Digitale Bankberatung:Das Rosi-Modell

Künftig könnte die Bankberatung vielerorts per Fernsprechbox funktionieren: Die Gründer von Comdeo sind mit diesem neuen digitalen Konzept so erfolgreich, dass es sogar auch in anderen Bereichen eingesetzt werden könnte.

Von Marcel Grzanna

Die Corona-Pandemie hat zahlreiche Unternehmen in Deutschland in Schieflage gebracht. Das Schlimmste mag überstanden sein. Doch noch bis weit ins kommende Jahr werden viele Firmen als Folge der eingebrochenen Wirtschaftsleistung ums Überleben kämpfen. Für andere ist es möglicherweise der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Das Frankfurter Start-up Comdeo hat sich im März gegründet als eine direkte Reaktion auf die Pandemie. Mit seinem "Remote Operating System Interactive", kurz Rosi, setzen die Entwickler auf einen Trend der digitalen Kundenbetreuung im Bankgeschäft.

"Lockdown und Kontaktsperre haben uns aufgezeigt, wie dringend nötig Alternativen sind für die Beratung von Kunden, sei es im Bankgeschäft oder in anderen Industrien. Überall dort, wo erklärungsbedürftige Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden, ist der persönliche Kontakt von Vorteil", sagt Firmengründer Stefan Grimm. Untersuchungen bestätigen das. Demnach nutzen die Kunden zwar zunehmend die Online-Angebote der Bank, dennoch hat sich die Zahl der Filialbesuche nicht wesentlich vermindert. Der Bedarf scheint also weiterhin vorhanden.

Rosi ersetzt bei vielen Prozessen den Mitarbeiter in der Filiale

Comdeo bietet Banken eine Art Fernsprechbox, in der Kunden über einen Bildschirm auf einen Mitarbeiter treffen und im persönlichen Gespräch privat ihre Angelegenheiten erledigen können, ohne dass ein anderer Kunde mithören kann. Sei es, dass jemand eine Überweisung tätigen, sich über Finanzprodukte informieren oder Bedingungen für einen Kredit besprechen möchte. Rosi ersetzt bei vielen alltäglichen Prozessen den Mitarbeiter in der Filiale, bietet dem Kunden aber die gleiche Hilfestellung. Die Boxen baut ein Schreiner, die Technologie stellt Comdeo. Platziert werden können sie im Self-Service-Bereich, wo sonst vielleicht nur Geldautomaten stehen.

Im Vergleich zu einem Videotelefonat kann der Berater mit Hilfe der speziellen Software Kunden per Künstlicher Intelligenz legitimieren, Gespräche laut der EU-Richtlinie MIFID aufzeichnen und ablegen und mit dem Kernbankensystem interagieren. Weitere Berater können angezeigt und sofort zu einem Konferenzgespräch hinzufügt werden. "Es geht darum, die Regionalbanken digital zu machen", sagt Grimm. Dem Entwickler kam zugute, dass er von Hause aus Bauingenieur ist und später einige Jahre selbst für eine Bank gearbeitet hatte, ehe er sich vor einigen Jahren mit Partnern in der Finanzindustrie selbständig machte.

Comdeo ist die jüngste Idee. Bereits im Dezember hatte die Vereinigte Volksbank Raiffeisenbank Odenwald Miltenberg, eine Genossenschaftsbank mit 46 Filialen, eine Projektfinanzierung ausgeschrieben, die darauf zielte, ein Konzept zu finden, das die Kundenbetreuung effizienter und digitaler gestalten sollte. Rosi war schließlich das Resultat eines Brainstormings und die Finanzierung der Entwicklung des Prototyps durch die Bank der Startschuss für die Unternehmensgründung. Mehrere Dutzend Boxen hat das Start-up inzwischen schon verkauft. Alles bislang finanziert durch den Cashflow. Für ein junges Unternehmen sind das nahezu paradiesische Zustände.

"Bankgeschäfte sind für viele Menschen eine lästige Verpflichtung und nicht sexy. Deswegen haben wir uns die Frage gestellt, wie wir kundenfreundlicher werden können. Nach nur wenigen Monaten stellten wir fest, dass sich Rosi für uns bereits bewährt hat", sagt Ralf Magerkurth, Vorstandsvorsitzender der Vereinigte Volksbank Raiffeisenbank Odenwald Miltenberg. Die ländlichen Strukturen, in denen die Bank operiert, hinterlassen viele Filialen ineffizient, weil der Publikumsverkehr vergleichsweise gering ist und viele Leerzeiten entstehen. Magerkurth meint, dass es der Bank jetzt möglich ist, Personal dort einzusparen, wo es weniger zu tun gibt. Die Mitarbeiter könnten dann in effiziente Beratungsprozesse eingebunden werden.

Der Trend zur Verschlankung der Filialnetze ist branchenweit zu beobachten. Die Deutsche Bundesbank zählte 2020 nur noch 24 000 Zweigstellen, ein Minus von rund zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei der Volksbank im Odenwald hat sich die Zahl der Angestellten in der Kundenkommunikation in Michelstadt seit dem Einsatz von Rosi derweil auf 34 verdoppelt. Dort sitzt das Kundencenter, mit dem ein Nutzer der Servicebox bei Bedarf verbunden wird, um mit einem Bankmitarbeiter persönlich zu sprechen. Weitere interne Bewerbungen für eine Versetzung in die Zentrale gingen bei ihm ein, sagt Magerkurth.

Das Modell könnte nicht nur für Banken interessant sein

Auch ältere Kunden, die wenig technikaffin seien, hätten nach einmaliger Einführung ganz selbständig Rosi nutzen können, heißt es. Zwischen acht und 18 Uhr steht jemand als Ansprechpartner im Videochat zur Verfügung. "Bei entsprechendem Bedarf lassen sich diese Sprechzeiten problemlos verlängern", so Magerkurth.

Das Rosi-Modell könnte nicht nur für Banken interessant sein. Die Comdeo-Gründer haben längst auch Versicherungen im Visier, und selbst Autohäuser sind potenzieller Interessent. "Überall dort, wo Kunden an einen Anbieter oder Dienstleister fragen haben, ist dieses System einsetzbar. Auch für die Stadtverwaltungen bieten sich vielfältig Anwendungsbereiche", sagt Entwickler Grimm. Rosi-Boxen könnten nicht nur in den Vorräumen der Banken aufgestellt werden, sondern praktisch überall: in Bahnhöfen, an Flughäfen, in Einkaufszentren oder an beliebigen Straßenkreuzungen.

Grimm sieht die Boxen allerdings nur als Übergangslösung für die kommenden fünf, vielleicht zehn Jahre. Danach, so glaubt er, wird sich die Kundenberatung von Rosi auf das private Mobiltelefon verlagern. "Viele Kunden sind noch nicht so weit, dass sie das Angebot vom eigenen Telefon aus nutzen möchten. Den Banken ist es wichtig, dass sie mit ihrem Service in den Filialen präsent bleiben", sagt Grimm. Die Statistik spricht dafür. Die Entwickler zählten im ersten Monat im Schnitt 350 Kundengespräche über 20 Boxen pro Arbeitstag.

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