Süddeutsche Zeitung

Die stillen Stars der Börse:Im Schatten der Großen

Kleinere Unternehmen werden am Aktienmarkt oft weniger beachtet. Dabei lohnt sich für Anleger ein Blick auf die Werte in der zweiten und dritten Börsenliga - oft sind sie viel erfolgreicher als die Konzerne im Dax.

Von Thomas Öchsner

Menschen, die Geld an der Börse anlegen, reden gerne im Konjunktiv. Besonders oft tauchen dann die Wörter "hätte, sollte, müsste". Das geht dann etwa so: "Hätte ich doch damals Apple-Aktien gekauft, dann hätte ich jetzt richtig Geld." - "Ich sollte mir Fehlentscheidungen ehrlicher eingestehen." - "Eigentlich müsste ich viel regelmäßiger in Fonds sparen."

Reden über Geldanlegen heißt oft auch Reden über verpasste Chancen. Als zur Jahrtausendwende die Deutschen im Aktienfieber waren und wild in Internetfirmen am Neuen Markt investierten, war dann oft von EM.TV die Rede. Wer zum richtigen Zeitpunkt ein- und ausstieg, konnte damals mit den Aktien des Filmrechtehändlers aus 10 000 D-Mark eine Million machen. Heute gibt es andere, stille Börsenstars, die im Schatten der großen Unternehmen im Deutschen Aktienindex (Dax) erstaunliche Erfolgsgeschichten schreiben.

Es sind Unternehmen, deren Namen Anleger oft nicht einmal kennen, obwohl sie Mitglied im M-Dax, dem Index für die mittelgroßen Aktienwerte, oder im Kleinwerteindex S-Dax enthalten sind. Sie heißen zum Beispiel Nemetschek, Sartorius, Dialog Semiconductor oder Isra Vision, und ihr Aktienkurs hat binnen gut zehn Jahren teilweise mehr als 3000, 5000 oder sogar 11 000 Prozent zugelegt. Die Süddeutsche Zeitung wird deshalb in den nächsten Wochen in der neuen Serie "Die stillen Stars der Börse" ein gutes Dutzend dieser Unternehmen (Tabelle) in loser Reihenfolge im Wirtschaftsteil vorstellen. Denn eigentlich hätten die vermeintlich kleinen Nebenwerte, die in Deutschland nicht selten zu den "hidden champions" gehören und mit ihren Produkten oft versteckt in einer Nische weltweit spitze sind, viel mehr Aufmerksamkeit verdient.

Helen Windischbauer, Leiterin Aktien beim Vermögensverwalter Huber, Reuss & Kollegen, sagt: "Oft handelt es sich bei den stillen Börsenstars im M-Dax und S-Dax auch um Familienunternehmen." Vorteil: Bei gut geführten Familienfirmen sei "beim Management ein ganz anderer Drive drin und das Engagement hoch". Die Führungscrew werde nicht alle paar Jahre ausgewechselt. "Und die Familie als Anteilseigner achtet darauf, dass hohe Dividenden ausgeschüttet werden, was für die anderen Aktionäre ja auch schön ist."

Götz Albert, Chefanlagestratege des auf Nebenwerte spezialisierten Fondshauses Lupus Alpha, begründet den Erfolg von Unternehmen in der zweiten und dritten Reihe auch mit der Globalisierung: Sie seien in den vergangenen 20 Jahren sozusagen zwangsglobalisiert worden. "Sie produzieren als Zulieferer für die Großen weltweit und profitieren vom wachsenden Mittelstand in Asien und Lateinamerika". Hier sei auch auf Grund des hohen Bevölkerungswachstums und der steigenden verfügbaren Einkommen eine starke Nachfrage nach westlichen Konsumgütern entstanden, wovon die Nebenwerte in voller Breite profitierten, "weil sie zusammen alle wichtige Bereiche der Wertschöpfung einer Volkswirtschaft abdecken".

Das zeigt sich auch im Vergleich der deutschen Börsenindizes: Am 6. März 2009 war der Dax in der Finanzkrise auf dem Tiefpunkt, seitdem legte er fast 220 Prozent zu. Der S-Dax gewann aber fast 400 und der M-Dax fast 500 Prozent. Die Nebenwerte in der zweiten und dritten Börsenliga seien sogar seit der Jahrtausendwende "erfolgreicher als die großen Unternehmen im Dax. Sie haben seitdem unterm Strich weniger verloren und mehr gewonnen", sagt der Anlageprofi Albert.

Gute Fondsmanager finden unterschätzte Firmen

Nur, warum führen die stillen Stars an der Börse dann oft so ein Schattendasein? "Zum einen liegt dies daran, dass die Zahlenwerke und Geschäftsmodelle solcher Unternehmen weniger aufmerksam beobachtet werden." In Deutschland konzentrierten sich Analysten meist auf die großen Werte im Dax, sagt die Aktienexpertin Windischbauer. Außerdem seien die Aktien der kleinen und mittleren Unternehmen für Manager von großen Fonds nicht so gut handelbar, weil gemessen an dem ihnen zur Verfügung stehenden Anlegergeld zu wenige Aktien von solchen Unternehmen gehandelt werden. Große Fonds könnten dann nicht mit einem Anteil einsteigen, den sie für notwendig halten. "Auf der anderen Seite bietet das für Fondsmanager von kleineren Nebenwertefonds die Chance, unterschätzte Firmen ausfindig zu machen und in diese zu investieren."

Albert und Windischbauer raten Privatanlegern aber davon ab, Aktien von einzelnen Unternehmen in diesen Segmenten zu kaufen. Hier sei immer auch ein großer Misserfolg möglich, "sollte das Unternehmen neue Trends verschlafen oder neue Wettbewerber unterschätzen. Es hat schon viele Weltmarktführer gegeben, die neue Entwicklungen komplett falsch eingeschätzt haben und am Ende am Markt verschwunden sind", sagt Windischbauer. Sie empfiehlt genauso wie Albert, lieber Geld in Fonds zu stecken, die in Nebenwerte investieren - als kleinere Beimischung in einem Wertpapierdepot. So sei das Verlustrisiko geringer als bei einer Anlage in einzelne Unternehmen.

Folge 2: Die Firma Varta am kommenden Montag, 12. August.

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Quelle:
SZ vom 09.08.2019
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