Sie gilt heute als Geld schlechthin - die Banknote. Nichts symbolisiert Reichtum und Wohlstand augenfälliger als ein dickes Bündel von Geldscheinen. Vor rund 300 Jahren begann der Siegeszug des Papiergeldes in Deutschland. Anfang des 18. Jahrhunderts wurden in Köln die ersten "Banco-Zettel" ausgegeben.
Manche Wissenschaftler halten Papiergeld freilich für einen Anachronismus. Ökonomen wie Kenneth Rogoff von der Harvard University oder Miles Kimball von der University of Michigan möchten die Banknoten möglichst weitgehend aus dem Zahlungsverkehr verbannen. Selbst Minibeträge sollen in Zukunft ausschließlich elektronisch beglichen werden, per Überweisung, Kreditkarte oder Smartphone.
Mit der Abschaffung des Papiergeldes könnten Schattenwirtschaft und Kriminalität besser bekämpft werden, argumentieren die Wissenschaftler. Obendrein hätten die Zentralbanken mehr Spielraum, um die Geldmenge zu steuern und die Konjunktur zu beflügeln. "Mit der Abschaffung des Papiergeldes könnten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden", sagt Rogoff.
Tatsächlich befinden sich Geldscheine und Münzen mancherorts längst auf dem Rückzug. Die Schweden bezahlen in Kaufhäusern, Supermärkten und Fachgeschäften ganz überwiegend mit Kreditkarten und Handys. Pro Kopf ist in Schweden laut dem IWF nur noch Bargeld im Wert von umgerechnet 685 Euro im Umlauf. Das ist gut ein Viertel weniger als 2001. Hingegen beläuft sich der Umlauf von Papiergeld in den USA auf 4000 Dollar (2960 Euro) pro Einwohner. In der Euro-Zone beträgt diese Summe sogar 4000 Euro.
Der 500-Euro-Schein ist besonders beliebt
Doch wo steckt all dieses Geld? Praktisch niemand schleppt Tausende Euro in seiner Brieftasche mit sich herum. Auch Banken und Geschäfte beschränken das gehaltene Bargeld auf das nötige Minimum. Ein großer Teil des Papiergeldes ist offenbar in andere Länder abgewandert, wo die heimischen Währungen durch Inflation ausgehöhlt werden. Um sich hiervor zu schützen, beschaffen sich die Sparer Dollar- oder Euro-Banknoten, die sie im Wäscheschrank verstecken.
Auch hierzulande horten viele Menschen lieber Geldscheine, als ihre Ersparnisse zu den Banken zu bringen, zu denen sie spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise kein Vertrauen mehr haben. Ein Indiz hierfür ist die große Beliebtheit von 500-Euro-Scheinen, die im Zahlungsverkehr praktisch keine Rolle spielen, sich aber vorzüglich zum Aufbewahren in Tresoren und Schließfächern eignen. Derzeit zirkulieren weltweit Euro-Banknoten im Wert von 934 Milliarden Euro. Davon entfallen allein 290 Milliarden (oder 30 Prozent) auf 500-Euro-Scheine, die ein No-Go an Tankstellen, Fahrkartenautomaten und Zeitungskiosken sind.
Sehr gefragt sind große Geldscheine hingegen bei Drogenhändlern, Waffenschmugglern und Lösegelderpressern. Auch Spitzenverdiener, die Schwarzgeld über die Grenze schaffen wollen, nehmen gerne 100-, 200- und 500-Euro-Scheine, die sich leichter vor dem Zoll verbergen lassen. Kriminalisten fordern daher seit Langem, die großen Stückelungen abzuschaffen.
Ökonomen nennen einen weiteren Grund, warum Banknoten durch Bits und Bytes ersetzt werden sollten: Papiergeld beschränkt die Möglichkeiten einer Zentralbank, eine lahmende Wirtschaft flottzubekommen. Ihr wichtigster Hebel hierfür ist die Senkung der Zinsen. Dann können sich die Unternehmen billiger bei den Banken Geld borgen, das sie in neue Maschinen und Fabriken investieren.
Im Safe wäre das Geld vor Strafzinsen sicher
Im Juni hat die EZB die Leitzinsen auf den Tiefststand von 0,15 Prozent gesenkt. Dennoch kommt die Konjunktur in den Krisenstaaten Südeuropas kaum in Fahrt. Um weitere Impulse zu geben, müsste die Notenbank womöglich ein Tabu brechen und die Zinsen unter null senken. Ökonomen wie Rogoff, Willem Buiter und Greg Mankiw sehen in negativen Leitzinsen unter Umständen die einzige Möglichkeit, wie die Zentralbanken in den Industrieländern noch das Wachstum fördern können. In letzter Konsequenz müssten auch die Banken die Zinsen, die sie von ihren Kunden verlangen, unter null senken. Dann brauchen die Kreditnehmer weniger Geld an die Banken zurückzuzahlen, als sie sich geliehen haben.
Für die Unternehmen wäre dies eine gute Nachricht: Sie könnten Investitionen beispiellos günstig finanzieren. Umso ärgerlicher wären die Folgen für die Sparer: Betragen die Zinsen beispielsweise minus zwei Prozent, würden die Beträge, die auf Sparbüchern oder Festgeldkonten angelegt sind, Jahr für Jahr um diesen Prozentsatz schrumpfen. Jeder Anleger, der rechnen kann, wird sein Geld von der Bank abheben und daheim in den Safe legen. Die Banknoten wären dort vor den Strafzinsen sicher.
Gegen das Horten hilft laut Harvard-Ökonom Rogoff letztlich nur eine radikale Lösung: Das Papiergeld wird abgeschafft. Dann müssen die Anleger die Strafgebühren auf ihre Ersparnisse klaglos hinnehmen. "Negative Zinsen mögen manchen Leuten als barbarisch erscheinen", räumt Rogoff ein. "Doch sie sind nicht barbarischer als die Inflation, die die reale Kaufkraft von Geldvermögen ganz ähnlich aushöhlt." In der Tat verfolgt die EZB das Ziel, die Inflation in der Euro-Zone knapp unter zwei Prozent zu halten. Bei Guthaben-Zinsen, die heute beim Grenzwert null liegen, hat ein solches Inflationsziel langfristig ebenfalls fatale Folgen für die Sparer.