Digitalisierte Kaufhäuser:Einkaufen mit Navi

Einkaufszentrum wird eröffnet

Wer sich wohl fühlt, bleibt länger und kauft auch mehr: ECE-Einkaufszentrum in Essen.

(Foto: dpa)

Im Straßenverkehr haben wir uns längst daran gewöhnt, dass uns das Navigationssystem sagt, wo es langgeht. Das geht jetzt auch beim Einkaufen. Mit einer virtuellen Shopping-Assistentin versucht ein Einkaufszentrum in Essen, Kunden zurückzugewinnen. Auch solche, die lieber online bestellen.

Von Stefan Weber, Düsseldorf

Gloria sieht an diesem Tag etwas abweisend aus. Die kurzen blonden Haare sind akkurat frisiert; nicht eine Strähne fällt in ihr blasses Gesicht. Sie trägt eine klassische blaue Bluse und ein weißes Kostüm. "Kommen Sie ruhig näher", fordert sie freundlich jeden auf, der sich auf zwei, drei Meter herangetraut hat. Vielen Besuchern des Essener Einkaufszentrums Limbecker Platz, in dem Gloria arbeitet, ist sie dennoch nicht geheuer. Sie gehen an ihr vorbei. Gloria ist kein Mensch. Ihre Job-Beschreibung heißt "virtuelle Shopping-Center-Führerin", manche nennen sie einen "Mall Avatar", eine virtuelle Person. Die muss viel wissen über das größte innerstädtische Einkaufszentrum in Deutschland. Über einen Touch-Screen lässt sich die Blondine, die jeden Tag in anderen Kleidern auf dem Bildschirm erscheint, befragen. Welche Angebote die mehr als 200 Läden im Center gerade bereithalten, wo sich welches Geschäft befindet oder auch nur, wie das Wetter morgen wird. Meist weiß Gloria eine Antwort.

Die virtuelle Shopping-Center-Führerin gehört zu einem Experiment, das die Hamburger ECE-Gruppe derzeit durchführt, ein Tochterkonzern der Unternehmerfamilie Otto und Europas größter Betreiber von Shopping-Centern. ECE hat das 70.000 Quadratmeter große Ladenzentrum am Limbecker Platz und das ebenfalls von ihr betriebene, ein wenig kleinere Hamburger Alstertal-Einkaufszentrum zu "Zukunftslaboren" ernannt: Hier wollen die Center-Manager herausfinden, wie die Zukunft des Einkaufens aussehen wird. Vor allem will ECE wissen, wie sich Verbraucher weiterhin für Einkäufe in Shopping-Centern begeistern lassen - obwohl Online-Händler sie immer stärker locken. Gelingt das nicht, kann es schnell vorbei sein mit der glitzernden Konsumfreude in Einkaufszentren. Damit wäre auch das Geschäftsmodell von ECE bedroht.

Anteil der Internet-Einkäufe steigt

In diesem Jahr werden die Deutschen für 33 Milliarden Euro im Netz einkaufen, schätzt der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) - ein Plus von zwölf Prozent gegenüber 2012. Dagegen wären Ladenbetreiber in den Städten schon froh, Ende Dezember genauso viel Geld eingenommen zu haben wie im Jahr zuvor. Und der Anteil der Internet-Verkäufer am gesamten Einzelhandelsumsatz wird von heute etwa sieben Prozent weiter steigen, auf zehn Prozent mit Sicherheit. Vielleicht auch auf 15 oder gar 20 Prozent, wie manche Experten prognostizieren.

Lässt sich dieser Trend überhaupt stoppen? Kaufen Jugendliche, die mit dem Internet aufgewachsen sind, nicht ohnehin lieber mit dem Smartphone im Netz als im Laden ein? Und verkommen Geschäfte damit zum Vorführungsraum für Online-Händler? Kommt darauf an, wer diese Fragen beantwortet. Eine Studie des Online-Kaufhauses Ebay beispielsweise sagt Ladenbetreibern eine düstere Zukunft voraus. Ähnlich erwartbar ist, dass eine von ECE und der Beratungsfirma Roland Berger durchgeführte Untersuchung eine andere Entwicklung erwartet. Der stationäre Handel habe auch künftig seine Chancen, heißt es da. Vorausgesetzt, es gelinge ihm, besser zu verstehen, wer seine Kunden sind - und was sie tatsächlich wollen. Dann ließen sich Ideen entwickeln, wie Ladenkonzepte sinnvoll mit Online-Angeboten zu verbinden sind, schreiben die Autoren. Und dann hätten auch Offline-Händler ihre Perspektiven.

Klar ist: Die Zukunft des Verkaufens ist so vielschichtig wie nie zuvor. Und klar ist auch: Der stationäre Handel muss sich umstellen, und zwar schnell. Ladenbetreiber müssten sich an die geänderten Einkaufsgewohnheiten der Kunden anpassen, heißt es in der Untersuchung von Roland Berger und ECE. Sie müssen die reale Welt mit der virtuellen verknüpfen. Denn die Kunden pendeln in ihrem Einkaufsverhalten immer öfter zwischen Einkaufszentrum und Internet.

Modetipps vor Ort

ECE versucht daher in seinen Zukunftslaboren herauszufinden, was Ladenbetreiber und damit auch Center-Manager von Online-Händlern lernen können. Vor allem: Daten nutzen. "Wichtig ist, mehr über die Kunden zu erfahren. Dann können wir sie zum richtigen Zeitpunkt gezielt ansprechen", sagt Alexander Crüsemann, Projekt-Manager bei ECE. Gelingen soll das zum Beispiel mithilfe einer neu entwickelten Applikation für Smartphones: Registriert sich ein Kunde bei der App, werden Alter, Geschlecht und seine Interessen abgefragt. Nähert er sich künftig dem Einkaufszentrum auf 300 Meter, erhält er individuelle Angebote auf sein Handy. "Eine solche Kundenansprache ist sehr viel preiswerter und zielgenauer als beispielsweise eine Anzeige", betont Oliver Kraft, Manager des Centers am Limbecker Platz.

Nur: Es müssen sich möglichst viele Menschen für eine solche App registrieren lassen, damit sie sich lohnt. Noch ist das Interesse gering. Zahlen mag Kraft nicht nennen. "Wir haben gerade erst begonnen, die Werbetrommel zu rühren", sagt er. Die ECE-Manager versuchen, das Interesse an der App mit allerlei Verlockungen zu steigern. So lassen sich mit dem Programm Punkte sammeln, die in Einkaufsgutscheine getauscht werden können.

Sind die Kunden einmal drin im Shopping-Center, sollen sie sich zurechtfinden. Das ist zumindest in Essen nicht einfach. Bei mehr als 200 Geschäften auf über dreieinhalb Stockwerken geht leicht schon einmal die Orientierung verloren. Gloria kann helfen. Auch ein sogenanntes Info-Gate, das aussieht wie ein großer Fahrkartenautomat samt überdimensioniertem Bildschirm. Ein Knopfdruck, und schon bietet eine freundliche Servicekraft in einem Video-Stream ihre Hilfe an. Wer nach dem Weg fragt, bekommt die kürzeste Strecke zum Ziel über ein 3-D-Wegleitsystem angezeigt. Oder auch ausgedruckt. Oft wird das wohl noch nicht benutzt. "Entschuldigung, Sie sind der erste Nutzer heute. Der Drucker ist noch nicht in Betrieb", sagt eine Mitarbeiterin zur Mittagszeit.

Wer sich in den Ladenstraßen wohl fühlt, bleibt länger - und das erhöht die Chance, dass die Menschen auch einkaufen, sagen sich die Center-Manager. Und bieten deshalb Kurzweiliges an allerlei High-Tech-Stationen: Am "Photobuzzer" beispielsweise können Kunden Bilder vom gerade erworbenen T-Shirt machen und sie dann gleich den Facebook-Freunden schicken. Ein paar Schritte weiter findet sich die "Mall Wall", ein vier mal vier Meter großer Bildschirm, den die Besucher mit Berührungen steuern und sich Modetipps abrufen oder zwischen zwei Einkäufen Spiele spielen können.

13 Monate nimmt sich ECE Zeit, die digitalen Service-Angebote zu testen. Das Budget beträgt 1,3 Millionen Euro und wird auch von Mietern und Investoren finanziert. "Was bei den Kunden ankommt, wird weiterverfolgt und auch in anderen Centern eingesetzt", sagt Crüsemann. Was floppt, fliegt aus dem Programm. Ganz nach dem Prinzip Versuch und Irrtum.

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