Die Siemens-Hauptversammlung:"Die haben bis zur letzten Patrone gekämpft"

Siemens-Chefkontrolleur Gerhard Cromme steht wegen der Korruptionsaffäre eine turbulente Hauptversammlung bevor. Doch schwierige Situationen ist der Krupp-Sanierer gewöhnt.

M. Balser, T. Fromm und K. Ott

Gerhard Cromme weiß, dass es eine schwierige Hauptversammlung wird, zu der Siemens an diesem Donnerstag lädt. Vielleicht die schwierigste seines Lebens. Für jemanden, der jahrelang zu den am meisten beschäftigten Aufsichtsräten der Republik gehörte, will das schon etwas heißen.

Gerhard Cromme; dpa

Gerhard Cromme: Der Siemens-Aufsichtsratschef muss sich bei der Hauptversammlung den Aktionären stellen.

(Foto: Foto: dpa)

Viele Aktionäre werden ihrem Ärger lauthals Luft verschaffen. Und Cromme wird vor den Aktionären stehen und das sagen, was er seit Monaten sagt. Dass der Konzern trotz der milliardenschweren Schmiergeldaffäre gesund und auf dem richtigen Weg ist. Und dass er, Cromme, alles daran setze, die Schmiergeldaffäre aufzuklären.

Vieles ist passiert seit der Hauptversammlung im vergangenen Jahr. Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer ging. Cromme rückte als Chefkontrolleur nach. Vorstandschef Klaus Kleinfeld trat ab, Cromme holte mit dem Österreicher Peter Löscher einen neuen Konzernchef.

"Einer muss es machen"

Im vergangenen Sommer, als sich das Führungsvakuum und die Schmiergeldaffäre bei Siemens zu einer explosiven Mischung zusammenbrauten, zögerte Cromme nicht lange. Reiste mit Finanzchef Joe Kaeser nach London und beruhigte die Aktionäre. "Einer muss es machen", sagte er damals. Cromme fand, dass er es machen sollte. So wurde der große Konzernumbau bei Siemens vor allem sein Werk.

Es ist gerade mal ein paar Wochen her, da soll sich Cromme engen Mitarbeitern gegenüber entsetzt darüber gezeigt haben, dass Kleinaktionäre ihn gerne ersetzen wollen, um einen Neuanfang auch an der Spitze des Aufsichtsrats zu starten. Ausgerechnet ihn.

War er nicht selbst Teil des Neuanfangs? War es nicht er gewesen, der den Konzernumbau vorangetrieben hatte? Der heute als Siemens-Aufsichtsratschef auch als wichtiger Ansprechpartner für die US-Börsenaufsicht SEC fungiert?

Immerhin muss Siemens keinen anderen Strafverfolger so sehr fürchten wie die amerikanische SEC. Sie kann drakonische Strafen verhängen - Geldstrafen, den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und die Verbannung von der Börse. Cromme sehe sich als Garant für das Vertrauen der Behörde in die Aufräumarbeiten des Konzerns, sagt ein Vertrauter.

"Die haben bis zur letzten Patrone gekämpft"

Im Dezember reiste Cromme zusammen mit Konzernchef Löscher selbst ins Machtzentrum der Vereinigten Staaten. Nur einen Kilometer vom Weißen Haus entfernt traf sich die Siemens-Spitze erstmals mit hochrangigen Vertretern des US-Justizministeriums und der SEC. Die amerikanischen Strafverfolger behandelten den Konzern hart aber fair, hieß es später aus dem Umfeld des Aufsichtsrates.

Kritische Fragen

Längst hat sich Cromme bei Siemens unentbehrlich gemacht. Erst vor vier Jahren rückte der heute 64-Jährige in den Aufsichtsrat des Konzerns ein. Anfangs habe sich der Mann aus dem Ruhrgebiet in München nicht sehr hervorgetan, erinnert sich ein Kontrolleurskollege.

Im Januar 2005 fragte ihn der scheidende Aufsichtsratschef Karl-Hermann Baumann, ob er Vorsitzender des Prüfungsausschusses werden wolle. Cromme zögerte zuerst. Dann sagte er zu. Dem damaligen Chef der Anti-Korruptionsabteilung Compliance sagte der Stahlmann, er werde sein Augenmerk künftig vor allem auf die Prävention richten.

Bei Verstößen werde er klare Konsequenzen fordern und energisch nachhaken. Und im Ausschuss selbst verlangte Cromme bei der ersten Sitzung, die er leitete, "hinreichende Maßnahmen", um etwaige Strafzahlungen zu vermeiden.

Vielleicht hätte Cromme ja doch an der einen oder anderen Stelle hellhörig werden können. Etwa Anfang 2006, als im Prüfungsausschuss bekannt wurde, dass in der Schweiz über mehrere Jahre hinweg 37 Millionen Euro auf Konten des Vizechefs von Siemens in Griechenland geflossen waren.

So etwas riecht förmlich nach schwarzen Kassen. Andererseits wurde Cromme und dessen Kollegen bei der nächsten Sitzung von Compliance-Mitarbeitern stolz mitgeteilt, es liege ein neuer Auszug aus dem Gewerbezentralregister vor, der für Siemens erstmals keine negative Eintragung mehr aufweise.

Wilde Zeiten

Erst als im November 2006 rund 200 Ermittler Konzernbüros in mehreren Ländern durchsuchen, wird Cromme schlagartig die Dimension des Falls klar. Einflussreiche Aufsichtsräte fädeln den Wechsel an der Konzernspitze ein. Im April 2007 kündigen Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer und Konzernchef Klaus Kleinfeld ihren Rückzug an. Dem, erinnern sich Vertraute Crommes, seien heftige Machtkämpfe vorausgegangen.

Viele aus der alten Garde bei Siemens wollten keine neuen Herren haben. "Die haben bis zur letzten Patrone gekämpft", sagt einer, der das hautnah erlebt hat. Es wurde viel telefoniert und intrigiert, um Spitzenpolitiker aus Bayern und Berlin, Finanzinvestoren und andere einflussreiche Leute gegen den Aufsichtsrat in Stellung zu bringen - auch Ex-Konzernchef Kleinfeld soll versucht haben, mit Hilfe des Bundeskanzleramts Einfluss zu nehmen.

Als Crommes größte Stütze erwies sich in diesen Tagen ausgerechnet der damalige Vizechef der IG Metall, Berthold Huber, heute Vorsitzender der Gewerkschaft. In kleinem Kreise bezeichnete ihn Cromme als "Fels in der Brandung".

"Die haben bis zur letzten Patrone gekämpft"

Was Cromme bei all dem half: Als der Fall Siemens explodierte, war er schwierige Situationen gewöhnt. Radikal veränderte er schon die Unternehmenslandschaft im Ruhrgebiet. 1986 holte der damalige Aufsichtsratschef Berthold Beitz den Sanierer vom französischen Baustoffhersteller Saint Gobain zum angeschlagenen Krupp-Konzern - der entscheidende Karrieresprung im Leben des Wirtschaftswissenschaftlers und promovierten Juristen aus Vechta.

Ein Jahr später zettelt Cromme einen der härtesten Arbeitskämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik an. Als durchsickert, dass er das Krupp-Hüttenwerk in Duisburg-Rheinhausen schließen will, brechen die Dämme.

"Mit beiden Beinen auf dem Boden stehen"

Die Bilder sind inzwischen Zeitgeschichte: Da steht ein noch junger Cromme im beigefarbenen Trenchcoat vor der Rheinhausener Hütte und erklärt wütenden Arbeitern die Gründe für die Werksschließung. Die Stimmung kocht; Cromme fliegen rohe Eier entgegen. Jahre später, auf diese Zeit angesprochen, sagte Cromme: "Wenn Sie in Krisensituationen sind, müssen Sie mit beiden Beinen auf dem Boden stehen."

Als aufgebrachte Arbeiter das Wohnhaus Crommes auf dem so genannten Millionenhügel im Süden Essens belagern und sogar Morddrohungen ausgesprochen werden, lässt Cromme seine Familie nach Frankreich bringen. Seither gilt Crommes Haus an der Côte d'Azur als wichtiges Refugium. Nicht nur in Krisenzeiten.

Kaltschnäuzig trieb Cromme in den Jahren darauf die Konsolidierung der Stahlbranche voran. 1992 fädelt er mit Hilfe einer Schweizer Großbank ein, was als erste feindliche Übernahme auf deutschem Boden in die Geschichte eingehen sollte.

Cromme übernimmt den börsennotierten Dortmunder Konkurrenten Hoesch. Fünf Jahre später fusioniert Cromme sein Unternehmen mit der größeren Thysssen AG. Für den ehemaligen Mercedes-Vorstand und Krupp-Aufsichtsrat Werner Niefer, der 1993 starb, bewegte sich Cromme damals "am Rande der Brutalität".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: