Digital-Gipfel:"Die Welt wartet nicht auf Deutschland"
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Bundeskanzlerin Angela Merkel ruft die Wirtschaft dazu auf, die Chancen der Digitalisierung besser zu nutzen.
Von Helmut Martin-Jung, Ludwigshafen
Deutschland muss nach Auffassung der Bundesregierung die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft stärker vorantreiben. "Die Welt schläft nicht und wartet nicht auf Deutschland", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Digital-Gipfel in Ludwigshafen. Das Treffen, mittlerweile das elfte dieser Art, aber das erste mit dem neuen Namen, sei "eine besondere Art der Kooperation", sagte die Kanzlerin. Politik und Wirtschaft gingen dabei eine Symbiose ein, die Wirtschaft schaffe wichtige Voraussetzungen wie etwa Breitbandnetze, die öffentliche Hand helfe dort, wo dies wirtschaftlich nicht zu machen sei.
Merkel (CDU) hob hervor, wie wichtig der Ausbau schneller Datennetze sei ("Die Gigabit-Anbindung ist nötig"). Besonders kommt es aus Sicht der Kanzlerin darauf an, aus der Vielzahl von Daten, die erzeugt werden, auch neue Anwendungen zu entwickeln, so etwa in der Medizin, die einen Schwerpunkt des Digital-Gipfels bildete.
Besonders der Mittelstand müsse dieses Potenzial heben, denn: "Da werden große Wertschöpfungsmöglichkeiten entstehen." Und wenn es die Firmen nicht schafften, würden sich große Plattformen zwischen sie und ihre Kunden drängen. Der Gipfel, darauf wies Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) hin, sei nicht bloß ein Treffen, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Ein Prozess, in dem schon einiges geschafft sei. Vieles aber auch noch nicht: "Gegen Länder wie Estland sind wir ja noch Waisenknaben", sagte die Ministerin. Aber Deutschland sei auch in vielen Bereichen besser als sein Ruf, sagte Zypries, "es gibt viele positive Beispiele, die aber keiner kennt."
Thorsten Dirks, Präsident des Branchenverbandes Bitkom, mahnte zu Eile und zu verstärktem Engagement. "Digitalisierung ist ein Cross-Marathon in einem sehr gut besetzten Starterfeld", sagte er, "wir sind noch lange nicht am Ziel, und eine Auszeit zu nehmen ist nicht möglich." Die 2014 verabschiedete digitale Agenda sei zwar "zu mehr als 80 Prozent umgesetzt oder in Umsetzung", aber Deutschland brauche dringend eine neue digitale Agenda mit anspruchsvolleren Zielen, die Digitalisierung müsse in der künftigen Regierungsarbeit eine herausragende Stellung einnehmen.
Dirks zeigte sich aber auch bemüht, Optimismus zu verbreiten. Deutschland wisse sehr wohl mit der Digitalisierung umzugehen. Bei künstlicher Intelligenz sei man führend, ebenso beim 3-D-Druck. "Wir können digital." Aber: "Wir müssen jetzt alles auf die digitale Karte setzen", die Leitindustrien in Deutschland und Europa müssten digitalisiert werden, so wie in den USA die IT-Firmen im Silicon Valley digitalisiert wurden. Dieser Prozess müsse schneller vorangehen als bisher, Deutschland dürfe sich daher "jetzt bloß nicht zurücklehnen", forderte er.
Alexander Dobrindt (CSU), im Bundeskabinett zuständig für Verkehr und digitale Infrastruktur, hält es für wichtig, "der latenten Innovationsfeindlichkeit nicht die Meinungsführerschaft zu überlassen". Deutschland solle Innovationsland bleiben, nicht zum Stagnationsland werden. Zwei der größten Umwälzungen fallen direkt in seine Zuständigkeit: Der Ausbau der Netze und die Veränderungen bei der Mobilität durch selbstfahrende Autos.
Deutschland, das Autoland, müsse dabei seine Spitzenposition halten, "der zweite Platz ist für uns keine Alternative". Beim Ausbau der Netze komme es nicht bloß auf möglichst viel Bandbreite an, sagte Dobrindt. Die Netze müssten auch intelligent sein, um die Daten aus den Milliarden Sensoren verarbeiten zu können, die in Autos, Industrieanlagen oder auch am oder im Körper der Menschen stecken werden. Gerade die mobile Vernetzung, so Dobrindt, der Ausbau von Funknetzen der fünften Generation (5 G) sei dabei die wichtigste Voraussetzung.
Start-ups, heißt es, bringen frische Ideen ein und eine Macher-Mentalität
Da wollte Telekom-Vorstandsmitglied Reinhard Clemens nicht widersprechen. Aber die Standards für den neuen Mobilfunk würden gerade erst entwickelt. Der ist schnell und lässt sehr hohe Bandbreiten zu, kann aber auch viele kleine und kleinste Sensoren einbinden. Nur: Die Industrie könne noch nicht recht sagen, was sie wirklich genau brauche. Ein Dilemma für die Telekom-Industrie, denn: "Wir wollen ja nicht am Bedarf vorbeientwickeln." Besonderes Interesse galt auf dem Digital-Gipfel dem Mittelstand, dem für Deutschland so enorm wichtigen Wirtschaftszweig. Einer seiner prominenteren Vertreter, Maximilian Viessmann vom gleichnamigen Hersteller von Heiz- und Kühlanlagen, war sich sicher: "Der Mittelstand ist smart genug", sagte er. Das Verständnis dafür, dass in der Digitalisierung etwas Wichtiges auf die Unternehmen zukomme und dass diese etwas tun müssen, sei schon da. "Das Schwierige ist die Umsetzung." Dabei bräuchten viele Hilfe.
Viele Unternehmen setzen bei Digitalisierungsprojekten auf die Kooperation mit Start-ups, die nicht nur frische Ideen einbringen, sondern oft auch eine Macher-Mentalität. "Die Zusammenarbeit mit etablierten Firmen klappt immer besser", sagte Anna Kaiser, Gründerin des Berliner Start-ups Tandemploy. "Wir lernen dabei die wirklichen Herausforderungen der Firmen kennen." Sie sah es aber auch als wichtig an, dass Start-ups nicht bloß von Fördermitteln und Kapitalgebern am Leben erhalten würden, sondern dass sie auch selbst "mit soliden Einnahmen Lösungen anbieten" könnten.
Am Anfang aber brauchen die meisten Neugründungen doch Unterstützung, um sich freizuschwimmen. Etwa in einem Accelerator, einer Art Beschleuniger für Start-up-Unternehmen also. In Ludwigshafen haben die Technischen Werke dafür eines ihrer Objekte zur Verfügung gestellt, das ehemalige Hallenbad Nord. Der Name des Start-up-Zentrums ist Programm: Freischwimmer.