Süddeutsche Zeitung

Die Verwandlung von Wissen:Manipulieren und desorientieren

Die Tabakindustrie hat so elegant wie kein anderer Industriezweig vorgemacht, wie Risiken verharmlost werden. Verschleiern? Öffentliche Debatten steuern? Alles kein Problem!

Hans von der Hagen

Die Gefahren des Rauchens kennen die Tabakkonzerne seit Jahrzehnten. Trotzdem hat es die Industrie immer wieder verstanden, Rauchverbote zu verhindern und auch Nichtraucher bei Laune zu halten. Rauchen? Ist doch gemütlich!

Die Strategien der Unternehmen sind ein Lehrstück dafür, wie vorhandenes Wissen relativiert und in Nicht-Wissen verwandelt wird. Den tiefen Einblick in die Unternehmenspolitik haben die großen Raucherprozesse in den USA möglich gemacht: Die Konzerne wurden verpflichtet, Interna über Produktion, Vermarktung und Erforschung ihrer Produkte ins Internet zu stellen.

Und in den mittlerweile rund 45 Millionen Dokumenten lassen sich genügend Belege dafür finden, dass die Unternehmen nichts dem Zufall überlassen haben. Vielmehr nutzen sie das gesamte Instrumentarium zur Meinungsmache und Verschleierung von Fakten.

Doch nicht allein die Tabakbranche verfolgt auf diese Weise ihre Interessen, auch andere haben dies getan. Etwa die Asbest- oder die Pharmaindustrie. Und nicht immer geht es darum, von der Gefährlichkeit des eigenen Produktes abzulenken. Nur: Gerade in solchen Fällen kann der Erfolg derartiger Strategien besonders fatal sein.

Was geschieht nun, wenn Firmen merken, dass es ernst wird?

Wir haben mit Experten gesprochen, die die Strategien der Großindustrie kennen und daraus verallgemeinernd einen fiktiven Leitfaden erstellt. Nicht als Handlungsempfehlung, sondern um das Geschehen hinter den Kulissen transparenter zu machen.

Die Ausgangslage

Sie sind Unternehmer und haben ein gut verkauftes Produkt, das die Gesundheit gefährdet. Vielleicht wussten Sie es ursprünglich nicht, vielleicht haben Sie es auch schon immer geahnt. Egal. Die Folgen sind die gleichen und Sie müssen nun das Schlimmste für sich verhindern: ein Verbot oder zumindest starke Einschränkungen beim Gebrauch des Produktes.

Und das funktioniert so

[] Ein Unternehmen allein kann derartige Probleme oft nicht lösen. Tun Sie sich mit anderen zusammen. Eine Firma kann vielleicht lügen - aber doch nicht mehrere.

[] Wenden Sie sich an Ihren Fachverband, sofern es einen gibt. Wenn nicht - gründen Sie ihn!

[] Geben Sie das Problem in die Hände derer, die das Handwerk verstehen: Womöglich müssen Sie die Öffentlichkeit beruhigen und Werbekampagnen initiieren. In dem Fall schalten Sie schon früh eine PR-Agentur ein. Nicht irgendeine. Sie sollte sich mit Krisenkommunikation und Public Affairs auskennen. Public Affairs ist die interessantere Schwester der Public Relations: Sie kümmert sich um die großen Dinge, direkt an der Schnittstelle von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.

[] Suchen Sie sich eine renommierte Anwaltskanzlei. Auch hier achten Sie bitte bei der Auswahl auf das Stichwort Public Affairs. Denn das könnte bedeuten, dass die Kanzlei über gute Kontakte verfügt. Die werden Sie brauchen.

[] Gibt es überzeugende Argumente gegen Ihre Produkte, müssen Sie Gegenmeinungen offerieren. Das machen Sie aber bitte nicht selbst, man wird es Ihnen nicht glauben. Sie brauchen eine Frontgruppe, die Ihre Interessen vertritt, aber nicht sofort mit Ihnen in Verbindung gebracht wird. Das könnte beispielsweise ein weiterer Industrieverband sein, der mittelbar mit Ihren Produkten zu tun hat.

[] Die Gegenargumente liefern Sie selbst. Besser ist freilich, wenn Sie aus der Wissenschaft kommen. Darum: Finanzieren Sie Forschung. Der Staat macht es Ihnen einfach: Die öffentliche Hand zieht sich aus der Förderung von Forschungsprojekten stetig zurück. Sie springen dafür ein! Mit Drittmitteln! Das zieht immer.

[] Sagen Sie den Wissenschaftlern, dass sie unabhängig forschen können. Keiner will abhängig sein. Doch wenn die vorab vorzulegenden Ergebnisse nicht Ihren Vorstellungen entsprechen, streichen Sie ihnen kurzerhand das Budget. Dann haben die Forscher ein Problem. Vor allem, wenn sie auf Basis der Drittmittel weitere Personen eingestellt haben, denen gegenüber sie nun verantwortlich - sprich: kostenpflichtig - sind. Merke: Unabhängig forschen bedeutet nicht unabhängig veröffentlichen!

[] In internationalen Fachzeitschriften müssen Forscher bei Veröffentlichungen auf einen potenziellen "Conflict of Interest" durch Drittfinanzierungen und Interessenbindungen hinweisen. Das ist nicht schön. Aber, Kopf hoch: In deutschen Publikationen ist dieser Hinweis nicht notwendig.

[] Manchmal gibt es Forscher, die Ihnen das Leben partout schwer machen wollen. Da kann ein Schuss Unglaubwürdigkeit helfen. Wenn Sie keine offensichtlichen Schwächen erkennen, erfinden Sie welche. Vielleicht steht jemand etwas - links?

[] Veranstalten Sie Kongresse in einem angenehmen Umfeld. Versuchen Sie, nicht als Sponsor in Erscheinung zu treten. Doch sorgen Sie dafür, dass Ihre Themen in Ihrem Sinne dort behandelt werden.

[] Gründen Sie ein wissenschaftliches Institut. Natürlich wird es in Ihren Bereichen forschen, doch es sollte sich auch mit anderen Themen befassen. Das sieht einfach besser aus.

[] Sorgen Sie für einen steten Strom an Publikationen, der die Debatte um das Produkt in Gang hält. Ganz wichtig: Sie müssen niemanden überzeugen. Sie müssen nur deutlich machen, dass die Bedenklichkeit eines Produktes oder Stoffes noch nicht feststeht.

[] Irgendwann wird es womöglich hart auf hart kommen und Experten wollen für Inhaltsstoffe Ihres Produktes "Grenzwerte" festlegen. Versuchen Sie, mit umfangreichem wissenschaftlichen Material den Mitgliedern solcher Kommissionen viel Arbeit zu machen und Verwirrung zu stiften. Das kann Grenzwerte verhindern, weniger streng ausfallen lassen oder hinauszögern. Denken Sie daran: Ein Grenzwert macht Ihnen das Leben schwer!

[] Finden Sie Politiker, die Ihre Meinung vertreten und sorgen Sie dafür, dass Interessenvertreter bei neuen Gesetzesvorhaben als Experten angehört werden. Die Public-Affairs-Kräfte werden Ihnen dabei helfen.

[] Gründen Sie eine Stiftung: Deren Name muss gutmenschlich und verbraucherfreundlich klingen. Achten Sie darauf, dass stets Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Dann kommen Sie mit Ihren Ideen leichter in die eiligen Medien.

[] Wenn Sie Ihr Produkt bewerben, besetzen Sie es positiv - mit Stimmungen, nicht mit Fakten. Ein Tipp: "Freiheit" und "Toleranz" , "lässig" und "cool" wirken immer.

[] Denken Sie euphemistisch: Hässliche Wörter lassen sich ersetzen. Beispiel: "Rauch" klingt hart und dreckig, "schlechte Luft" hingegen viel sanfter.

[] Lassen Sie sich für Talk-Show-Auftritte ausbilden: Lernen Sie, sympathisch zu wirken und ernsthaft zu diskutieren.

[] Fokussieren Sie in öffentlichen Diskussionen immer auf das soziale Miteinander - hier können Sie punkten. Meiden Sie das Gesundheitsthema! Sofern Patienten auftreten, deren Krankheit mit Ihren Produkten in Verbindung gesetzt werden, argumentieren Sie mit den furchtbaren Umweltbelastungen durch den Straßenverkehr. Eleganter können Sie quälenden Fragen nicht ausweichen.

[] Und zu guter Letzt: Weisen Sie bei jeder Gelegenheit auf den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen hin. Dafür möchte niemand verantwortlich sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.903784
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.