Digital Detox:Schluss mit dem Unsinn

Jugendlicher mit Handy

Ständig erreichbar und immer das Smartphone in der Hand. Hilft da "Digital Detox"?

(Foto: dpa)

Mit dem neuen Jahr kommen wieder die guten Vorsätze. Dazu zählt auch "Digital Detox". Der kurzzeitige Verzicht auf Smartphone und Internet ist nur schick und wenig nachhaltig.

Kommentar von Katharina Kutsche

Mit dem neuen Jahr kommen die Vorsätze, da ist das eine so sicher wie das andere. Weniger essen, mehr bewegen, weniger motzen, mehr Gutes tun. All diese mehr oder weniger ernst gemeinten Absichten werden zuverlässig von zahlreichen Medien mit guten Tipps und den neuesten Trends begleitet. Seit einigen Jahren gehört es da auch zum guten Ton, weniger Zeit im Internet zu verbringen. "Wir machen jetzt Digital Detox", heißt es dann gewichtig. Und dieser Vorsatz ist genauso unsinnig wie vieles andere zu Jahresbeginn.

Da ist erstens der Begriff Detox, zu Deutsch: Entgiften. Nun hört man wieder, dass die Zeit des Sich-Reinigens beginnt - nach der Völlerei an den Feiertagen verständlich. Seriöse Ernährungswissenschaftler weisen aber seit Langem darauf hin, dass ein gesunder Körper weder Gifte noch Schlacken produziert, die man in einer Selbsttherapie loswerden müsste. Im Digitalen ist diese Analogie ebenso daneben. Ist die Zeit, die jede und jeder Einzelne im Netz verbringt, ernsthaft eine Vergiftung? Wenn ja, sollte die Fastenkur nicht nur ein paar Wochen dauern.

Zweitens sind die Detox-Ratschläge ausgesprochen banal: das Smartphone aus dem Schlafzimmer verbannen (Kaufen Sie sich einen Wecker!) und vom Esstisch auch (Schaffen Sie Handy-freie Zonen!), sich jeden Tag nur 30 Minuten online genehmigen und in Pausen nicht auf den Bildschirm starren, sondern aufmerksam die Umgebung wahrnehmen - hätte man darauf nicht von selbst kommen können?

Internet-Firmen unternehmen erwiesenermaßen einiges, um die Nutzer ihrer Plattformen, Netzwerke und Apps möglichst lange online zu halten. Sie melden jede Kleinigkeit (X hat ein neues Foto gepostet, Y gefällt dein Beitrag), schicken Newsletter mit Angeboten, die bei genauerem Hinsehen doch nur zum Mehr-Geld-Ausgeben anregen - irgendeine Anwendung blinkt immer. Die Folge ist, dass viele Menschen über Schlafstörungen klagen, sich schlechter konzentrieren können und von der Flut an Informationen überfordert sind.

Natürlich ist das ein ernst zu nehmendes Problem. Allerdings ist das alles auch nicht neu. Im Jahr 2019 hat das World Wide Web seinen 30. Geburtstag gefeiert. Smartphones gibt es seit rund zwölf, Tablets seit etwa zehn Jahren. Über die Verführungen im Netz wissen die Nutzer inzwischen genug, um ihnen widerstehen zu können. Bei aller berechtigten Kritik an den Tech-Konzernen: Für den Umgang mit deren Produkten sind die Nutzer immer noch selbst verantwortlich.

Der Begriff Digital Detox ist insofern passend, weil er genauso wenig nachhaltig ist wie die anderen Vorsätze und Maßnahmen zum Entgiften auch. Denn, drittens, wie bei allem im Leben gilt auch hier: Für ein paar Wochen zu verzichten bringt nichts, wenn danach wieder alles beim Alten ist.

Was also wirklich helfen würde, wenn es um den eigenen Online-Konsum geht, ist Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Warum ist jemand denn viel online: aus Angst, etwas zu verpassen? Weil es der Job erfordert? Oder weil es einfach Spaß macht? Wichtig ist dies auch, um die Datenflut einzudämmen. Je länger sich Menschen im Internet bewegen, desto breiter ist die Spur mit persönlichen Informationen, die sie hinterlassen. Die wiederum hilft den Tech-Unternehmen, ihre Kunden noch gezielter zu beeinflussen.

Letztlich hat es jeder selbst im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand, das Smartphone in der Tasche zu lassen. Benachrichtigungen lassen sich deaktivieren, Chatnachrichten später beantworten, und manches kann man auch im direkten Gespräch klären - ohne digitale Hilfsmittel. Dafür muss man nicht detoxen. Sondern sich zusammenreißen.

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