Diesel-Fahrverbote:Wie andere Länder die schlechte Luft bekämpfen

POLICE EYE VIEW OF THE CAPITAL

Wolkenkratzer durchstoßen die Smog-Decke in London: Großbritannien bricht die EU-Vorgaben zur Luftqualität seit 2010.

(Foto: dpa)
  • Überall in Europa haben Großstädte mit schlechter Luft zu kämpfen.
  • In vielen Ländern ist man jedoch weiter, was mögliche Gegenmaßnahmen angeht.
  • In Italien bespielsweise sind Fahrverbote schon lange üblich - auch wenn der Diesel sich bei den Italienern großer Beliebtheit erfreut.

Von Björn Finke, London, Sebastian Schoepp, Madrid, Ulrike Sauer, Rom, und Leo Klimm, Paris

Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts drohen in vielen deutschen Städten Fahrverbote - und die Aufregung darüber ist groß. Doch wie gehen andere EU-Staaten damit um? Ein Überblick.

Großbritannien

Großbritannien verlässt bald die EU, doch zum Abschied droht dem Königreich noch ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Die EU-Kommission mahnte das Land und acht andere Mitgliedstaaten im Januar, dass die Regierungen den Kampf gegen Luftverschmutzung zu verstärken. Großbritannien bricht EU-Vorgaben zur Luftqualität seit 2010. Größere Schlagzeilen als die Mahnung aus Brüssel machte allerdings eine Entscheidung des High Court. Das Gericht urteilte vergangene Woche, dass die Pläne der Regierung zur Verbesserung der Luft "nicht ausreichend" und "fehlerhaft" seien. Das Umweltministerium müsse sicherstellen, dass Kommunen mit schlechter Luft "so schnell wie möglich" Maßnahmen ergreifen, um Grenzwerte in Zukunft einzuhalten, hieß es.

Die britische Regierung folgt bisher dem Ansatz, radikale Lösungen vorzuschlagen, aber sich und den Kommunen sehr viel Zeit mit der Umsetzung zu lassen. So sieht der im vergangenen Juli präsentierte "Air quality plan" vor, den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor zu verbieten - jedoch erst 2040. Londons Bürgermeister will nicht so lange warten und die Zahl dreckiger Dieselfahrzeuge schon jetzt verringern: Sadiq Khan, selbst Asthmatiker, führte im Oktober die "Toxicity Charge" ein, die Giftgebühr. Autofahrer zahlen ohnehin 11,50 Pfund Maut pro Tag, wenn sie werktags die Innenstadt ansteuern. Kameras erfassen die Nummernschilder. Genügt der Wagen nicht der Euro-4-Abgasnorm, müssen nun zusätzlich zehn Pfund Giftgebühr überwiesen werden. Björn Finke

Spanien

Manchmal, wenn laue, feuchte Winde wehen, lobt Bürgermeisterin Manuela Carmena den cielo velazqueño über Madrid, den wolkigen Himmel, der an ein Gemälde von Velzáquez erinnert. Normal ist über Spaniens Hauptstadt jedoch etwas anderes: staubtrockenes Hochdruckwetter, das den aufsteigenden Smog zu einer soliden gelblichen Dunstglocke presst. Madrid und andere spanische Städte verstoßen seit Jahren gegen die vereinbarten Grenzwerte für Luftverschmutzung der EU, weshalb Spanien mit auf der Liste der Länder steht, gegen die die EU Vertragsverletzungsverfahren einleiten will.

Man kann Manuela Carmena nicht vorhalten, dass sie dem tatenlos zusieht: Die neueste Maßnahme ist Tempo 30 in allen Einbahnstraßen - die in Madrid die Regel sind -, dazu Fahrverbote für Altfahrzeuge oder abhängig vom Kennzeichen bei starker Belastung. Die linksalternative Stadtverwaltung versucht seit Carmenas Überraschungswahlsieg 2015 ihr bestes, plant Fußgängerzonen, investiert in den Nahverkehr. Doch ach: dem entgegen steht eine Mentalität, so zäh wie eine Smogglocke. Der Umstieg aufs Fahrrad etwa ist in einer Stadt schwer vermittelbar, in der viele Bewohner schon die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel als eine Art sozialen Abstieg betrachten. Der Kampf gegen die Autolust konservativer Spanier ist mindestens so schwer wie gegen die Weigerung der Regierung Rajoy, Steuervergünstigungen für Diesel abzuschaffen. Bleibt vorerst nur die Hoffnung auf Regen. Sebastian Schoepp

So machen es Italien und Frankreich

Italien

Italiener sind mit Fahrverboten groß geworden. Bleiben Regen oder Wind über längere Zeit aus, bekämpfen die Bürgermeister die Giftglocke über ihren Städten mit Einschränkungen des Autoverkehrs. Seit Jahrzehnten. Das Smog-Problem entschärften sie so nicht. Denn in Italien kommen 61 Fahrzeuge auf 100 Einwohner. So viele wie nirgendwo sonst in Europa.

Am südlichen Fuß der Alpen, in der Lombardei, sind die Automobilisten seit langem an Fahrverbote für alte Dieselfahrzeuge im Winter gewohnt. Die Stadt Turin beschloss vor einem Jahr, bei Überschreiten der Grenzwerte auch Fahrverbote für moderne Diesel mit der Abgasnorm Euro 6 zuzulassen. Mailand sperrte bereits 2012 die Innenstadt für Dieselfahrzeuge bis Euro 4. Die Wirtschaftsmetropole gehört zu den elf internationalen Großstädten, die sich im vergangenen Herbst auf einen Fahrplan zum Diesel-Ausstieg festgelegt haben: Mailand dehnt das Verbot für Euro-3-Diesel ab 2020 auf das ganze Stadtgebiet aus. Ab 2024 gilt es dann bis Euro 5. Und ab 2030 soll Mailand diesel-frei sein. Das ist ambitioniert: Der Diesel erfreut sich bei den Italienern großer Beliebtheit. Das Land weist mit 56,7 Prozent den höchsten Anteil von Dieselmotoren in Europa auf - knapp 20 Prozentpunkte mehr als in Deutschland. Ulrike Sauer

Frankreich

Die Pariser kennen dieses Kratzen im Hals gut. Es sucht sie besonders an schönen Frühlingstagen heim. Nicht nur in Paris, in insgesamt 15 Ballungsräumen Frankreichs werden die EU-Schadstoffgrenzwerte regelmäßig überschritten, räumt Umweltminister Nicolas Hulot ein. Doch nun machen nicht nur Brüssel Druck, sondern zunehmend auch die Bürger: Etwa 30 von ihnen haben den Staat verklagt.

Einiges wurde schon getan, sagt Hulot. Dazu gehört die Schließung der letzten fünf Kohlekraftwerke des Landes bis 2022; wie sich in der gegenwärtigen Kältephase zeigt, sind sie aber noch unverzichtbar. Steuervorteile für Dieselautos sollen bis 2021 fallen. Dafür gibt es Prämien für den Kauf sauberer Fahrzeuge und Heizungen. Für Fahrverbote sind die Kommunen zuständig. Städte wie Paris oder Grenoble - wegen der Kessellage vergleichbar mit Stuttgart - haben jüngst ein Vignetten-System eingeführt: Diesel, die älter als 14 Jahre sind, dürfen in Paris ab 2019 nicht mehr fahren. Doch ob die Vignette wirklich für weniger Verschmutzung sorgt, ist fraglich: Früher durften bei Feinstaubalarm abwechselnd Autos mit geraden und ungeraden Kennzeichen nicht fahren. Mit dem neuen System sind an solchen Tagen nun wohl mehr Autos unterwegs als früher.

Bis Ende März sollen die Schmutz-Metropolen neue Luftreinhaltepläne bei Hulot abliefern, damit er in Brüssel etwas vorzuweisen hat. Der Minister verspricht schon mal, dass 2040 keine Autos mit Verbrennungsmotoren in Frankreich mehr unterwegs sind. Wie er das schaffen will, sagt er nicht. Leo Klimm

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