Süddeutsche Zeitung

Digital-Agenda:So will Europa digital den Anschluss behalten

  • Die EU-Kommission will aus den EU-Mitgliedsstaaten einen einheitlichen Markt für die digitale Wirtschaft machen.
  • Bislang zögern viele Verbraucher, grenzüberschreitend Waren im Internet zu kaufen.
  • Nutzer sollen ihre Daten künftig leichter von Plattform zu Plattform mitnehmen können.
  • In dem Papier deutet sich zudem eine noch härtere Gangart der Wettbewerbskommission gegenüber Google an.

Überblick von Varinia Bernau

Europa lebt von der Vielfalt. Doch was Touristen entzückt und Kulturschaffende inspiriert, bringt Unternehmer zum Verzweifeln. Denn je vielfältiger ein Markt, desto schwieriger ist es, dort Geld zu verdienen. An diesem Mittwoch legt die Europäische Kommission eine Agenda vor, wie sie aus den 28 EU-Mitgliedsstaaten einen einheitlichen Markt für die digitale Wirtschaft machen will. Es ist der Versuch, sich gegen die amerikanischen Internetkonzerne zu wehren, die immer stärker nach dem Geschäft greifen, das bisher europäische Unternehmen bestimmten - etwa den Autobau. Ein Überblick über die wichtigsten Punkte des Papiers, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Einkaufen über alle Grenzen

Zwei von drei Europäern setzen ihr Vertrauen in Bestellungen im Internet, wenn der Händler im eigenen Land sitzt. Stammt er aus einem anderen europäischen Land, so gibt nur noch einer von drei Europäern die Bestellung ruhigen Gewissens auf. Das hat einen Grund: Für Rückerstattungen im Falle von gelieferten Waren mit Macken gibt es bislang kaum, bei digitalen Gütern wie E-Books gar keine EU-Regeln. Bis Ende des Jahres will die Kommission dazu einen Vorschlag vorlegen. Sie sieht darin auch eine Möglichkeit, die Wirtschaft anzukurbeln: 57 Prozent der europäischen Händler gaben in einer Befragung an, dass sie ihr Angebot auf andere EU-Staaten ausweiten würden, wenn es einheitliche Regeln gäbe. Außerdem will die Kommission bis Mitte nächsten Jahres auch dafür sorgen, dass die Preise von Paketdiensten über Landesgrenzen hinweg transparenter werden.

Auch im Urlaub "Tatort" gucken

Wenn die Lieblingssendung im Ausland online nicht abrufbar ist, liegt das am Geoblocking. Das will die Kommission beenden, zumindest, wenn es "ungerechtfertigt" ist, wie es in dem Papier heißt. Damit bleibt es ebenso vage wie bei der Reform des Urheberrechts: Einerseits kündigt die Kommission Vorschläge für einen einheitlichen EU-Rahmen noch im laufenden Jahr an, zugleich aber will sie "die Finanzierung kreativer Inhalte sicherstellen". Das klingt nach der Quadratur des Kreises. Bislang muss ein Anbieter zumeist für jedes Land Lizenzen erwerben, um einen Film dort zu zeigen. Tut er es nicht, ploppt beim Zuschauer der Hinweis auf, dass das Video in seinem Land nicht verfügbar sei. Laut Kommission sind nur vier Prozent der Videos in Streamingdiensten über alle Landesgrenzen innerhalb der EU abrufbar.

Einheitliche Spielregeln

Die Kommission spricht sich für "faire Voraussetzungen für alle" aus. Dies darf als Kampfansage an die US-Internetkonzerne verstanden werden - allerdings eine äußerst vorsichtig formulierte. Während die hiesigen Telekommunikationskonzerne viel Geld in den Ausbau der Netze stecken, um die stetig steigende Datenflut zu bewältigen, schöpfen Apple, Google oder Amazon die Gewinne ab. Sie verdienen ihr Geld nämlich nicht mit stetig sinkenden Gebühren für den Internetanschluss, sondern mit Anzeigen im Internet, Apps oder der Vermietung von Speicherplatz. Dass sich inzwischen eine Schere zwischen den klammen Netzanbietern und den strahlenden Internetkonzernen auftut, liegt auch daran, dass für Telekommunikationskonzerne in Europa andere Regeln gelten als für jene US-Unternehmen, die hier ihre Internetdienste anbieten. Seit Monaten wird um eine europäische Datenschutz-Grundverordnung gerungen, an die sich dann alle halten müssen. "Wir brauchen dringend gesetzliche Standards. Davon hängt das Überleben hiesiger Unternehmen ab", betont Jan Philipp Albrecht, grüner Netzpolitiker im Europaparlament. Er fürchtet, dass die Kommission und die Regierungen der Mitgliedsstaaten ihr Versprechen, die Verordnung bis Jahresende zu verabschiedet, nicht halten. "Dann würden wir nicht nur einen, sondern zwei Schritte hinter der Realität hinterherhinken."

Barrieren innerhalb des Netzes

Seit Jahren ermittelt die Kommission etwa gegen Google, weil sie die US-Suchmaschine im Verdacht hat, ihre starke Marktposition auszunutzen. Das Strategiepapier liest sich nun auf den ersten Blick, als wolle Brüssel noch einen Gang zulegen. Die Kommission kündigt bis Ende des Jahres eine "umfassende Untersuchung der Rolle von Plattformen" an. Eine Rolle spielen sollen dabei die Transparenz von Ergebnissen bei der Online-Suche. Nach Ansicht von Netzpolitiker Albrecht drückt sich die Kommission dabei jedoch vor den wesentlichen Fragen: Es müsse vielmehr untersucht werden, ob Apple oder Google mit ihren eigenen App-Stores, bei denen sie bestimmen, welche Dienste auf Smartphones zugelassen werden, nicht bereits ein Markt innerhalb des Marktes seien - und man um neutrale Plattformen ringen müsse.

Daten leichter mitnehmen

Verbraucher sollen ihre virtuellen Daten in Zukunft mitnehmen können, wenn sie einen Anbieter wechseln. Das könnte zum Beispiel wichtig sein, wenn jemand einen anderen Cloud-Dienstleister nutzen will, um dort Fotos, Kontakte oder andere Dateien zu lagern. Das ist oft zu schwierig, kritisiert die EU-Kommission. Im kommenden Jahr will sie eine Initiative zum "Freien Fluss der Daten" vorstellen. Und sie will eine Art Gütesiegel für Cloud-Dienste schaffen, um Anbieter mit bestimmten Sicherheitsstandards zu fördern.

Schluss mit Funkstörungen

Ende Mai beginnt in Deutschland die Versteigerung von Funkfrequenzen. Besonders begehrt ist dabei der Bereich mit Frequenzen um 700 Megahertz herum. Die Funkwellen darin tragen weit, sodass sich große Gebiete mit wenigen Masten versorgen lassen. Das ist vor allem in ländlichen Gebieten wichtig. Bislang ist allerdings offen, wann sich diese Frequenzen wirklich für den Mobilfunk nutzen lassen. Zwar will Deutschland die Frequenzen bis 2017 freigeben, einige Nachbarländer nutzen diese Frequenzen aber noch länger für den Rundfunk - und sie würden damit gerade in Grenzregionen auch den Datenverkehr stören. Um solch ein Klein-Klein zu vermeiden, soll eine europäische Behörde die Hoheit in Regulierungsfragen erhalten. Das Geld, das bei der Frequenzauktion eingenommen wird, soll allerdings weiterhin bei den Mitgliedsstaaten bleiben.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2015/jasch
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