Die wichtigsten Antworten zum EU-Gipfel:27 - 1 = das neue Europa?

In Brüssel haben sich Merkel und Sarkozy mit ihrer Idee von einer europäischen Fiskalunion durchgesetzt - gegen den Willen Großbritanniens. Doch wann geht es los mit dem neuen Vertrag? Was passiert jetzt mit den Briten? Ist die Euro-Krise vorbei?

Von Martin Winter, Brüssel

Eine Nacht lang wurde gerungen und gestritten. Dann hatte Angela Merkel in den frühen Morgenstunden des Freitag, was sie wollte: Die Euro-Länder geben sich neue, härtere Regeln. Nach den vielen kurzatmigen Reaktionen auf die Angriffe der Märkte auf den Euro sei es "ein historisches Gebot" gewesen, politische Lösungen zur Stabilisierung zu finden. Merkel musste auch Zugeständnisse machen, aber nur wenige. Europa nähert sich nun der von der Kanzlerin betriebenen "Fiskalunion".

EU-Gipfel in Bruessel

Sakozy und Merkel - ihrem Plan von einer Fiskalunion folgten die EU-Mitglieder. Alle, bis auf Großbritannien.

(Foto: dapd)

Was bedeutet Großbritanniens Veto?

Kanzlerin Angela Merkel hätte eine Reform des Vertrags von Lissabon mit allen 27 Staaten bevorzugt. Das aber hat das Nicht-Euro-Land Großbritannien verhindert. London stellte Forderungen, die nichts mit der Rettung des Euro zu tun haben, aber viel mit den Interessen des Finanzplatzes London. So griff der EU-Gipfel zu Plan B: Die Euro-Länder schließen untereinander einen Vertrag über schärfere Regeln. Diesem Vertrag können sich auch Nicht-Euro-Länder anschließen. Die Lösung heißt: 17 Plus. Und neun der zehn Nicht-Euro-Staaten sind sehr interessiert. Isoliert, wie sie ist, will die britische Regierung sich querlegen, falls etwa die EU-Kommission bei der Durchsetzung dieses Vertrags eingespannt wird. Eine leere Drohung, wie die Kommission glaubt. Schon heute spielt sie eine Rolle bei der Einhaltung des Stabilitätspaktes.

Wann soll der Vertrag in Kraft treten?

Die Euro-Länder haben sich klar festgelegt, wann der neue Vertrag, der technisch Teil des Vertrags über den permanenten Rettungsschirm ESM sein wird, unterzeichnet werden soll: "im März 2012 oder früher". Wann er dann in Kraft tritt, hängt davon ab, wie schnell er in den teilnehmenden Staaten nach deren jeweiligen parlamentarischen Regeln ratifiziert wird. Wenn alle guten Willens sind und die Substanz des Vertrags schon vor seiner Unterzeichnung in den nationalen Parlamenten diskutiert wird, kann das schnell gehen. Das größte Problem bei der Umsetzung der politischen Beschlüsse des Gipfels: Der neue Vertrag darf nicht mit den Vorschriften zur Euro-Zone in den ja weiterhin gültigen EU-Verträgen kollidieren. Vertragsspezialisten sagen: Die Maßnahmen, auf die man sich nun in Brüssel geeinigt hat, sind entweder ganz neue Elemente oder eine positive Verstärkung schon vorhandener Regeln. Deshalb geht man in der EU davon aus, dass es mit ein wenig Mühe gelingen wird, den Vertrag rechtlich einwandfrei zu formulieren. Ein Vertrag außerhalb des Gemeinschaftsrechts ist im Übrigen nichts Neues: Der Schengen-Vertrag über den grenzkontrollfreien Verkehr in Europa galt auch erst außerhalb der EU.

Wie funktioniert die Schuldenbremse?

Deutschland hat sie schon, Spanien auch und Frankreich plant sie. Nun sollen alle Euro-Länder eine Schuldenbremse einführen. Entweder durch Einfügung in die Landesverfassung oder durch eine gesetzlich gleichwertige Verankerung im nationalen Recht. Die Länder sollen sich bindend verpflichten, "ausgeglichene" Haushalte oder solche mit Überschuss zu beschließen. In der Praxis heißt das, dass zum Beispiel der Bundeshaushalt maximal ein "jährliches, strukturelles Defizit von 0,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes" aufweisen darf. Strukturell ist das der Teil des Defizits, der von konjunkturellen Einflüssen unabhängig ist. Für den Fall, dass diese Grenze überschritten wird, muss der Mitgliedsstaat in seinen Gesetzen "automatische Korrekturen" vorsehen, die den Haushalt wieder auf die 0,5 Prozent strukturelles Defizit herunterbringen. Damit kein Staat bei der Übernahme der Schuldenbremse ins nationale Recht schummelt, kommt der Europäische Gerichtshof ins Spiel: Er soll das Recht bekommen zu überprüfen, ob die nationale Regelung mit der in dem neuen Vertrag verabredeten Bestimmung übereinstimmt - nach Geist und Buchstabe.

Welche Strafen drohen Defizitsündern?

Defizitsünder müssen künftig vor allem damit rechnen, dass sie früher erwischt werden und es kaum noch politische Hintertüren gibt. In dem Beschluss des Gipfels wurde festgelegt, es solle "automatische Konsequenzen" geben für ein Land, sobald die EU-Kommission feststellt, dass es die vom Stabilitätspakt festgelegte absolute Obergrenze von drei Prozent Haushaltsdefizit überschritten hat. Die entscheidende Veränderung gegenüber dem bisherigen Defizitverfahren liegt darin, dass das von der Kommission vorgeschlagene Strafverfahren nur verhindert werden kann, wenn sich eine qualifizierte Mehrheit im Rat dagegen findet. Solch eine "umgekehrte qualifizierte Mehrheit" ist nach Einschätzung von Diplomaten kaum zu bekommen. Damit ist der "Flaschenhals" beim Defizitverfahren beseitigt, den Angela Merkel immer beklagt hatte: Bislang konnten die Schuldensünder leicht eine Mehrheit für ein Strafverfahren verhindern. Eine Mehrheit dagegen auf die Beine zu bringen, ist ungleich schwerer. Die Strafen, mit denen die Schuldensünder rechnen müssen, reichen von politisch peinlicher Bloßstellung bis hin zu Geldstrafen. In ganz schweren Fällen sollen ihnen, derzeit diskutierten Plänen zufolge, sogar die milliardenschweren Strukturhilfen gestrichen werden können.

Wirtschaftspolitik aus einem Guss - geht das?

Natürlich ist es fast unmöglich, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zu betreiben, die im finnischen Norden und im italienischen Süden gleichermaßen funktioniert. Das ist auch gar nicht der Anspruch der Euro-Gruppe. Aber nachdem bislang alle Versuche mehr oder weniger gescheitert sind, die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsländer aufeinander abzustimmen, soll nun ein neuer Anlauf unternommen werden. So wollen die Euro-Länder sich künftig gegenseitig über geplante, größere wirtschaftliche Reformen wie etwa des Arbeitsmarkts oder der Sozialgesetzgebung informieren und dann auf der Euro-Ebene diskutieren. Man will voneinander lernen. Außerdem soll sichergestellt werden, dass die Reformen in dem einen Land keine negativen Auswirkungen auf die anderen hat. Die Staats- und Regierungschefs der 17 Plus werden sich mindestens zweimal im Jahr treffen. Und häufiger, solange die Krise anhält. Damit hat sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy durchgesetzt, der schon lange für eine "Wirtschaftsregierung" plädiert. Natürlich soll auch darüber geredet werden, wie die großen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Union beseitigt werden können. Aber noch verlangt niemand, dass Deutschland zugunsten der anderen Staaten seine Exporte verringern soll.

Wie stark wird der neue Rettungsschirm?

Er wird stärker, aber um wie viel kann man genau erst im März 2012 sagen. Dann wollen die Euro-Länder darüber beraten, ob die für den permanenten Rettungsschirm (ESM) vorgesehenen 500 Milliarden Euro ausreichen. Eigentlich sollte der ESM seine Arbeit erst Mitte 2013 aufnehmen, wenn der gegenwärtige Rettungsschirm EFSF ausläuft. Doch um dessen Feuerkraft zu erhöhen, haben sich die Länder darauf geeinigt, den ESM auf Mitte 2012 vorzuziehen und ihn ein Jahr mit dem EFSF parallel laufen zu lassen. Gegenwärtig befinden sich noch 250 Milliarden im EFSF, die auf 750 Milliarden "gehebelt" werden sollen. Im März 2012 soll dann entschieden werden, ob der ESM aufgestockt wird. Eine Banklizenz, wie lange von Frankreich und vielen anderen gefordert, wird er nicht bekommen. Er kann sich also nicht bei der Europäischen Zentralbank oder bei anderen Banken mit Geld versorgen. Entscheidungen im ESM müssen auch künftig einstimmig fallen, darauf hatten die kleinen Euro-Länder bestanden. Die von Deutschland betriebene qualifizierte Mehrheit von 85 Prozent für Beschlüsse hätte den großen Ländern ein Veto eingeräumt. Nun soll nur noch in Fällen "großer Dringlichkeit" mit qualifizierter Mehrheit entscheiden werden. Um die Rettungsmittel weiter zu verstärken, einigte sich die Eurogruppe auch darauf, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der mit Milliardenbeträgen bei der Rettung Griechenlands, Portugals und Irlands engagiert ist, zusätzlich 200 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Vorsorglich: Falls auch Italien um Hilfe bitten muss, wären die gegenwärtigen Kapazitäten des IWF überfordert.

Warum werden die Banken verschont?

Nach dem Schuldenschnitt für Griechenland verzichtet die Euro-Gruppe zukünftig faktisch auf eine Beteiligung der privaten Gläubiger. Die Beteiligung der Privaten hatte so erhebliche Zweifel an der Solidität der europäischen Anleihen ausgelöst, dass in dem Beschluss der Euro-Gruppe nun versichert wird: Die zu Griechenland gefassten Beschlüsse stellten eine "einmalige Ausnahme" dar. Eigentlich war im ESM eine Beteiligung der Gläubiger von vornherein vorgesehen. Die ist nun weggefallen. In zukünftigen Fällen sollen die Regeln des IWF gelten, nach denen es nur selten und eng begrenzte Gläubigerbeteiligungen gibt.

War das der letzte Euro-Krisengipfel?

Es spricht nun vieles dafür, dass die Euro-Zone finanziell für das kommende Jahr ausreichend gut aufgestellt ist. Politisch hat sie sich auf Regeln geeinigt, die sie jetzt schnell umsetzen muss, wenn sie nicht nur das Vertrauen der Märkte, sondern auch das der europäischen Bürger wiedergewinnen will. Für die Zeit, in der die akuten Symptome der Krise anhalten, wird es wohl im Abstand von vier bis sechs Wochen Gipfeltreffen geben. Es gibt ja auch viel zu bereden. Italien und Spanien sind noch lange nicht aus der Gefahrenzone heraus. Die von Berlin abgelehnten Euro-Bonds aber sind für lange Zeit vom Tisch. Und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank soll peinlich genau beachtet werden.

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