Süddeutsche Zeitung

Digitaler Impfpass:Das Handy erinnert an die Spritze

Das Gesundheitsministerium will den digitalen Impfpass. Erste Anbieter sind auf dem Markt.

Von Marcel Grzanna

Der Impfpass zählt zu den wichtigen Dokumenten, die immer dann nicht aufindbar sind, wenn man sie gerade benötigt. Die meisten Leute finden ihn zwar dann doch irgendwo zwischen alten Gehaltsabrechnungen und Bescheinigungen der Krankenkasse wieder. Doch etwa jeder vierte Impfausweis in Deutschland bleibt verschollen. Und das ist problematisch. Denn mit der stringenten Dokumentation von Impfungen gehen auch die Erinnerungen an die nächsten Pflichttermine verloren.

Der Verlust kann gefährlich werden für die Gesundheit des Patienten, wenn er sich ahnungslos und ohne Schutz in Risikogebieten für bestimmte Krankheiten aufhält. 26 Erreger sind es, gegen die in Deutschland geimpft werden kann, darunter exotische wie Cholera, Typhus oder Gelbfieber. Bis zu 21 Impfungen werden empfohlen, um zum Beispiel Masern, Mumps oder Windpocken, aber auch die Grippe vorbeugend zu bekämpfen oder um Risikogruppen besser zu schützen.

Mehr noch verursachen verlorene Impfausweise großen volkswirtschaftlichen Schaden. Die Gesellschaft zur Förderung der Impfmedizin (GZIM) aus Berlin schätzt die Summe auf rund 200 Millionen Euro jährlich, die die gesetzlichen Krankenkassen zusätzlich aufbringen müssen, weil das gelbe Heftchen abhanden gekommen ist. Wer nicht belegen kann, eine Präventivspritze gegen den Ausbruch einer bestimmten Krankheit bereits bekommen zu haben, wird auf Empfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) einfach noch einmal gepikst - auf Kosten der Beitragszahler.

Die GZIM verspricht, Ordnung ins Chaos zu bringen. Der Firmengründer und Reisemediziner Hans-Jürgen Schrörs sitzt in seinem Büro zwischen einem selbstkreierten Graffiti-Mix Marke Berliner Mauer an der einen und einem großen Leinwand-Porträt von Che Guevara an der anderen Wand. Schrörs dringt auf eine digitale Lösung, die künftig verhindern soll, dass die Impfnachweise verloren gehen. Sein Unternehmen hat dafür einen digitalen Impfpass entwickelt, der von Ärzten und Apotheken trotz verschiedener Softwaresysteme gleichermaßen einsehbar ist und der daran erinnert, wann es Zeit wird für die nächste Spritze. Die Impfdaten werden synchronisiert, und der Arzt kann eine elektronische Unterschrift leisten. Lästiger Papierkram fällt weg.

Die Idee dahinter ist nicht nur die Verknüpfung der Impfpassdaten aller Patienten mit der Arztsoftware, sondern auch ihre Auswertung und nachhaltige Speicherung. Es geht zudem darum, Fehlerquellen auszuschalten. Ärzte bekommen einen elektronischen Leitfaden an die Hand, der ihnen hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Patienten werden über eine Applikation (App) auf ihrem Mobiltelefon an den nächsten Termin erinnert.

Die GZIM bietet nach eigenen Angaben ein rundum kopplungsfähiges Produkt an. "Die Software ist mit allen nötigen Schnittstellen ausgestattet, um sie an jede elektronische Patientenakte koppeln zu können. Es wird endlich Zeit, dass wir diesen Schritt gehen, um flächendeckende Erinnerungssysteme zu garantieren und Kosten durch nachhaltige Speicherung der Impfdaten zu sparen", sagt Schrörs.

Der Gesetzgeber muss festlegen, wer die Impfdaten einsehen darf

Die rechtlichen Grundlagen dafür könnten schon bald geschaffen sein. Das Bundesgesundheitsministerium bastelt derzeit am Entwurf eines Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation, das sogenannte Digitale Versorgung-Gesetz (DVG). "Technische und strukturelle Möglichkeiten sowie damit verbundene Verbesserungspotenziale für die Versorgung werden nicht ausreichend genutzt", heißt es im Referentenentwurf, der Anfang Juli im Kabinett bereits abgesegnet wurde und jetzt noch durchs Parlament muss. Eine alternde Gesellschaft, mehr chronisch Kranke, der Fachkräftemangel und die Unterversorgung in strukturschwachen Regionen verlangten von moderner Gesundheitsversorgung innovatives Denken und entsprechende Rahmenbedingungen.

Die Umstellung der Impfdaten auf digitale Verarbeitung hat bereits zahlreiche Befürworter. "Der aktuelle Impfpass ist ein analoges und veraltetes Medium. Durch flächendeckende Impfmanagementsysteme und den digitalen Impfpass werden neue Qualitätsstandards erreicht, die für Patient und Arzt ein unmittelbarer Vorteil sind", sagt Markus Frühwein aus dem Vorstand der Bayerischen Gesellschaft für Immun-Tropenmedizin und Impfwesen. Jörg Schelling, Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Impfen (LAGI) Bayern hält den elektronischen Impfpass für einen idealen Einstieg in die digitale Patientenakte.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist ebenso dafür, will aber vor allem eines nicht: eine zweigleisige Lösung. Das Digitale müsse das Papier komplett ablösen. Es würde erheblicher Mehraufwand entstehen, sollte das gelbe Heft parallel zur digitalen Datenerfassung ausgefüllt werden müssen. Auch müsse garantiert werden, dass die bisherigen Impfungen eines Patienten vom Papier auf den Server übertragen würden. Das wäre zwar ein weiterer Kostenfaktor, der das Ministerium zu der Überlegung verleitet, nur Neugeborene digital zu erfassen. Doch Schrörs lenkt ein: "Wenn wir bei der aktuellen Geburtenrate von 800 000 pro Jahr nur die Neugeborenen erfassen, benötigen wir 100 Jahre, bis 80 Millionen Deutsche einen elektronischen Impfausweis haben. Das will sicherlich niemand." Ob das Ministerium der Argumentation folgt, ist noch unklar.

Auch die Datenschützer stellen Forderungen. Wer die Impfdaten einsehen darf, müsse der Gesetzgeber klar festlegen. Patientendaten sollten nicht von kommerziellen Unternehmen eingesehen werden können und gegen unberechtigte Zugriffe gut gesichert sein, heißt es. Schrörs hält eine freiwillige "Datenspende" durch den Patienten zum Beispiel an das Robert-Koch-Institut für wissenschaftliche Zwecke und die Gesundheitsüberwachung für denkbar. So bliebe die Datenhoheit stets beim Patienten, der ausschließlich selbst und in jedem Fall erneut die Einsicht in seine persönlichen Gesundheitsdaten gewähren müsste.

"Der E-Impfpass kann zudem die Möglichkeit bieten, individuell auf den Patienten und seine Krankheitsgeschichte zugeschnittene Empfehlungen anzugeben", sagt Linda Sanftenberg vom Institut für Allgemeinmedizin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Beispielsweise bei chronischen Erkrankungen oder Dauermedikationen. Zudem bilde der digitale Impfpass möglicherweise ein solides Fundament für die Impfberatung im persönlichen Arzt-Patienten-Gespräch.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2019
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