Süddeutsche Zeitung

Abgasskandal:Import-Fahrzeuge viel dreckiger als deutsche Autos

  • Das CAR-Institut der Universität Duisburg-Essen hat die Abgaswerte von 138 Autos aktuellen Euro- 6-Dieselautos verglichen.
  • Im Schnitt stoßen sie beim Fahren auf der Straße das 5,3-Fache des in Europa erlaubten Grenzwerts von 80 Milligramm Stickoxid aus.
  • Die Modelle deutscher Hersteller schneiden sehr gut ab. Die Fahrzeuge von VW waren in der Untersuchung die saubersten.

Von Max Hägler

Es wirkt seit zwei Jahren, als seien vor allem die deutschen Autohersteller im selbst verursachten Dieselsumpf versunken: Mehr als 20 Milliarden Euro musste Volkswagen in den USA zahlen, als Strafe für manipulierte Diesel-Autos. Staatsanwälte durchsuchten die Konzernzentrale in Wolfsburg, wie auch die von Audi in Ingolstadt. Daimler in Stuttgart ist ebenfalls betroffen. Der Vorwurf überall: Betrug zulasten von Umwelt und Menschen. Tatsächlich lesen sich interne Papiere gerade aus dem VW-Konzern wie die Regie zu einem Skandal: Um Geld zu sparen, wurden Motoren und Abgassysteme schlechter gebaut als eigentlich möglich. Durch Tricks, manchmal sogar illegale, kamen die Autos durch die Laborprüfungen. Auf der Straße waren sie allerdings oft viel schmutziger.

Nun zeigt sich: Im internationalen Vergleich steht die deutsche Autobranche mit heutigen Modellen recht gut da. Das Ergebnis wird auch die Teilnehmer des Diesel-Gipfels überraschen: An diesem Montag versammelt Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin die Oberbürgermeister und Ministerpräsidenten um sich, deren Städte und Bundesländer am meisten unter Abgasen leiden.

Für die Süddeutsche Zeitung hat das durchaus konzernkritische CAR-Institut der Universität Duisburg-Essen die Abgaswerte von 138 Autos mit Euro- 6-Dieseln verglichen, also aktuelle Wagen. Dabei zeigt sich: Im Schnitt stoßen sie beim Fahren auf der Straße das 5,3-Fache des in Europa erlaubten Grenzwerts von 80 Milligramm Stickoxid aus, das Chemiker mit NOx abkürzen. Gerade die deutschen Hersteller Audi, BMW, VW schneiden zumeist deutlich besser ab. Und ausgerechnet die Marke mit den einst größten Verfehlungen, Volkswagen, scheint die Kurve am besten bekommen zu haben.

Viele Importmarken liegen dagegen über dem Durchschnitt, zum Teil deutlich. Diverse Abgasuntersuchungen aus den vergangenen Monaten, durchgeführt von vier Institutionen, hat Autowissenschaftler Ferdinand Dudenhöffer zusammengeführt: Sogenannte Real Driving Emission-Tests der Zeitschrift Auto, Motor und Sport, der Deutschen Umwelthilfe (DUH), des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) und des Verbraucherschutzverbandes ADAC. "NOx-Weltmeister im positiven Sinne ist die Marke VW", sagt Dudenhöffer. Durchschnittlich 165 Milligramm des für die Atemwege schädlichen Stickoxids kämen bei VW aus dem Auspuff, also eine zweifache Überschreitung des Grenzwertes. Ein relativ ordentlicher Durchschnittswert, gerade im Vergleich. "Nicht nur das VW-Ergebnis zeigt, dass es keine Hexerei ist, einigermaßen saubere Diesel auf die Straße zu bringen", sagt Dudenhöffer.

Die Frage, die wohl niemand beantworten könne aus der Reihe der Technik-Vorstände: "Warum hat man sich dann zuvor auf die schlechte Abgasreinigung überhaupt eingelassen und sich selbst damit in die größte Vertrauenskrise der Autogeschichte befördert?" Allerdings gebe es auch bei VW weiterhin "schwarze Schafe": Ein Passat sei sehr sauber, dagegen überschreite ein Golf Sportsvan den Grenzwert um den Faktor 3,7.

Die schlechtesten Ergebnisse liefert Renault/Dacia - übrigens ein enger Partner von Daimler: Die Neuwagen des französischen Konzerns stoßen im Schnitt 890 Milligramm aus. Besser, wenn auch nicht gut, ist der PSA-Konzern, der gerade Opel gekauft hat: Die Autos von Peugeot und Citroën überschritten den Grenzwert im Schnitt um den Faktor 4,6.

Im durchaus schlechten Mittelfeld liegen Volvo, Ford und Opel und hochpreisige Wagen von Porsche sowie Jaguar und Land Rover. Auch Mercedes wird in Sachen Abgas seinem Werbespruch "Das Beste oder Nichts" nicht gerecht: Die Wagen überschreiten den Grenzwert im Schnitt um mehr als das Vierfache, obwohl sie es besser können: Der sauberste Diesel überhaupt ist eine E-Klasse. Die Hersteller aus Japan und Südkorea können ebenfalls nicht glänzen. Zwar gibt es einen Mazda 6, der "nur" mit der doppelten Abweichung durch die Stadt fährt. Nimmt man jedoch den Schnitt der asiatischen Hersteller - also auch noch Nissan, Subaru, Suzuki, Hyundai, Kia - seien die Werte "ernüchternd und enttäuschend", so Dudenhöffer: im Schnitt sieben Mal dreckiger als erlaubt.

Auf dem vorletzten Platz: der italo-amerikanische Fiat-Chrysler-Konzern samt der Marken Jeep und Alfa. "Die schlechten Ergebnisse der Italiener zeigen die Machtlosigkeit der EU bei Abgasfragen", sagt Dudenhöffer. Die EU-Kommission habe die italienische Regierung auf die Überschreitungen aufmerksam gemacht. Die Antwort aus Rom: alles zulässig. Ganz anders als etwa in Frankreich oder Deutschland, wo Konzerne durchsucht und Fahrzeugrückrufe angeordnet wurden.

Erst von September 2019 an müssen sich Neuwagen beim echten Fahren beweisen

Die Umweltorganisation ICCT, die maßgeblich am Aufdecken des VW-Dieselbetrugs beteiligt war, hat dieser Tage ihrerseits viele Dutzend Messwerte aus verschiedenen, ernst zu nehmenden Tests zusammengetragen, mit ähnlichem Tenor. Im Durchschnitt sieht das ICCT bei Euro-6-Dieselautos eine Überschreitung um den Faktor 4,5. Aber eben mit Unterschieden zwischen Herstellern und Ländern: "Wenn man sich die Ergebnisse der Deutschen anschaut, stehen die gar nicht so schlecht da bei Euro-6-Fahrzeugen", sagt Europa-Geschäftsführer Peter Mock.

Es scheint tatsächlich so, als haben die Autokonzerne gelernt aus dem Skandal, zumindest einige. Dabei gilt, selbst wenn es absurd wirken mag: Alle getesteten Wagen dürfen fahren, auch die dreckigen, weil die Werte auf der Straße rechtlich gesehen irrelevant sind. Es zählt allein, dass sie auf den Laborprüfständen "sauber" sind. Erst von September 2019 an müssen sich alle Neuwagen beim echten Fahren beweisen. Für einige Jahre gilt dann noch ein Puffer: Um den Faktor 2,1 dürfen Autos den Grenzwert überschreiten. Alles andere sei unzumutbar schwierig, hatte die Industrie einst geklagt, um den Nachlass zu bekommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3650943
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.09.2017/jps
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.