Der Browser galt lange Zeit als wichtigster Zugangspunkt zum Internet. Doch die Rolle des Browsers ändert sich. Die romantische Idee vom einen großen Fenster, durch das man in das World Wide Web blickt - sie ist nicht mehr zeitgemäß.
Genauso wenig zeitgemäß: die aktuelle Browser-Generation. Der jüngste Browser, Googles Chrome, ist sieben Jahre alt. Chrome, Firefox, Internet Explorer und Safari - sie alle basieren auf veralteter Technologie. Von Updates kann das nur begrenzt aufgefangen werden. Zugleich werden die Ansprüche an Browser immer größer, denn mittlerweile ist fast alles direkt im Internetfenster möglich: Video schauen und schneiden, Bilder bearbeiten, grafisch komplexe Games spielen, telefonieren. Doch Programme, die direkt im Browser laufen, verbrauchen viel Arbeitsspeicher - und machen den Browser schwerfällig und absturzgefährdet.
Dabei ist eigentlich heute gar kein Browser mehr nötig, um ins Internet zu gehen - zumindest nicht für den Durchschnittsnutzer. Für ihn gibt es heute Apps. Apps sind praktisch und jeder, der ein Smartphone hat, nutzt sie so selbstverständlich, wie früher am PC Word und Solitaire. Jedes Programm hat sein eigenes Icon, an dem es einfach erkannt werden kann: Facebook ist blau, Whatsapp ist grün, iTunes ist lila und Instagram sieht aus wie eine kleine Kamera.
Sind Apps die Browser von morgen?
Immer mehr dieser Apps sind auch für den Desktop-Computer verfügbar. Um sie zu nutzen, muss man sich keine URL merken, nichts eintippen. Apps sind bequem - und das ist auch ein Grund für ihren Erfolg. Aus dem einen Fenster zur Welt sind so viele kleine geworden.
Zumindest in der Theorie. Denn einige Apps wollen genau das verhindern - und stattdessen selbst das werden, was der Browser mal war. Nur einfacher, bequemer, geschlossener. Die chinesische App WeChat etwa. Oft mit Whatsapp verglichen, ist sie so viel mehr: ein Messenger, über den man auch Essen bestellen, Nachrichten lesen, den Kontostand checken und Promis folgen kann. Slack, eine Kommunikationsplattform für die Arbeit, hat Dienste wie Dropbox (zum Speichern von Dateien), Zoom (für Videokonferenzen) oder Github (zum gemeinsamen Programmieren) integriert. Und in Ländern wie Indonesien und Nigeria wissen viele Menschen gar nicht, dass sie das Internet benutzen - erzählen aber begeistert von ihrer Facebook-Nutzung. So entstehen Über-Apps, die das Internet fast schon ersetzen und gleichzeitig selbst Teil des Internets sind. Eben ganz ähnlich wie früher der Browser.
Für all diejenigen, die das Internet nicht übermäßig viel oder für übermäßig anspruchsvolle Dinge nutzen, ist diese Entwicklung nett: Apps helfen ihnen dabei, den Überblick über offene Programme zu behalten und zwischen ihnen zu wechseln. Außerdem sind Apps oft schneller und intuitiver als Programme, die im Browser laufen. Für diese Menschen wird der Browser heruntergestuft zu einer App unter vielen, die eben dann genutzt wird, wenn es nicht anders geht.
Für Power-Nutzer jedoch wird diese neue App-Welt nicht reichen. Sie engt zu sehr ein, bietet nicht die Freiheiten, die die leere Browserzeile mit sich bringt. Doch genau diese Nutzer sind es, bei denen der Browser am schnellsten an seine Grenzen stößt, weil zu viele Tabs geöffnet sind, zu viele Prozesse parallel laufen. Sie sind die Zielgruppe, die Browser-Entwickler künftig ins Auge nehmen müssen.
Microsoft hat mit dem Start von Windows 10 das Ende des Internet Explorers angekündigt, er wird nicht mehr weiterentwickelt und durch den neuen Browser Edge ersetzt. Mozilla arbeitet am Rückgrat für den Firefox, eine neue Programmiersprache als Basis soll den Browser schneller und sicherer machen. Und während sich Browser-Klassiker Opera nach einem Käufer umsieht, entwickelt der frühere Opera-CEO Jon von Tetzchner einen Browser namens Vivaldi. Noch ist der in der technischen Vorschau, bald dürfte eine Beta-Version erscheinen. Die Zielgruppe: Nutzer, die viele Tabs verwalten und ihren Browser so gestalten wollen, dass er für sie effizienter ist.
Neue Rebellen
Auf der einen Seite wird der Browser unwichtiger, auf der anderen wird er verbessert, um schneller und kraftvoller zu werden. Eine Entwicklung, die sich zu widersprechen scheint. Dabei spiegelt sie nur die Aufspaltung in zwei Zielgruppen wider: Auf der einen Seite stehen die Durchschnittsnutzer, die den Browser nur brauchen, um ab und an ein bisschen herumzusurfen. Auf der anderen Seite sind die Power-Nutzer, diejenigen, die sich von 20 offenen Tabs nicht überfordert fühlen, ganz einfach, weil das ihr Dauerzustand ist.
Sie sind die einzigen, die sich künftig noch für neue Browser begeistern werden. Vivaldi-CEO von Tetzchner sagt, dass sein neuer Browser "ein paar Millionen Nutzer" bräuchte, um sich zu rechnen. Das ist ambitioniert und kann höchstens funktionieren, weil er erkannt hat, was Power-Browser-Nutzer wirklich wollen: Schnelligkeit, Stabilität und vor allem Freiheit. Sie sind die neuen Rebellen.