Digitale Grenzen:Deutschland muss sich vor dem Silicon Valley schützen

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Illustration: Sead Mujic (Foto: N/A)
  • Riesige Konzerne wie Facebook, Amazon oder Airbnb dominieren das Netz und ihre jeweiligen Branchen.
  • Dabei setzen sie Regeln durch, die teilweise die nationalen Gesetzgebungen unterlaufen.
  • Demokratische Staaten sollten ihre digitalen Grenzen schützen, um ihre eigenen Werte und Prinzipien zu verteidigen.

Gastbeitrag von Steven Hill

Daten werden zur Währung des digitalen Zeitalters, und die Schlacht, wer die Kontrolle darüber haben wird, hat begonnen. Das Wachstum der Daten ist gewaltig: 90 Prozent wurden innerhalb der letzten zwei Jahre produziert. Mit dem Heraufziehen der künstlichen Intelligenz durchdringt Big Data noch mehr Bereiche unseres Lebens. Und doch bestehen die Technologieunternehmen, die uns in diese schöne neue Welt führen, die uns tracken und unsere Daten sammeln, darauf, dass allein sie diese Daten kontrollieren und damit Geld verdienen können.

Schon jetzt haben es Staaten schwer, die für sie relevanten Daten zu erhalten. Es ist zum Beispiel ungeheuer schwer, den Kapitalfluss in Steueroasen nachzuverfolgen; dort haben multinationale Konzerne und Superreiche etwa 20 Billionen Dollar versteckt. Doch die Regierungen werden sich künftig nicht nur schwer damit tun, ihre Steuergesetze durchzusetzen, gleiches gilt für Gesetze zum Handel, zur Arbeit und Privatsphäre - die globalen Internetkonzerne machen diese Regeln lächerlich. Deshalb müssen Länder den rechtlichen Rahmen und die technischen Fähigkeiten entwickeln, um nicht bloß ihre physischen, sondern auch ihre digitalen Grenzen zu schützen.

Dabei sind fünf Bereiche entscheidend:

Erstens: kommerzielle Daten

US-amerikanische Konzerne wie Amazon, Upwork, Uber oder Airbnb und deutsche Unternehmen wie Wimdu oder Foodora verdienen ihr Geld mit Online-Geschäften, die sich nur schwer nachverfolgen lassen. Als Unternehmen, die im Internet tätig sind, ist es für sie sehr einfach, "unter dem Radar" zu operieren und ihre Transaktionen im Verborgenen zu halten. Diese Unternehmen widersetzen sich auch meist, wenn sie Daten an die Behörden übergeben sollen, denn das würde es erleichtern, sie zu regulieren und zu besteuern.

So verabschiedete der Senat der Stadt Berlin im Mai 2016 ein Gesetz, welches die Vermietung von Wohnungen über Airbnb einschränken sollte. Das Gesetz richtete sich gegen die professionellen Immobilienmakler, die über Airbnb ganze Häuser oder Wohnungen dauerhaft an Touristen vermieten. Diese Wohnungen werden dem lokalen Markt entzogen, weshalb die Mieten steigen. Das Gesetz war gut gemeint, doch ein Jahr später ist laut der Website Inside Airbnb die Zahl der Airbnb-Angebote in Berlin um 54 Prozent gestiegen, auf über 20 000. Das ist ein Rekord, und noch wichtiger: Auch die Anzahl der Einträge für ganze Häuser und Wohnungen ist um 45 Prozent gestiegen.

Das Berliner Gesetz ist gescheitert, weil es sich ohne Angaben des Unternehmens nicht durchsetzen lässt, ohne Angaben zu den Standorten der Wohnungen oder den Tagen, an denen diese vermietet wurden. Weil die Daten fehlten, zahlt Airbnb auch keine Bettensteuer in Berlin - und seine 20 000 Gastgeber auch nicht. Ohne Zugang zu den Daten sind Behörden nicht in der Lage, diese Firma und ihre versteckten Aktivitäten zu regulieren.

Zweitens: Clickworker

Auf beiden Seiten des Atlantiks scheinen Forscher nicht sehr viel über die Freiberufler und Auftragnehmer der Internet-Wirtschaft zu wissen: Wer von ihnen hat welche Jobs? Wer arbeitet für wie viele Unternehmen? Wer ist für ausländische Vermittler wie Upwork tätig? Und wer zahlt in das System der sozialen Sicherheit ein? In Deutschland und den USA werden solche Daten üblicherweise mittels "Haushaltsbefragung" erfasst. Diese Methodik stammt jedoch aus der guten, alten Zeit der Standardarbeit, als die Mehrheit der Beschäftigten nur für einen einzigen Arbeitgeber tätig war. Heute dagegen basiert das Leben von immer mehr Menschen auf einer Vielzahl von Teilzeitjobs.

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Studien haben ergeben, dass Millionen von Deutschen zumindest ab und zu Online-Jobs übernehmen. Viele verdingen sich über Plattformen wie Upwork an Unternehmen in aller Welt. Diese melden den deutschen Behörden eher selten, wie viel sie den Clickworkern zahlen, und auch die Clickworker werden dies nicht tun. Damit fehlt die Grundlage, um die Einkommensteuer oder Sozialversicherungsbeiträge zu berechnen. Dem Fiskus und den Sozialkassen entgehen dadurch Milliarden. Je mehr Menschen auf diese Online-Arbeitsplattformen wechseln, desto mehr Geld fehlt für öffentliche Aufgaben wie Bildung, Infrastruktur, Gesundheit oder Umwelt. Die Behörden müssen deshalb besser darin werden, solche Jobs zu erfassen.

Drittens: Arbeitsplatzüberwachung

Immer mehr Unternehmen nutzen Software und Algorithmen, um die Arbeit ihrer Angestellten zu überwachen, sie verletzen damit oft Gesetze und Persönlichkeitsrechte. Upwork zum Beispiel hat eine Software entwickelt, die fröhlich "Private Workplace" genannt wird. Sie liefert ein Protokoll der Computertasten, die der Auftragnehmer angetippt hat, sie verfolgt Mausbewegungen und liefert - in der neuesten Fassung - regelmäßig Screenshots, die es den Kunden ermöglichen, "über die Schulter des Auftragnehmers zu schauen".

Viertens: persönliche Daten

Riesige Konzerne, angeführt von Google, Facebook, Apple und Amazon, stalken uns im Netz. Auch andere digitale Unternehmen setzen leistungsfähige Algorithmen ein, um unsere persönlichen Daten zu sammeln und zu speichern - ob wir es mögen oder nicht. Während wir im Internet surfen, werden wir mit Werbung bombardiert, die angeblich speziell auf unsere individuellen Wünsche zugeschnitten ist - dank eines Algorithmus, der denkt, er kenne uns besser, als wir uns selbst.

Versierte Internetnutzer mögen sich davor schützen können - die meisten Menschen aber sind damit überfordert. Als Kunden werden wir zudem ständig gedrängt, umfangreichen, für die meisten kaum verständlichen "Allgemeinen Geschäftsbedingungen" zuzustimmen; wir liefern uns damit dem Angriff auf unsere Privatsphäre aus. Die Regierungen haben dies zugelassen oder waren zu schwach, um das zu verhindern.

Fünftens: künstliche Intelligenz

Der Aufstieg von KI - wie künstliche Intelligenz abgekürzt wird - macht die Dinge noch komplizierter. Früher konnte man Computerprogramme überprüfen, indem man sich den Quellcode anschaute. Aber mit KI und seinen riesigen Datensätzen wird dies viel schwieriger. Selbst für Experten könnte es künftig schwer sein, einen konkreten Algorithmus oder maschinelles Lernen zu verstehen.

Viktor Mayer-Schönberger, Professor in Oxford und Mitautor von "Big Data: Die Revolution, die unser Leben verändern wird", schreibt: "Die Big-Data-Vorhersagen und die Algorithmen und Datensätze, auf denen sie beruhen, werden zu einer Black Box, ohne klare Verantwortlichkeiten, deren Ergebnisse für die Betroffenen nicht mehr nachvollziehbar sind und denen man daher auch nicht mehr vertrauen kann." Viele Politiker und Behörden scheinen auf diese Big-Data-Zukunft nicht vorbereitet zu sein, und die globalen Unternehmen nutzen diese Ignoranz aus.

In der gleichen Weise, wie Staaten ihre physischen Grenzen schützen, müssen sie damit beginnen, auch ihre digitalen Grenzen zu schützen. Ein Beispiel dafür ist die Strafe von 2,4 Milliarden Euro, die die EU Google auferlegt hat. Denn das Unternehmen hatte seine Suchmaschine manipuliert und eigene Shopping-Dienste unfair gegenüber denen der Konkurrenten bevorzugt. Aber das kann nur ein Anfang sein.

China und andere Länder haben gezeigt, dass es technisch möglich ist, die digitalen Grenzen zu schützen, indem unerwünschte Unternehmen ausgeschlossen werden. Wenn sich zum Beispiel Airbnb weigert, in Berlin dem Gesetz zu folgen oder Gesetzesbrüche durch andere duldet, sollte es "digital vertrieben" werden: Ihm sollte die Möglichkeit entzogen werden, in Deutschland Geschäfte zu tätigen.

Auch demokratische Regierungen müssen digitale Werkzeuge entwickeln, damit sie die Tätigkeit von internationalen Konzernen überwachen, regulieren und besteuern können. Sollte sich ein Konzern weigern, seine Steuern zu zahlen oder die Gesetze zu beachten, könnte man ihm durch das sogenannte "Ring fencing" den Zugang zu seinen Kunden verwehren: Dadurch würden alle Internet-Protokoll-(IP)-Adressen abgeschottet, die den Computern in einer bestimmten geografischen Region zugewiesen sind. Wir schützen physische Grenzen vor einer Invasion - warum nicht auch unsere Datengrenzen?

Verfechter des freien Marktes werden protestieren - zu Unrecht

Die Anhänger eines offenen Internets werden dies ablehnen und entgegnen: Was unterscheidet Deutschland dann noch von China, das Google, Facebook und Youtube zeitweise verboten hat? Die Antwort: sehr viel. Denn Deutschland hat andere Werte und Prinzipien, es kann seine digitalen Grenzen aus den richtigen Gründen schützen - um legitime Gesetze und Vorschriften durchzusetzen; und nicht aus den falschen Gründen - aufgrund von Zensur und Wirtschaftsnationalismus.

Auch die Anhänger freier Märkte werden Einwände erheben. Sie werden beklagen, dass mit der digitalen Vertreibung eines Unternehmens wie Airbnb ein wertvolles Angebot aus dem Markt verschwindet. Aber keine Sorge, denn an die Stelle von Airbnb wird ein anderes Unternehmen treten, das den gleichen Service bietet - und zudem bereit ist, dem Gesetz zu folgen. Genau das passierte in Austin im US-Bundesstaat Texas: Dort zog sich Uber zurück, weil das Unternehmen nicht mit einem lokalen Gesetz einverstanden war, das eine härtere Sicherheitsüberprüfung der Fahrer verlangte. Kaum war der Monopolist verschwunden, drängten vier neue Ridesharing-Firmen auf den Markt.

Gegenwärtig fehlt es den staatlichen Aufsichtsbehörden an Werkzeugen, um die riesige Menge an Daten zu überwachen und zu verfolgen. Demokratische Regierungen müssen bereit sein, alle rechtlichen, politischen und technologischen Mittel einzusetzen, um die Hoheit über ihre digitalen Grenzen wiederzuerlangen. Täten sie dies, hätten sie ein machtvolles Werkzeug in den Händen, um die digitale Wirtschaft in die richtige Richtung zu lenken. Sie könnten so den Wettbewerb stärken, und man könnte die Vorteile der neuen Technologien, Dienstleistungen und Produkte genießen, ohne dass es all die negativen Konsequenzen gäbe.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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