Süddeutsche Zeitung

Diesel-Ersatz:Der Traum im Tank

Synthetische Kraftstoffe sollen das Klimaproblem des Verkehrs lösen, sagt der Bundesverkehrsminister. Doch Experten warnen vor Illusionen - zumal die Alternativen teuer sind.

Von Markus Balser, Berlin

Sie scheinen echte Alleskönner zu sein. Sie treiben Autos, Lkw, Busse, Flugzeuge und sogar Schiffe an - umweltfreundlich. Denn sie entstehen auf der Basis grünen Stroms. Synthetische Kraftstoffe, die so genannten E-Fuels, sind ein Benzin- oder Diesel-Ersatz aus Öko-Energie. Das Prinzip: Per Elektrolyse wird aus Wasser und erneuerbarem Strom Wasserstoff. Aus dem lässt sich ein Erdölersatz gewinnen, der in synthetisches Kerosin oder Diesel umgewandelt werden kann. Das Problem: Bislang gibt es das grüne Wunder nur auf dem Papier. Denn erst wenige Demonstrationsanlagen stellen die Kraftstoffe her. Erste kleinere Produktionsanlagen sind für 2021 geplant. Schon heute aber treiben sie die Fantasie der Politik an. Um härtere Maßnahmen wie Tempolimits oder höhere Spritpreise für mehr Klimaschutz im deutschen Verkehr zu verhindern, hat vor allem Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Kraftstoffe für sich und seine Statistik entdeckt. Sein Plan: Bis zu einem Fünftel der Treibhausemissionen im Verkehr will Scheuer mit dem Einsatz alternativer Kraftstoffe verhindern. Es geht um einige Millionen Tonnen CO₂, die Scheuer allein mit E-Fuels einsparen will. Dafür müsste der Einsatz von Millionen Tonnen schnell vom Traum zur Realität werden. Doch die Zweifel daran werden immer lauter. Die Umweltorganisation Greenpeace hat nun noch mal genauer nachrechnen und die Möglichkeiten der synthetischen Stoffe in einer Kurzstudie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie ausloten lassen. Das Papier liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Wichtigstes Ergebnis: Die Fachleute raten von einem breiten Einsatz im Autoverkehr klar ab. Dies sei ineffizient, die Produktion der Kraftstoffe sei teuer und ihr Potenzial in Deutschland "sehr begrenzt".

Zum Problem könnten vor allem die Kosten der Treibstoffe werden. Die Studie geht davon aus, dass die Herstellungskosten synthetischer Kraftstoffe zwei bis drei mal so hoch liegen, wie die von Benzin. Auch die Klimakommission der Bundesregierung kam in ihrem Bericht vergangene Woche zu einem ähnlichen Schluss. Sie taxierte die Mehrkosten auf ein bis zwei Euro pro Liter. Inklusive Steuern kommen die Autoren des Wuppertal-Instituts für fossiles Benzin 2030 auf einen Literpreis von 1,38 Euro und für synthetisches auf 2,29 Euro je Liter.

Deutsche Emissionen sinken wieder

Nach vier Jahren Stagnation sind die deutschen Treibhausgasemissionen 2018 erstmals wieder deutlich gesunken. Gegenüber dem Vorjahr gingen sie um 4,2 Prozent zurück, auf nunmehr 868,7 Millionen Tonnen. Das geht aus vorläufigen Zahlen hervor, die das Umweltbundesamt ausgewertet hat. Demnach gingen die klimaschädlichen Emissionen in allen Bereichen zurück, ausgenommen der Landwirtschaft. Hier sorgte ein größerer Tierbestand für einen leichten Anstieg. Kraftwerke dagegen senkten ihre Emissionen um 4,5 Prozent. Hier schlug sich die Stilllegung erster Braunkohle-Kessel nieder, aber auch ein verhältnismäßig hoher Kohlepreis und teurere Emissionsrechte. Betreiber müssen solche Zertifikate für jede Tonne Kohlendioxid kaufen. Auch im Verkehr gingen die Emissionen der Schätzung zufolge zurück, von 167 auf 162 Millionen Tonnen. Damit liegen sie nun ganz knapp unter dem Wert von 1990, dem Vergleichsjahr für die Anstrengungen im Klimaschutz. In Gebäuden sank der Ausstoß von 132 auf 117 Millionen Tonnen, was aber teilweise an der milden Witterung lag, und bezeichnenderweise auch an der Dürre: Weil Flüsse wie der Rhein nur eingeschränkt schiffbar waren, stiegen vielerorts die Preise für den Transport von Heizöl - und der Absatz ging zurück. Auch die Industrie emittierte etwas weniger Treibhausgase. "Das alles zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Dienstag in Berlin, "auch wenn wir noch deutlich schneller werden müssen." Denn von den Klimazielen für 2020 bleibt Deutschland weit entfernt: 2018 lagen die Emissionen den Zahlen zufolge um 30,6 Prozent unter denen von 1990. Ziel der Bundesregierung war eigentlich, schon Ende nächsten Jahres bei 40 Prozent Minus zu sein. Kommende Woche soll - sofern keine Brexit-Sondertreffen dazwischenkommen - erstmals ein Klimakabinett über weitere Schritte zum Klimaschutz beraten. Michael Bauchmüller

Damit aber würde Verkehrsminister Scheuer das eigene Ziel nicht nur verfehlen, sondern sogar torpedieren, Mobilität mit mehr Klimaschutz nicht zu verteuern. Die Studie zerpflückt die Pläne der Regierung aber vor allem auch, weil synthetische Kraftstoffe im Autoverkehr als Ressourcenverschwendung gelten. Während ein batteriebetriebenes E-Auto dem Papier zufolge für 100 Kilometer 15 Kilowattstunden Strom braucht, sind es bei einem Auto, das mit synthetischem Diesel betrieben wird, mehr als hundert. Für die gleiche Leistung wird also die sechs- bis siebenfache Menge Energie nötig. Denn bei der Umwandung von Strom in Diesel entstünden bei der Herstellung der E-Fuels hohe Energie-Verluste, urteilen die Fachleute. Fraglich ist offenbar auch, ob sich die Stoffe in Deutschland überhaupt in so großen Mengen produzieren lassen. Denn dafür wäre deutlich mehr grüner Strom nötig als heute. Ein hoher Anteil synthetischer Kraftstoffe ist der Studie zufolge deshalb eher eine "theoretische Betrachtung". Auch dem Import solcher Stoffe seien Grenzen gesetzt. Sie sollten statt im Straßenverkehr vor allem dort eingesetzt werden, wo es kaum Alternativen gebe: etwa im Flug- oder Schiffsverkehr, so die Autoren des Wuppertal-Instituts. Auch das Umweltministerium bleibt trotz der Pläne der Ressortkollegen skeptisch. Der Bundesregierung lägen keine Zahlen zu Produktionsmengen flüssiger E-Fuels in Deutschland vor, heißt es in einer Antwort von Umweltstaatssekretär Florian Pronold (SPD) auf eine kleine Anfrage der Grünen. Noch liege der Anteil an den Kraftstoffen bei Null. Welchen Beitrag die Stoffe 2030 zum Einhalten der Klimaziele im Verkehr leisten könnten? "Der Bundesregierung liegen hierzu keine aktuellen Erkenntnisse vor."

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Quelle:
SZ vom 03.04.2019
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