Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Fahrverbote für Euro-6-Diesel sind kein Tabu mehr

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Das Gericht der Europäischen Union erlaubt potenziell Fahrverbote für Dieselautos der neuesten Generation. Vor Gericht haben die Städte Paris, Brüssel und Madrid gewonnen: Sie dürfen nun die für sie geltenden Grenzwerte für Stickoxid anfechten und im Zweifel sogar neuere Dieselautos aussperren ( PDF). Dabei geht es um Diesel mit der Abgasnorm Euro 6. In Deutschland sind laut einem Urteil des Bundesverwaltungsgericht und der Bundesregierung Fahrverbote für Euro-6-Diesel nicht verhältnismäßig.

Die EU-Kommission hatte bei der Einführung des neuen Abgastests RDE, der die Emissionen auf der Straße statt im Labor misst, die Grenzwerte nachträglich erhöht. Statt den im Euro-6-Regelwerk vorgeschriebenen 80 Milligramm Stickstoffdioxid je Kilometer dürfen die Dieselautos für eine Übergangszeit 168 Milligramm und danach 120 Milligramm ausstoßen. Das EU-Gericht erklärte nun, die Kommission habe mit der Anhebung der Grenzwerte ihre Befugnisse überschritten. Sie hat jetzt zwölf Monate Zeit, um die Grenzwerte abzusenken. Die Frist beginnt in zwei Monaten - falls die Kommission nicht Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einlegt.

Die höheren Stickoxid-Grenzwerte erschwerten es Paris, Madrid und Brüssel, die gesetzlichen Vorgaben zur Luftqualität einzuhalten. Die Städte hatten in den vergangenen Jahren die Regeln für ihre Umweltzonen verschärft. Paris verfolgt sogar den Plan, von 2024 an gar keine Dieselautos mehr in die Stadt zu lassen.

Ob das Urteil direkte Auswirkungen auf die Fahrverbote in Deutschland hat, ist offen. Bislang sind nur Autos der Norm Euro 4 oder darunter von Aussperrungen betroffen. Euro-5-Diesel dürfen laut einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts frühestens von September 2019 an mit Fahrverboten belegt werden. Nur das sei verhältnismäßig, hatte das Gericht entschieden. Das Datum ergibt sich aus dem Einführungstermin der Abgasnorm plus vier Jahre.

In Deutschland entscheidet derzeit eine Reihe von Gerichten, ob und welche Fahrverbote konkret in den jeweiligen Städten verhältnismäßig sind. Die Gerichte folgen den Maßgaben des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Bundesregierung hat beschlossen, dass aus ihrer Sicht geringe Überschreitung des Grenzwertes keine Fahrverbote rechtfertigten. Konkret hält sie Verbote für unverhältnismäßig, wenn der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter um weniger als zehn Mikrogramm pro Kilometer überschritten wird. Das betrifft viele deutsche Städte. Euro-6-Diesel hat die Regierung in einem Gesetz grundsätzlich von Fahrverboten ausgeschlossen. Ob diese Regeln mit dem Europarecht vereinbar sind, ist jedoch bislang nicht geklärt.

Ganz neue Diesel werden wohl kein Problem bekommen

Die deutsche Autoindustrie reagiert derweil gelassen auf das Urteil. Das EU-Gericht habe ja lediglich festgestellt, dass die Umrechungsfaktoren nicht allein von der EU-Kommission vorgegeben werden durften, heißt es vom Lobbyverband VDA: "Nicht die Vorgaben an sich werden als rechtswidrig eingestuft, sondern nur der Weg ihrer Entstehung." Das ist für die Industrie weniger schlimm - aber immer noch herausfordernd. "Wie sich das Urteil konkret auswirkt ist völlig offen", so die Einschätzung des VDA.

Für ganz neue Diesel-Fahrzeuge wird die Vorgabe ohnehin weniger zum Problem. Sie unterbieten die meisten Vorgaben auch ohne Aufweichung des Grenzwertes. Allerdings bedeutet der Messwert RDE ab Herbst 2019 auch, dass alle Fahrzeuge davon erfasst werden. Es müssen also auch Wagentypen die Grenzwerte erfüllen, die in den vergangenen Jahren auf den Markt kamen und immer noch im Verkauf sind. Vor allem für diese Fahrzeuge könnte es schwierig werden, wenn der Grenzwert plötzlich doch ganz hart gälte. Andererseits, gibt man in der Branche zu bedenken, wird der Nachlassfaktor ohnehin sehr schnell reduziert: Bereits ab dem Jahr 2020 ist nur noch eine 1,5-fache Überschreitung erlaubt.

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