Süddeutsche Zeitung

Dieselskandal:Eine besondere Freundschaft

  • Auch Daimler steht im Zuge des Abgasskandals im Visier der Ermittler des Kraftfahrt-Bundesamtes.
  • Die fraglichen Motoren werden aber von Renault gebaut, die seit 2010 eine strategische Partnerschaft mit Daimler haben.
  • Jetzt stellt sich die Frage, wer die Verantwortung trägt.

Von Thomas Fromm und Leo Klimm, Paris

Es war nicht immer ganz klar, was das Rollenspiel der beiden eigentlich zu bedeuten hatte. In der Branche nannte man die Auftritte von Daimler-Chef Dieter Zetsche und dem Boss von Renault-Nissan, Carlos Ghosn, irgendwann die "Carlos- und Dieter-Show". Zwei Männer mit viel Macht und viel Geld, die bei Automessen nebeneinander in zwei Sesseln versanken und dem Publikum Neuigkeiten aus ihrer Partnerschaft berichteten.

Es ging um den Austausch von Motoren, um Technologien, um Fabriken und Bänder. Manchmal aber taten sie auch so, als würden sie sich auf die Nerven gehen. Sie neckten sich, spielten sich Bälle zu. Dann wirkten sie eher wie Jack Lemmon und Walter Matthau in "The odd couple". Die Botschaft war jedenfalls immer dieselbe: Die Branche ist hart, das Leben auch, aber wir beiden sind Typen mit Benzin im Blut. Und deshalb halten wir zusammen, auch wenn wir eigentlich ganz unterschiedlich sind.

Renault wird vorgeworfen, seit 25 Jahren bei Abgastests zu betrügen

Dann kam im September 2015 der Dieselskandal bei VW. Und dann gerieten auch andere in diesen Strudel um manipulierte Abgaswerte bei Dieselwagen. Dieser Strudel könnte die Männerfreundschaft, die auf Bühnen gepflegt und in diskreten Besprechungsräumen fein austariert wurde, nun auf eine harte Probe stellen.

In Frankreich werfen die Behörden Renault vor, schon seit 25 Jahren bei Abgastests zu betrügen. Frankreichs Betrugsbekämpfungsbehörde unterstellt dem Konzern erhebliche kriminelle Energie: Er habe bei Abgastests betrogen - und dafür sei Carlos Ghosn mitverantwortlich. Untersuchungsrichter gehen nun dem Verdacht des "schweren Betrugs" nach.

Daimler will sich gegen Vorwürfe auch juristisch wehren

Doch Frankreichs Justiz ist langsam, die Ermittlungen ziehen sich hin. "Unsere Fahrzeuge entsprechen den gesetzlichen Vorgaben", gibt sich Renaults Vize-Konzernchef Thierry Bolloré gelassen. Trotzdem bietet er, wie andere Hersteller, Besitzern von Diesel-Fahrzeugen Software-Updates an, um die Autos sauberer zu machen. Renault kommt damit aber nur schleppend voran.

Stopp bei VW

Volkswagen muss nach Medieninformationen ein Software-Update für den 2.0-TDI-Motor entwickeln, der in den Modellen Passat, Passat Variant und Arteon verbaut wurde. Konzernchef Herbert Diess habe einen Fertigungsstopp für die betroffenen Autos Passat und Passat Variant mit Frontantrieb und Siebengang-DSG sowie das Modell Arteon verhängt, berichtet die Automobilwoche laut Vorabmeldung in ihrer neuen Ausgabe. "Fahrzeuge, die bereits produziert worden sind, können nicht mehr an Kunden oder Endabnehmer ausgeliefert werden", zitiert das Blatt aus internen Unterlagen. Dem Bericht zufolge bietet VW nun für "den gesamten Bestellbestand" den Allradantrieb 4Motion an. Dies geschehe "kostenneutral" für die Käufer, den Mehrpreis von 2050 Euro brutto trage der Hersteller.

AFP

Und dann Daimler: Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wirft dem Mercedes-Hersteller unzulässige Programmierungen beim Abgasreinigungssystem vor und fordert nun zum Rückruf der betroffenen Fahrzeuge auf. Manipulation à la Volkswagen, jetzt auch in Stuttgart? Das KBA entdeckte die möglicherweise illegalen Methoden bei Untersuchungen des Kleintransporters Mercedes-Benz Vito, weltweite Rückrufe werden nun gefordert. Daimler weist das zurück - und will sich notfalls sogar gerichtlich wehren. Daimler gegen das KBA, das könnte interessant werden.

Laut will es in Stuttgart niemand sagen, aber hinter vorgehaltener Hand gibt es doch den Hinweis: Die fraglichen 1,6-Liter-Motoren der Abgasnorm Euro 6 stammen vom Partner Renault - sie werden in zwei Renault-Werken gebaut: in Cléon in der Normandie und im spanischen Valladolid. Es ist also ein Ergebnis jener Männerfreundschaft, bei der auch die Lieferung von Renault-Dieselmotoren für die A-, B- und C-Klasse von Mercedes besiegelt wurde. Nun könnte man sagen: Okay, Renault hat sie geliefert. Aber Daimler hat sie eingebaut. Wer hat nun die Verantwortung?

Die Franzosen können in diesen Tagen schlecht verbergen, dass sie sich von Daimler - vorsichtig ausgedrückt - ungerecht behandelt fühlen. "Das Problem mit dem Vito betrifft allein Daimler", teilt ein Renault-Sprecher schmallippig mit. Thierry Bolloré, der als Nachfolger von Konzernchef Carlos Ghosn vorgesehen ist, hatte Mitte März im Interview mit der Süddeutschen Zeitung die Verteidigungslinie nach den ersten Verdachtsäußerungen des KBA ausgegeben. "Für die Motorensteuerung ist immer der Autohersteller verantwortlich, in dessen Fahrzeug der Motor eingebaut ist", so Bolloré. Heißt im Klartext: Für die Einstellung der Software zur Abgasreinigung beim Vito ist Daimler zuständig.

Seit 2010 kooperieren Daimler und Renault miteinander

Tatsächlich gibt es bisher keine Anhaltspunkte für Unsauberkeiten beim baugleichen - aber von dem französischen Autobauer eingestellten - 1,6-Liter-Motor im Renault Trafic. "Ich bin für Renault verantwortlich", so Bolloré, "und bei Renault gibt es keine Trickserei. Punkt." Mag sein, dass der Problemmotor aus dem Mercedes Vito im Renault Trafic unverdächtig ist. Nach Meinung französischer Ermittler baut Renault dennoch hoch auffällige - und teils sehr dreckige - Diesel-Fahrzeuge.

In unabhängigen Tests im Straßenbetrieb erwies sich, dass die Renault-Diesel die Grenzwerte teils um das Zehnfache überstiegen. Beim Mini-SUV Captur war etwa der Stickstofffilter so eingestellt, dass er nur alle 20 Minuten ansprang anstatt alle fünf. Beim beliebten Kleinwagen Clio schaltete sich die Abgasentgiftung im Normalbetrieb fast permanent aus. Wer trägt nun Verantwortung: Daimler oder Renault?

Das Verhältnis der Konzernchefs soll immer noch gut sein

Die strategische Kooperation wurde 2010 mit einer Überkreuzbeteiligung gestartet: Beide Seiten halten je drei Prozent des Kapitals des Partners. So etwas soll verbinden. Ob das nun noch hält? Bolloré bestreitet, dass die Kooperation ins Stocken gerät. "Die Liste an Projektideen ist lang", sagt er. "Beide Seiten sind sehr motiviert, die Zusammenarbeit zu vertiefen." In Stuttgart heißt es, man müsse die Dinge jetzt erst einmal intern klären, werde aber nicht anfangen, sich "öffentlich zu zanken". Ein Sprecher sagt: "Die Kooperation steht nicht zur Disposition."

Der letzte gemeinsame öffentliche Auftritt von Daimler-Chef Dieter Zetsche mit Renault-Boss Carlos Ghosn auf einer Automesse liegt schon etwas länger zurück. Und ob es beim Pariser Autosalon in diesem Herbst wieder eine Carlos-und-Dieter-Show gibt, ist noch nicht klar. Sollte es sie geben, wird man im Vorfeld wohl lange über das gemeinsame Skript diskutieren müssen - so spontan wie früher dürfte es nicht mehr werden. Aber, so sagen Insider: Das Verhältnis zwischen Ghosn und Zetsche sei immer noch gut.

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SZ vom 28.05.2018/csi
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