenn schon die E-Mails hängen."

Dass die Digitalisierung am Bau nur schleppend vorwärtsgeht, hat viele Gründe - letzten Endes kämpft das Bauwesen aber mit den Schwierigkeiten, die am Anfang jeder branchenverändernden Arbeitsweise stehen: fehlende Standards, Kinderkrankheiten der Software und Innovationsskepsis. Deshalb macht die Politik jetzt Dampf: Die Bundesregierung hat 2015 einen Plan für die stufenweise Einführung von BIM bei öffentlichen Bauprojekten vorgelegt. Der Plan umfasst Pilotprojekte und stellt "Fördermittel in Millionenhöhe" in Aussicht, mit denen Standards, Leitfäden und Muster erarbeitet werden sollen. Von 2020 an soll die Methode dann in allen Projekten zur Anwendung kommen, die im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums liegen - das betrifft in erster Linie Infrastrukturprojekte.

ZDB-Mitarbeiterin Maruska sieht in diesen Pilotprojekten eine "wichtige Vorbildfunktion". Die kleinen und mittelständischen Betriebe warten "in gewissem Umfang auf die Aktion der öffentlichen Hand als wegweisendem Auftraggeber der Branche", sagt sie. Zuerst eigene Standards zu entwickeln, die am Ende doch angepasst werden müssten - das sei für die kleinen Unternehmen viel zu riskant und kostspielig. Hinzu komme der Fachkräftemangel, dem volle Auftragsbücher gegenüberstehen: Die Unternehmen haben alle Hände voll zu tun, sind chronisch unterbesetzt - und dann sollen sie sich noch um die Digitalisierung kümmern? Es sei falsch zu sagen, das Baugewerbe sperre sich, so Maruska. Nur fehlten eben die Zeit und das Geld.

Hinzu kommt, dass der Markt von BIM-fähigen Softwarelösungen geradezu überschwemmt wird. Die greifen aber lange noch nicht so gut ineinander, wie sie sollten. Arbeiten zwei Unternehmen mit unterschiedlicher Software, können beim Datenaustausch Informationen verloren gehen - das sorgt für noch mehr Misstrauen. Auch rechtliche Fragen sind noch offen, etwa beim Urheberrecht und dem Honorar der Architekten, das den Aufwand der BIM-Modellierung noch nicht mitrechnet.

Und selbst wenn jedes Bauunternehmen sofort umstellen würde, bliebe ein Problem übrig, sagt Regine Maruska: Unsere Netze könnten die großen Datenmengen nicht stemmen. "Kein Unternehmen wird massiv digitalisieren, wenn schon die E-Mails hängen." Deshalb fordert die Branche von der Politik, den Netzausbau endlich voranzutreiben. Bis es so weit ist, müssen alle Unternehmen der Wertschöpfungskette lernen, sich als Team zu verstehen. Ihre Arbeit wird sich durch BIM verändern, die Methode erfordert interdisziplinäres Arbeiten, also mehr Kommunikation und weniger Alleingänge. Das beginnt schon in der Ausbildung. "Dass Architekten und Bauingenieure an der Universität zusammenarbeiten, mag für den Laien selbstverständlich klingen", so Maruska. "Das ist aber nicht die Realität."

Kleinen und mittelständischen Betrieben rät die Verbandsvertreterin, "am Ball zu bleiben" und sich zu informieren. Nicht jeder Bauunternehmer müsse programmieren, aber sehr wohl mit einem digitalen Modell umgehen können. BIM wird der neue Standard, da sind sich alle in der Branche einig. Das Schlimmste wäre, das Thema zu ignorieren und zu hoffen, dass es "irgendwann weggeht", sagt Regine Maruska, denn: "BIM ist keine Wolke, die einfach an uns vorüberzieht."

© SZ vom 15.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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