Digitalisierung:Alles schon digital?

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Schon ein Laptop macht die Firma digital. (Foto: mauritius images)

Nicht für alle Firmen ist es sinnvoll, Betriebsabläufe zu digitalisieren. Manche kommen auch ohne E-Mail und soziale Medien ganz gut aus.

Von Marcel Grzanna

Schon E-Mails machen ein Unternehmen per Definition digital. Aber digitale Lösungen müssen nicht automatisch die besten sein. Entscheidend ist die konsequente Überprüfung aller Unternehmensabläufe.

Digitalisierung ist in aller Munde, aber längst noch nicht in aller Köpfe. Während sich die großen Konzerne als Vorreiter wähnen, stellen sich die Verantwortlichen in kleinen Unternehmen, die sich nur langsam an technische Neuerungen herantasten, irgendwann die Frage: Ist mein Unternehmen eigentlich schon digital? Rein formell lautet die Antwort in den allermeisten Fällen: Ja. Denn wer beispielsweise mit seinen Kunden per E-Mail kommuniziert, ist per Definition schon digitalisiert. Aber natürlich ist es damit nicht getan. Digitalisierung ist mehr als E-Mail und Software. Sie ist auch eine Frage der Mentalität.

"Bei der Digitalisierung geht es um viel mehr als die Umwandlung von analogen Prozessen in digitale Prozesse", sagt Barbara Engels vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Drastischer drückte es einst der frühere Vorstandschef von Telefonica Deutschland, Thorsten Dirks, aus: "Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess", sagte Dirks. Im Kern beschreiben beide Aussagen das gleiche Dilemma. Ein Unternehmen wird nicht automatisch davon profitieren, wenn es zum Beispiel Kundenpflege und Marketing über soziale Medien betreibt oder sich neue Softwareprogramme zur Abwicklung seiner Buchhaltung anschafft.

"Alle Prozesse müssen auf den Kopf gestellt werden. Unternehmen müssen sich die Frage stellen, wie sie diese Prozesse verbessern können, wenn sie digitalisieren", sagt Forscherin Engels. Die Prüfung der Abläufe bildet die Basis für eine erfolgreiche Umwandlung. "Wenn sich eine bloße Spiegelung analoger Prozesse in die digitale Welt als optimale Lösung entpuppt, dann ist das in Ordnung. Digitalisierung soll keinen Selbstzweck erfüllen", sagt sie.

Ein Schreiner zum Beispiel macht Werbung für seine Dienste auf seinem Kastenwagen, mit dem er durch die Stadt tingelt. Terminabsprachen nur telefonisch, steht unter der Handynummer. Wohl dem, der fix ein Foto mit seinem Smartphone schießen kann, wenn der Wagen an der Ampel für ein paar Sekunden zum Stehen kommt. Solange der Schreiner jedoch ausreichend Aufträge erhält, weil ihn seine zufriedenen Kunden seit Jahren über Mund-zu-Mund-Propaganda weiterempfehlen, wird sich dem Mann kaum erschließen, weshalb er den Kundenkontakt digitalisieren sollte. Bleibt er also bei seinem Kastenwagen mit Aufdruck als einzigem Werbeträger, gibt es eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat.

Digitalisierung muss Sinn ergeben, indem sie Effizienz schafft und dadurch Umsätze eines Betriebes erhöht oder die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Wenn sie dem Handwerker nur mehr Arbeit aufhalst, weil er ständig sein E-Mail-Fach leeren muss, ohne damit mehr Geld zu verdienen, kann er sich die @-Adresse wohl sparen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass neue technische Möglichkeiten kategorisch für ihn überflüssig sind. Vielleicht wäre es sinnvoll für den Schreiner, seine Buchhaltung künftig mit einer Nutzersoftware zu organisieren. Er könnte möglicherweise viel Zeit sparen durch deren Einsatz und diese Zeit dazu nutzen, um einen weiteren Auftrag im Monat anzunehmen oder einfach etwas mehr frei zu machen.

Bei der Überprüfung von Firmenabläufen und der Sinnhaftigkeit einer Transformation ins Digitale können Berater helfen. Ein großes Problem aber bleibt die Digitalisierung der Köpfe. "Vielen Kolleginnen und Kollegen in Unternehmen, Redaktionen und Agenturen fehlt es in dramatischer Weise an digitalem Know-how. Einfach deshalb, weil sie es in den vergangenen Jahren nie gebraucht und deshalb im Daily Business auch keinen Bedarf zur Weiterentwicklung gesehen haben", schreibt Karsten Lohmeyer in seiner Kolumne bei Lead-Digital.de.

Lohmeyer war früher Chief Content Officer der Telekom-Tochter The Digitale und erlebte die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit aus nächster Nähe. Der Bedarf ist inzwischen da. Nicht nur bei den großen Akteuren, sondern zunehmend auch bei vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen. Das Bundeswirtschaftsministerium berichtet in seinem Jahresreport 2017, Wirtschaft Digital: "Rund 60 Prozent der Unternehmen sind mit ihren Geschäftskunden digital vernetzt. Um die Digitalisierung voranzutreiben, arbeiten 20 Prozent der Unternehmen mit Partnern aus der eigenen Branche zusammen, 15 Prozent auch branchenübergreifend."

Mehr und mehr entwickelt sich Digitalisierung zu einer Selbstverständlichkeit, über die sich die Firmen zum Teil bereits intensiv austauschen.

"Die Bereitschaft zum Wandel im Kopf ist noch nicht überall gleich stark ausgeprägt. Hie und da wird auch noch sehr viel kosmetisch gemacht", sagt Forscherin Engels. Manchmal führten Unternehmen nur punktuell technologische Prozesse ein und fühlten sich damit schon sehr digital. Dabei ist Digitalisierung nie wirklich abgeschlossen, sondern ein fortlaufender Prozess. Weiterentwicklungen von Software verlangen auch von Unternehmen immer wieder neue Überprüfungen des Status quo und bei Bedarf auch Anpassungen.

Die Hemmnisse für eine breite Akzeptanz der neuen Möglichkeiten sind auch eine Generationenfrage, die mit diffusen Ängsten zu tun hat. Häufig geht es um die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz. Ängste können auch die Konsequenz von Nichtwissen sein. Viele Angestellte sehen in der Digitalisierung zum Beispiel auch das Ende jeden realen Kontakts mit den Kunden auf sich zukommen, was sie mit Widerwillen wahrnehmen. Experten sind sich jedoch sicher, dass sowohl der Handel als auch fertigende Unternehmen immer auch analog ansprechbar bleiben müssen, um dem Kunden die Wahl zu geben.

Zudem schließt Digitalisierung die Rückführung einzelner Prozesse oder Firmenbereiche ins Analoge nicht aus. Gerade die Angst vor Datenklau bringt viele Firmen ins Grübeln, wie sicher ihre Betriebsgeheimnisse wirklich sind. Manche haben deshalb damit begonnen, ihre Kronjuwelen, also in der Regel das Know-how ihrer Fertigung, fernzuhalten von jedem Kontakt zu Computern und Internet.

© SZ vom 18.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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