Süddeutsche Zeitung

Digitale Wirtschaft:Elysée-Vertrag 2.0

Ausgerechnet im Internet gibt es keinen europäischen Binnenmarkt. Deutschland und Frankreich wollen das nun ändern.

Von Varinia Bernau, Leo Klimm, Paris

Der Pariser Elysée-Palast steht mit Goldschmuck und schweren Teppichen nicht gerade für Modernität. Eher für vergangene Stärke. Manchmal, wenn es stark regnet, rinnt sogar Wasser von der Decke in den Festsaal. Trotzdem soll am Dienstag von diesem Ort ein entscheidender Impuls zur Erneuerung von Europas Wirtschaft ausgehen. Ein deutsch-französischer Digitalgipfel auf allerhöchster Ebene soll helfen, den Rückstand aufzuholen, den das alte Europa überall dort hat, wo das Internet das alte Geschäft infrage stellt.

Der Befund ist dramatisch. Die größten Konzerne der Welt sind heute fast ausschließlich Unternehmen der digitalen Wirtschaft - und kaum eines davon kommt aus Europa. Auch Start-ups, die die neuen Möglichkeiten nutzen, werden hier anders als in Amerika oder China gebremst. Die einzelnen europäischen Märkte sind zu klein, um in einer globalisierten Branche mitzuhalten, die nationalen Regulierungsvorgaben sind eng, die Finanzierung ist schwierig.

"Die großen Online-Player aus den USA haben zusammen eine größere Marktkapitalisierung als die deutschen Dax-30-Unternehmen und sie erreichen schon heute die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes von Frankreich", klagt Tobias Kollmann, Chef des Beirats Junge Digitale Wirtschaft, der mit seinem Pariser Pendant Benoît Thieulin für den Digitalgipfel einen "Aktionsplan" entworfen hat. Der französische Regierungsberater Jean Pisani-Ferry sieht angesichts der digitalen Transformationswucht sogar das europäische Integrationswerk in Gefahr: "So, wie es bisher läuft, wirkt das Internet wie ein Lösungsmittel für den Binnenmarkt: Die Europäer nutzen entweder Digitalangebote aus den USA oder aus dem eigenen Land. Aber so gut wie keine aus anderen europäischen Ländern." Es müsse auch für die digitale Wirtschaft einen echten Binnenmarkt geben.

Genau das will auch die Europäische Kommission - und hat im Frühjahr eine Agenda vorgelegt. Das Papier blieb allerdings sehr schwammig, auch weil es zu viele Aspekte anzugehen versuchte. Bei Netzpolitikern, aber auch in vielen Unternehmen war deshalb die Sorge groß, dass die Kommission über all die neuen Ankündigungen die alten liegen lässt - und damit die gesetzlichen Grundlagen für eine digitale Aufholjagd fehlen. Seit Langem etwa ringt die EU um eine einheitliche Datenschutzgrundverordnung.

Der nun von Kollmann und Thieulin vorgelegte Aktionsplan ist griffiger. Er skizziert etwa, wie digitale Kompetenzen gefördert und Gründer ermutigt werden können. Die beiden verstehen das Papier und auch den Gipfel als einen ersten Schritt. "Wir wollen nicht allein bleiben, sondern hoffen, dass sich andere Staaten anschließen." Doch Europa wäre nicht Europa, wenn alles so schnell ginge wie es das digitale Zeitalter erfordert. Schon vor einem Jahr forderte Pisani-Ferry zusammen mit dem deutschen Ökonomen-Kollegen Henrik Enderlein die Regierungen in Paris und Berlin auf, eine gemeinsame Digitalstrategie zu entwerfen.

Helfen sollen der Kanzlerin und dem Präsidenten dabei nun Vertreter von Start- ups wie der E-Commerce-Plattform Home 24 oder alteingesessenen Industriekonzernen wie Siemens. Jean-Claude Juncker, der Chef der EU-Kommission, ist auch dabei und wird wohl eine "EU-Cloud" vorschlagen - also die Möglichkeit, sensible Daten auf Servern in Europa abzulegen, statt auf Rechenzentren in den USA. Allerdings werben deutsche und französische Firmen längst mit der sicheren Datenspeicherung in Europa.

Wichtiger als spektakuläre Initiativen sind nach Ansicht von Experten ohnehin all die kleinen, mühsam zu lösenden Rahmenbedingungen, die Europas Digitalwirtschaft hemmen. Für die Förderung europäischer Start-ups geht es etwa um eine einheitliche Besteuerung oder die Schaffung eines europäischen Datenschutzstandards. "Der nächste deutsch-französische Airbus sollte schlicht ein identisches Datenschutzgesetz sein", sagt Enderlein. "Nur wenn wir das haben, kann das nächste Facebook aus Europa kommen." Die unterschiedlichen Regeln in den 28 EU-Staaten gelten als ein Grund dafür, dass Anbieter von Internetdiensten in Europa nicht so schnell groß werden wie jenseits des Ozeans.

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SZ vom 27.10.2015
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