Silicon Future:Pixel-Zauber

ma Silicon Future

An dieser Stelle schreiben jeden Dienstag Marc Beise, Helmut Martin-Jung, Jürgen Schmieder und Kathrin Werner im Wechsel. Illustration: Bernd Schifferdecker

Digitale Fotografie - das ist längst viel mehr als nur den althergebrachten Film durch elektronische Sensoren zu ersetzen. Ausgefeilte Algorithmen und Spezialprozessoren holen aus winzigen Smartphone-Kameras beeindruckende Bilder.

Von Helmut Martin-Jung

Als Twix noch Raider hieß, da nahm man zum Fotografieren - na was schon? - einen Fotoapparat natürlich, was denn sonst. Wer immer den Auslöser drückte, so ganz sicher konnte man sich nie sein, ob denn die Aufnahme was geworden war. Das stellte sich frühestens dann heraus, wenn zumindest die Negative entwickelt waren, meistens aber erst, wenn die fertigen Abzüge vom Labor zurückkamen.

Als Raider zu Twix wurde, Anfang der 1990er-Jahre also, kamen allmählich die ersten Digitalkameras auf den Markt, natürlich belächelt. Die konnten ja nur grieselige Bilder in Schwarz-Weiß aufnehmen. Und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis die unförmigen Apparate nach dem Druck auf den Auslöser auch tatsächlich ein Bild schossen. Doch nur ein Jahrzehnt später sah die Sache schon ganz anders aus.

Und nochmal ein Jahrzehnt später übernahmen Smartphones von den kleinen Digitalknipsen, denen im Vergleich zu ihren analogen Vorläufern nur eine kurze Spanne gegönnt war. Kaum erwiesen sie sich endlich als wirklich brauchbar, schon drängten die Smartphones sie schon wieder vom Sockel. Heute schleppt fast niemand mehr eine digitale Kleinkamera mit sich herum, wo es doch das Handy auch tut.

Aber Moment mal: Wie kann das eigentlich sein? Zwar sind die Kompaktkameras ja wirklich schon ziemlich klein. Aber was in Smartphones verbaut wird, ist dagegen einfach nur winzig, liefert aber doch eine mittlerweile sehr ansehnliche Qualität. Wie also kann das sein? Die Gesetze der Physik haben sich ja nicht verändert.

Die Winz-Kameras in den Smartphones, und vor allem in den höherpreisigen, profitieren davon, dass sie in einem Gerät stecken, das kein Telefon mehr ist. Es ist ein via Berührungsbildschirm gesteuerter Kleincomputer. Schon die Modelle von vor einigen Jahren waren leistungsfähiger als die schrankgroße Hardware, die bei den Apollo-Missionen eingesetzt wurde.

Heute rechnet der Computer die Bilder schön

Die heutigen Handy-Flaggschiffe werden von Hochleistungschips angetrieben, die auch spezialisierte Rechenwerke für KI-Berechnungen an Bord haben. Längst sprechen Experten von computational photography - einfach gesagt: Es ist der Computer, der mithilfe komplexer Algorithmen die Bilder schönrechnet.

Ein paar Beispiele: Um Nachtaufnahmen einerseits genügend lange zu belichten, andererseits aber nicht zu verwackeln, werden dafür, ohne dass der Nutzer das groß merkt, eine ganze Reihe von Bildern geschossen und von Algorithmen zu einem zusammengerechnet. Das funktioniert deshalb, weil die Prozessoren in den Smartphones so rasend schnell arbeiten.

Algorithmen kommen auch zum Einsatz, wenn man mit einem Smartphone zoomt. Eigentlich können die das nämlich gar nicht. Zwar haben die teuersten mittlerweile Teleobjektive eingebaut, dies sind aber Festbrennweiten. Der stufenlose Zoom wird also durch Ausschnittvergrößerung erreicht, die dann wiederum von Algorithmen zu verbessern versucht wird. Auch da gibt es Grenzen, wie etwa Samsung mit seinem angeblichen 100fach-Zoom eindrucksvoll bewiesen hat. Trotz aller künstlichen Intelligenz war es doch mehr oder weniger Pixelmatsch, was dabei am Ende herauskam.

Doch meistens ist es recht erstaunlich, was die Ingenieure und Softwareentwickler aus den kleinen Bauteilen herausholen. Damit die Technik auch funktioniert, muss sie aber erst einmal lernen. Das machen Computer natürlich maschinell, indem man ihnen unzählige Bilder vorsetzt. Bei Sonnenuntergängen etwa herrschen mehr Rottöne vor. Eine "dumme" Automatik würde das korrigieren, und die Sonne sähe wieder wie immer gelb aus - adieu Abendstimmung. Mit den Beispielfotos aber wird der Algorithmus so trainiert, dass er die Situation erkennt und die Farbeinstellungen entsprechend wählt.

Die Rechenfähigkeiten der Chips entwickeln sich ständig weiter

Derlei Tricks gibt es noch eine ganze Menge. In der Summe führen sie dazu, dass Besitzer guter Handys heute bessere Bilder damit machen als früher mit ihren digitalen Kompaktkameras, die weder so leistungsfähige Chips noch derart ausgefeilte Software an Bord hatten.

Und das dürfte erst der Anfang sein. Die Rechenfähigkeiten der Chips entwickeln sich ständig weiter, die Smartphone- und auch die Kamerahersteller nutzen die neuen Möglichkeiten, um neue Kaufanreize für die Kunden zu schaffen. Basis-Algorithmen könnten auch als Hardware eingebaut werden, so wie Video-Rechenwerke in Computern die Dekodierung komprimierter Videodateien übernehmen. Das schüfe Kapazität für noch leistungsfähigere KI-Fähigkeiten.

All das hat - wie es bei technischen Entwicklung meistens ist - nicht nur positive Auswirkungen. Durch die technischen Fähigkeiten wird es immer einfacher, Bilder zu manipulieren und immer schwieriger, diese Manipulation auch (gerichtsfest) nachzuweisen. Keine guten Nachrichten in Zeiten von Fake News und gezielter Desinformation. Wieder einmal wird deutlich, dass Technik nur ein Werkzeug ist, mit dem man Gutes ebenso wie Böses tun kann. Die Technik ist daran nicht schuld, sondern die, die sie für schlechte Zwecke einsetzen.

In gut 30 Jahren ist die digitale Fotografie weiter gekommen als die analoge in 150 Jahren. Damals musste man viel wissen und beachten, um gute Fotos zu erhalten. Nun wird es bald nur noch wenige Gelegenheiten geben, bei denen die Automatikfunktionen der Kameras versagen und schlechte Bilder abliefern. Eines aber wird bleiben: Entscheidend ist am Ende doch noch immer, wer hinter der Kamera steht.

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