Die stillen Stars der Börse:Aktie unter Strom

Varta stellt Batterien für Hörgeräte und Ohrstöpsel her. Seit dem Börsengang 2017 hat sich der Wert der Aktie vervierfacht. Wie die Firma, so ihre Produkte: klein, aber oho.

Von Stefan Mayr, Ellwangen

- Das weiß-graue Skelett aus Stahl und Beton ragt imposante 31 Meter hoch in den blauen Himmel. Im Inneren des Quaders wummert, scheppert und kracht es ohne Pause. Der Batterie-Hersteller Varta baut ein neues Hochregallager. Es ist ein mächtiger Würfel, der da am Stadtrand von Ellwangen an der bayerisch/baden-württembergischen Landesgrenze entsteht. Das Riesending zeigt das Wachstum des Traditionsunternehmens und auch dessen Selbstbewusstsein. "Wir haben das stärkste Quartal aller Zeiten hinter uns, sowohl beim Umsatz als auch Ergebnis", sagt Vorstandschef Herbert Schein. Während überall über Abschwung und Gewinneinbrüche gesprochen wird, tönt der 54-Jährige in seinem schwäbischen Dialekt mit herrlich rollendem R: "Wir werden 2019 und 2020 Umsatz und Gewinn beschleunigen, die Kapazität erhöhen und unsere Profitabilität verbessern."

Das Wummern von der Baustelle tönt bis in Scheins Chefbüro hinein. Er stellt sich vor das Fenster und blickt über das Werksgelände. Hier ein Fachwerkhaus aus roten Backsteinen, dort ein Waschbeton-Block im Stil der 70-er Jahre, da ein Zweckbau mit blauer Wellblech-Fassade. Und mittendrin das neue Riesenskelett. Es wirkt, als habe hier im Jagst-Tal jahrzehntelang eine Firma vor sich hin gedöst - um jetzt den großen Aufbruch anzupacken. "Bei kleinformatigen Lithium-Ionen-Batterien wollen wir bis 2020 Weltmarktführer sein", tönt Schein. "Mit einem Marktanteil von mehr als 50 Prozent."

Schwäbisches Understatement pflegt Herbert Schein nicht. Er hat kein Problem mit knackigem Selbstlob: "Bei den Hörgeräte-Batterien sind wir schon Technologie- und Weltmarktführer." Während an den Finanzmärkten die Unsicherheit groß ist, herrscht in Ellwangen grenzenloser Optimismus. Entsprechend dankbar reagiert die Börse: Anfang August sprang der Aktienkurs erstmals über 70 Euro. Damit hat sich der Kurs seit dem Börsengang im Oktober 2017 (Ausgabekurs 17,50 Euro) exakt vervierfacht. Das Unternehmen aus dem Kleinwerteindex S-Dax ist somit mehr als drei Milliarden Euro wert. Zum Vergleich: Im Mittelwerte-Index M-Dax gibt es AGs, die kosten gerade einmal die Hälfte.

Die stillen Stars der Börse: Varta-Chef Herbert Schein: „Je kleiner die Geräte, desto mehr Erfahrung und Präzision ist notwendig, umso größer ist unser Wettbewerbsvorteil.“

Varta-Chef Herbert Schein: „Je kleiner die Geräte, desto mehr Erfahrung und Präzision ist notwendig, umso größer ist unser Wettbewerbsvorteil.“

(Foto: Varta AG)

Das Erfolgsgeheimnis der Traditionsfirma steckt im modernsten Gebäude des Areals; am Waldrand steht ein runder, verglaster Zylinder. Auf drei Etagen tüfteln hier die Entwickler daran, die Batteriezellen noch kleiner und stärker zu machen. Immer wieder schafft es die 200 Mitarbeiter starke Entwicklungs-Abteilung, die Manager von Apple, Samsung, Sony oder Huawei zu begeistern. Das jüngste Zauberwort heißt: True Wireless Ear Buds. Echt kabellose Ohrstöpsel. Die Helferlein zum freihändigen Telefonieren oder Musiklauschen ohne Kopfhörer werden immer mehr - und immer kleiner. Und immer öfter stecken in den Geräten Varta-Batterien.

Die Namen seiner Kunden aus den USA und Asien darf Schein nicht nennen. Aber er sagt: "Alle wichtigen Premiumhersteller von Headsets vertrauen auf uns." Er zeigt auf eine Fingernagel große, runde, silberne Batterie auf dem Tisch. "Diese Zelle hat 100 Milliampere-Stunden. Das ist enorm viel für so einen Winzling." Mittelfristig arbeite er mit der Industrie an Headsets, die "fast unsichtbar im Gehörkanal verschwinden", sagt Schein. Und fügt unbescheiden hinzu: "Der Headset-Markt boomt, wir befinden uns in einer riesigen Ramp-Up-Phase." Die Auftragsbücher seien voll. Wenn Schein derzeit also überhaupt ein Problem hat, dann folgendes: die Nachfrage zu erfüllen. Bis Ende 2020 will er die Produktionskapazität von derzeit 60 Millionen auf 100 Millionen pro Jahr hochfahren.

Der Elektrotechnik-Ingenieur arbeitet seit 1992 für "die Varta", wie er die Firma nennt. Seit 2016 ist der Vater dreier Kinder Vorstandschef. Bald könne man im Ohr "fast alles messen", so "medizintechnische Daten wie Puls, Sauerstoffsättigung oder gar Gehirnströme." Die Ohrstöpsel würden zu "Alleskönnern". Stets mit der Maßgabe: Je kleiner die Batterie, desto besser. Diese "Miniaturisierung" ist "gut für uns", sagt Schein: "Je kleiner die Geräte, desto mehr Erfahrung und Präzision ist nötig, umso größer ist unser Wettbewerbsvorteil."

Eine Batterie, die Geschichte schrieb

Das vielleicht berühmteste Foto der Menschheit wurde mit der Energie einer Varta-Batterie geschossen. Es zeigt US-Astronaut Neil Armstrong im Juli 1969 bei seinem Spaziergang auf dem Mond. Auch der Abenteurer Fridtjof Nansen hatte auf seiner Nordpolexpedition anno 1896 Batterien aus dem Hause Varta im Gepäck. Gegründet wurde die Firma 1887 in Hagen als "Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems Büsche & Müller OHG" (AFA). 1904 wurde die Tochter Varta geboren, ihr Name ist ein Akronym für "Vertrieb, Aufladung, Reparatur transportabler Akkumulatoren". 1946 ließ sich Varta in Ellwangen nieder. 2002 folgten Aufspaltung und Verkauf der drei Geschäftsbereiche Mikrobatterien, Handelsbatterien und Autostarter-Batterien. 2007 kaufte der österreichische Investor Michael Tojner mit seiner Montana Tech Components AG die Mikrobatterien-Sparte. 2017 brachte er sie an die Börse, bis heute ist er mit 60,48 Prozent Hauptaktionär. Der Rest befindet sich im Streubesitz. Stefan Mayr

Kurz vor Vollendung ist jener Coup, den Schein im Mai verkündete: die Wiedervereinigung mit der Ex-Konzernschwester Varta Consumer Batteries. Dieses Unternehmen wurde 2002 abgespalten und verkauft, es sitzt 50 Kilometer südlich in Dischingen und stellt die allseits bekannten Geräte-Batterien mit dem gelben Dreieck her. Mit diesem Rückkauf habe die Varta AG künftig einen perfekten Zugang zum Einzelhandel, sagt Schein. Wenn die Kartellbehörden zustimmen, würde Varta AG den Jahresumsatz auf 600 Millionen Euro verdoppeln, die Mitarbeiterzahl würde von 2400 auf 3800 springen.

In Hannover sitzt noch eine dritte Firma mit demselben Namen: Varta Automotive stellt Starterbatterien für Autos her. An einem Rückkauf dieser Firma hat Schein aber kein Interesse. Stattdessen werkelt er an einem viel ehrgeizigeren Projekt: Er will auf den Boom der Elektromobilität aufspringen und Varta zum Hersteller von Auto-Batteriezellen machen. Hierfür führt er ein Konsortium von 30 Firmen aus fünf europäischen Ländern an, das sich bei der EU für die Förderung einer Batteriezellen-Produktionsstätte bewirbt. Die EU will eine solche Fabrik als so genanntes IPCEI-Projekt (Important Project of Common European Interest) fördern. Derzeit prüft die EU-Kommission, ob das Konzept gemeinsamen europäischen Interessen dient. Dann wäre ein Milliarden-Zuschuss möglich.

Bekommt Varta den Zuschlag, würde das den Aktienkurs wohl noch höher treiben. Analysten haben jüngst ihr Kursziel bis auf 80 Euro erhöht. "Wir prognostizieren eine starke Beschleunigung des Wachstums", sagt Stephan Klepp von der Commerzbank. "und empfehlen den Kauf der Aktie."

Folge 3: Die Mietwagenfirma Sixt am kommenden Freitag, 16. August.

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