Süddeutsche Zeitung

Digitales Radio:Abschalten für den Fortschritt

UKW-Frequenzen bremsen den Markt der Digitalradios. Der Wirtschaftsminister sieht die Zukunft der Standortes Deutschland bedroht. "Wir sind bekanntermaßen Spezialisten im Versäumen von Technologien", warnt Wolfgang Clement.

Von Klaus Ott

(SZ vom 22.10.03) — Der Transrapid sei hier entwickelt worden, jetzt fahre er aber in China. Die Technik für das digitale Radio stamme ebenfalls aus Deutschland, "und wenn wir nicht aufpassen, wird auch sie nicht bei uns praktiziert".

Kritik von Clement

Clement kritisiert Industrie, Sender und die Bundesländer, die das Mitte der neunziger Jahre eingeführte Digital Audio Broadcasting (DAB) nur zögernd einsetzten. "Es wäre gut, wenn alle Beteiligten ein bisschen mehr Tempo zeigen", fordert der Minister.

Das Gegenteil ist der Fall. Der digitale Hörfunk, der beim Start Mitte der neunziger Jahre von Politikern, Industriellen und Senderchefs als technische Revolution gefeiert wurde, könnte bald ein Auslaufmodell sein. Die neue Technik schafft im Äther Platz für viele zusätzliche Programme, und das noch dazu in CD-Qualität.

Digitale Geräte zu teuer

Doch nur wenige Verbraucher werfen ihre alten UKW-Radios weg und steigen auf die im Durchschnitt 250 bis 500 Euro teuren DAB-Empfänger um. Die Hoffnung von Elektronik-Konzernen wie Siemens, Sony oder Blaupunkt auf einen neuen Massenmarkt mit Milliardenumsätzen haben sich nicht erfüllt.

Jetzt tritt die Gebührenkommission der Länder, die über die Finanzen von ARD und ZDF wacht, auf die Bremse. Die Landtage sollen den ARD-Anstalten wie dem Bayerischen Rundfunk von 2005 an keine neuen Mittel aus der Rundfunkgebühr für den digitalen Hörfunk bewilligen, schlagen die Sparkommissare vor (die SZ berichtete).

250 Millionen Euro wurden investiert

Mit den hohen Subventionen für DAB soll bald Schluss sein. 250 Millionen Euro haben Bund, Länder und die EU in den Aufbau des digitalen Sendenetzes in Deutschland investiert, geholfen hat es wenig. Die gut 125 DAB-Kanäle haben nur einige zehntausende Hörer.

Für den technischen Stillstand gibt es viele Gründe. Den meisten Hörern genügen die vielen UKW-Programme von Bayern 3 bis hin zum Deutschlandfunk, die nahezu alles bieten: Rock und Pop, Sport und Nachrichten, Jazz, Klassik und andere Spartensender. Auch der Unterschied bei der Klangqualität ist oft kaum noch zu hören.

Mangel an Hörern

Möglicherweise müsse man nicht nur die Empfangsgeräte, sondern "auch noch die Ohren austauschen", spottete ARD-Chef Jobst Plog vor einiger Zeit bei einer Anhörung im sächsischen Landtag. Mangels Hörern und Werbeerlösen steigen mehr und mehr Privatradios aus DAB aus oder drängen darauf, für ihre Digitalprogramme UKW-Frequenzen zu erhalten.

Die Rock Antenne, ein Ableger der Antenne Bayern, kostet immerhin 1,5 Millionen Euro im Jahr. Und die Industrie beginnt nicht mit der Massenproduktion von DAB-Radios, solange deren Absatz nicht sicher ist. Also bleiben die meisten Geräte teuer.

Er kenne nur einen bekannten Empfänger zu halbwegs erschwinglichen Preisen, sagte Rainer Conrad, der Chef der Gebührenkommission, bei der Anhörung in Sachsen.

400 bis 500 Millionen UKW-Radios

Doch 90 Prozent der Käufer wüssten gar nicht, dass es sich um ein DAB Radio handele. "Sie kaufen es wegen anderer Vorteile, die mit dem UKW-Empfang verbunden sind." 400 bis 500 Millionen UKW-Radios gibt es in Deutschlands Haushalten.

Bis die durch (eines Tages vielleicht erhältliche) billige Digital-Geräte ersetzt seien, werde es Generationen dauern, glaubt der Intendant des Deutschlandradios, Ernst Elitz.

Die Politik sei gefordert, sagt ARD-Chef Plog. "Sie muss sich zutrauen, einen Endtermin zu setzen", also die Abschaltung der UKW-Frequenzen zu verfügen. Nur dann sei der Umstieg auf DAB zu schaffen, betont Plog.

Beim digitalen Fernsehen funktioniert das. In West- und Norddeutschland werden die alten, analogen Sendemasten aus dem Betrieb genommen. Aber das Digital-TV hat auch schon mehrere Millionen Zuschauer.

Unverständnis bei den Verbrauchern

Beim Radio sei keinem Verbraucher klarzumachen, warum er sich DAB leisten solle, sagt Gebührenchef Conrad. Es wolle aber auch niemand für das Ende des Digitalradios verantwortlich sein.

Conrad spricht von einer "heißen Kartoffel". Es werde jemand gesucht, der diese Kartoffel zerquetsche und sich daran die Finger verbrenne.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.917069
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.