Das größte soziale Netzwerk: Facebook. Der größte Messenger: Whatsapp. Die größte Foto-Plattform: Instagram. Alle drei Dienste gehören einem Unternehmen: Facebook Inc. Wenige Konzerne aus dem Silicon Valley beherrschen nahezu das gesamte Netz. Als Konzernchef Mark Zuckerberg im April vor dem US-Kongress aussagte, ob sein Konzern über ein Monopol verfüge, antwortete er: "Es fühlt sich sicherlich nicht so an." Justus Haucap, Ökonom und ehemaliger Vorsitzender der deutschen Monopolkommission, glaubt, dass die Politik mittlerweile erkannt hat, wie gefährlich diese Marktmacht ist.
SZ: Herr Haucap, sind Facebook und Google zu mächtig?
Justus Haucap: Was heißt zu mächtig? Sie haben sicher sehr starke Positionen in ihren Märkten. Was sie besonders macht: Sie verfügen nicht nur über Marktmacht im traditionellen Sinn, sondern auch über - wie der Ökonom sagt - Vertrauensgüter: nämlich Daten. Und damit auch über die Möglichkeit, diese zu manipulieren.
Wie könnten sie genau manipulieren?
Ein Beispiel ist das Verfahren, das die EU-Kommission wegen Google Shopping geführt hat: Der Vorwurf lautete, dass Google Links strategisch sortierte und bestimmte Konkurrenten in der Trefferliste so verlagerte, dass Verbraucher sie schlechter entdecken konnten. Auch Facebook wird dieser Vorwurf gemacht: Dass sie Inhalte in ihrem Stream ordnen und der Nutzer nicht weiß, ob das die Sortierung ist, die er am liebsten hätte oder die, die Facebook am liebsten hätte.
Sind Aufsichtsbehörden darauf eingestellt, dass es im Digitalen neue Formen der Machtkonzentration gibt, die es so in der klassischen Wirtschaft nicht gab?
Das ist ein Lernprozess: Wettbewerbshüter verstehen mehr und mehr, dass die Kombination aus klassischer Marktmacht und Informationsmacht ein besonderes Problem ist. Es gibt hier auch Verfahren, wie das der Kommission gegen Google oder jenes des Bundeskartellamtes gegen Facebook. Den Behörden in Europa kann man also keineswegs Tatenlosigkeit vorwerfen.
Eine Grundregel von Facebook-Investor Peter Thiel lautet: "Monopolstatus anstreben" - das Valley vergöttert dieses Ziel fast. Auch im Wettkampf von Uber und seinen Konkurrenten um die Straßen geht es um einen Sieg auf ganzer Linie.
Die These von Thiel ist ja nachvollziehbar. Er sagt: "Solange es noch Kunden gibt, die lieber woanders kaufen, ist mein Unternehmen noch nicht gut genug." Das ist die unternehmerische Perspektive. Das heißt aber natürlich nicht, dass das auch gesellschaftlich ein erstrebenswerter Zustand ist. Wir haben in den digitalen Plattform-Märkten sicherlich eine höhere Gefahr der Konzentration als in anderen Märkten. Denn dort gibt es sogenannte Netzwerkeffekte: Wenn alle meine Freunde bei Facebook sind, will ich auch am liebsten dort sein. Aber wir haben auch die notwendigen Konzepte im Kartellrecht, um das zu berücksichtigen.
Facebook ist das größte soziale Netzwerk, auch Whatsapp und Instagram gehören zum Unternehmen. Bin ich als Nutzer von einem der drei Dienste nicht dem einen Konzern ausgeliefert?
Ausgeliefert finde ich etwas stark formuliert, aber die Frage ist schon, ob es nicht gewisse Abhängigkeiten gibt und ob schärfere Fusionskontrolle nötig gewesen wäre. Einige Fachleute sehen es im Nachhinein als Fehlentscheidung an, dass die US-Aufseher Facebook erlaubt haben, 2012 Instagram und 2014 Whatsapp zu kaufen. Unabhängig davon, ob diese Auffassung zutrifft, ist es in einem Rechtsstaat schwer, solche Entscheidungen nachträglich zu revidieren.
Wir können aber für die Zukunft daraus lernen und bei der Fusionskontrolle genauer prüfen als bisher. Man kann das Ganze auch positiv sehen: Die Zukäufe Whatsapp und Instagram hatten sich in kürzester Zeit zu Konkurrenz für Facebook entwickelt. Ich bin optimistisch, dass sich auch in Zukunft Leute clevere Dienste ausdenken, die sich als Konkurrenz zu bestehenden Netzen entwickeln.
Aber verhindert die Marktmacht der derzeitigen "Großen" von Amazon bis Google nicht genau diese Konkurrenz? Wer gefährlich wird, wird gekauft oder seine Ideen kopiert und als Konkurrenz überflüssig gemacht.
Dass die großen Player neue Dienste immer wieder aufkaufen, ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen entfällt natürlich der Wettbewerb, klar. Aber zum anderen ist gerade die Aussicht, sein Start-up vielleicht einmal an die Großen verkaufen zu können, für viele einer der Hauptanreize, überhaupt in den Markt einzutreten. Letztlich muss die Fusionskontrolle hier zu einer guten Balance kommen.
Was hat sich denn im Verhältnis des Verbrauchers in diesen Märkten geändert?
Hier zahlen die Verbraucher nicht mit Geld. Damit bezahlt nur die werbetreibende Wirtschaft. Bei diesen Informationsdiensten gibt es eben starke Netzwerkeffekte, und die Werbekunden wollen dort werben, wo die meisten Menschen sind.
Aber dieser Netzwerkeffekt schlägt ja voll durch: Die Bindung an einen Dienst wird immer enger und es wird für mich immer "logischer", bei dem einen Dienst zu sein.
Das stimmt. Allerdings schreibt die Datenschutzgrundverordnung vom 25. Mai an vor, dass man seine Daten einfach überall hin mitnehmen kann. Das wird am Anfang nicht so einfach sein, weil nicht alles sofort kompatibel sein wird. Aber ich gehe davon aus, dass sich Anbieter entwickeln werden, die bereit sind, die Daten zu übertragen - eine Art Broker. Das vereinfacht den Wettbewerb.
Was halten Sie denn davon, Facebook zu zerschlagen?
Ich bin skeptisch, weil es eine Reihe von Problemen bringen würde. Es kann ja nur darum gehen, einzelne Dienste wie Instagram oder Whatsapp abzuspalten. Es gäbe keinen Sinn zu sagen: Wir zerlegen Facebook, transferieren die Hälfte aller Nutzer woanders hin, und es gibt ab jetzt zwei Facebooks. In den wenigen Fällen, in denen die Aufseher in den USA Unternehmen entflochten haben wie beim Telekom-Konzern AT&T, geschah das nur, wenn die ihre Marktmacht auch fortwährend missbraucht haben. Das ist im Fall von Facebook nicht gegeben. Das Verfahren des Bundeskartellamtes ist ja das erste überhaupt in dieser Art. Es wäre sehr überstürzt, Facebook jetzt sofort zu zerschlagen.