Süddeutsche Zeitung

Brexit-Verhandlungen:Die nächste Brexit-Provokation der EU

  • Die EU droht damit, dass der Handel mit Euro-Wertpapieren nach dem Brexit nicht mehr in Großbritannien abgewickelt werden darf. Dieses Milliardengeschäft müssten die Banken dann in die EU verlagern.
  • Schätzungen zufolge könnten in Großbritannien durch den Brexit bis zu 75 000 Jobs in der Finanzbranche verloren gehen. Viele EU-Städte hoffen dagegen darauf, von den Veränderungen profitieren zu können, darunter auch Frankfurt.

Von Björn Finke, London, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Von London aus betrachtet ist das schon die dritte Provokation in dieser Woche. Die Brexit-Verhandlungen haben noch nicht einmal begonnen, und in Brüssel hören sie einfach nicht auf, die Briten zu reizen. Erst der durchgestochene Bericht über das Brexit-Dinner, dann das harte Verhandlungsmandat mit der 100-Milliarden-Rechnung und jetzt auch noch das: Die EU droht damit, dass der Handel mit Euro-Wertpapieren nach dem Brexit nicht mehr in Großbritannien abgewickelt werden darf. Dieses Milliardengeschäft müssten die Banken dann in die EU verlagern.

In Brüssel war der für die Finanzmärkte zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis sichtlich bemüht, den Furor aus dem Vereinigten Königreich zu dämpfen. Es sei noch nichts entschieden, sagte der Kommissions-Vizepräsident, aber "wir müssen untersuchen, welche Auswirkungen der Brexit auf die Stabilität der Finanzmärkte hat". Bisher ist London der wichtigste Handelsplatz für das sogenannte Euro-Clearing. Dabei geht es um die Abwicklung des Handels mit Euro-Wertpapieren, mit Derivaten. Das sind Finanzverträge, die Banken oder Unternehmen abschließen, um sich zum Beispiel gegen Währungs- oder Zinsschwankungen abzusichern.

Zuständig sind dafür in Europa die Clearinghäuser der Deutschen Börse oder eben der London Stock Exchange. Doch die Gewichte sind höchst ungleich verteilt: Drei Viertel des gesamten Geschäfts läuft derzeit über London. Täglich wechseln dort Derivate im Wert von etwa 850 Milliarden Euro den Besitzer.

EU-Kommissar Dombrovskis will die Aufsichtsregeln für das Clearing vereinfachen. Aus seiner Sicht gibt es drei Möglichkeiten, von denen eine London besonders hart treffen würde. Da Großbritannien nach dem Brexit nicht mehr im Hoheitsgebiet der EU-Finanzaufsicht ist, könnte die Europäische Union darauf bestehen, dass das Clearing-Geschäft von London nach Kontinentaleuropa verlagert wird. Eine Alternative wäre, dass der Handel in London bleibt, aber EU-Aufseher weiter das Clearing dort überwachen. Damit dürfte allerdings die britische Regierung ein Problem haben; schließlich will sich das Vereinigte Königreich nach dem Brexit nicht mehr EU-Regeln unterwerfen.

Bleibt die dritte Option: Die EU könnte die britischen Aufsichtsregeln als gleichwertig anerkennen. Das Clearing bliebe an der Themse und würde von britischen Behörden kontrolliert. Das wäre die in London favorisierte Lösung. Bis Sommer will die Kommission Vorschläge präsentieren.

Die Bankenlobby in London ist alarmiert. Miles Celic, Chef des Branchenverbands The City UK, sagt, eine erzwungene Verlagerung des Euro-Clearing aufs Festland sei "im Interesse von niemandem und gänzlich vermeidbar". Der Derivatemarkt in London verfüge über die nötige Größe, Infrastruktur und Expertise, um diese Geschäfte so billig wie möglich abzuwickeln. Den Markt zu zersplittern, würde nur die Kosten für die Kunden hochtreiben, sagt der Lobbyist. "Außerdem findet dieses Euro-Clearing auch in New York statt. Warum sollte es dann in London verboten sein?" fragt er. "Das wäre unlogisch und protektionistisch."

Großbritannien wird nach dem Brexit auch nicht am EU-Binnenmarkt teilnehmen

Clearinghäuser selbst beschäftigen nicht viele Mitarbeiter, daher würde eine Verlagerung nur vergleichsweise wenige Jobs an der Themse bedrohen. Aber die Finanzkonzerne befürchten höhere Kosten. Der angriffslustige Kurs der Kommission deutet zudem darauf hin, dass die Verhandlungen Londons mit Brüssel bei Finanzmarkt-Themen generell schwierig werden. Das sind keine schönen Aussichten für Londons Banken, Fondshäuser und Versicherer, die bisher problemlos auf dem ganzen Kontinent Geschäfte tätigen können. Sie benötigen dafür keine Genehmigungen der einzelnen Staaten, die britische wird überall anerkannt. Fachleute sprechen davon, dass die Konzerne einen EU-Pass für ihre Services haben.

Großbritannien wird nach dem Brexit auch nicht am Binnenmarkt der EU teilnehmen. Damit gilt die praktische EU-Pass-Regelung für britische Finanzfirmen nicht mehr. Wollen die Konzerne weiter ohne Hürden Kunden auf dem Festland bedienen, müssen sie in einem EU-Staat Genehmigungen einholen. Dafür ist es nötig, Abteilungen und Tausende Jobs von London in diesen Mitgliedstaat zu verschieben.

London ist Europas wichtigster Finanzplatz. Die Branche und von ihr abhängige Dienstleister, etwa Wirtschaftsprüfer, beschäftigen dort 751 000 Angestellte. Das sind mehr Menschen, als Frankfurt Einwohner hat. Die Berater von Oliver Wyman schätzen, dass durch den Brexit in der Branche schlimmstenfalls 75 000 Jobs verloren gehen könnten - nicht nur in London, sondern im ganzen Königreich.

Die Finanzbranche setzt auf ein Freihandelsabkommen

Allerdings geben Londons Banken die Hoffnung nicht auf, dass sie trotz des Verlusts der EU-Pässe weiter auf dem Festland aktiv sein können. Dann würden wohl nur wenige Tausend Jobs verlagert. Premierministerin Theresa May will mit Brüssel ein Freihandelsabkommen abschließen, damit nach dem Brexit keine Zölle eingeführt werden. Die Finanzbranche setzt darauf, dass dazu auch eine Abmachung über Banken und Versicherer gehört. Geht es nach den Wünschen der Finanzlobby, einigen sich Großbritannien und die EU, ihre Aufsichtsregeln und sonstigen Finanzmarkt-Vorschriften als gleichwertig anzuerkennen. Genau das schlägt EU-Kommissar Dombrovskis ja als dritte Option für die Zukunft des Londoner Euro-Clearing vor.

Kommt so ein Vertrag zustande, könnten britische Banken weiter problemlos Kunden auf dem Kontinent bedienen. Ob sich beide Seiten auf eine solche Lösung einigen, ist aber ungewiss. Londons Banken sorgen daher vor. Sie fangen an, Abteilungen aufs Festland zu verlagern. Der US-Konzern JP Morgan Chase gab in dieser Woche bekannt, Hunderte Stellen aus London abzuziehen. Die britische Bank Standard Chartered baut ihr Frankfurter Büro aus.

Der Brexit steht erst in zwei Jahren an, doch er schadet London schon jetzt.

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SZ vom 05.05.2017/vd
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