Süddeutsche Zeitung

Die Macht der Supermärkte:Die Bananendiktatur

Gliederschmerzen und Atemnot durch Pestizide, zwölf und mehr Stunden Arbeit am Tag: Die großen Lebensmittelhändler in Deutschland tragen einer Studie zufolge dazu bei, dass Arbeiter in Costa Rica und Ecuador menschenunwürdige Arbeitsbedingungen ertragen müssen. Das ließe sich ändern.

Sarina Märschel

Es geht um Geld, um Macht, vor allem aber geht es um Elend und die Frage, ob es zu verhindern wäre: Die Studie, die die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam am Montag in Berlin vorgestellt hat, trägt den Titel "Endstation Ladentheke". Die zentrale These: Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro nutzen ihre marktbeherrschende Stellung rigoros aus. Und sind dadurch mitschuld, dass Arbeiter in Entwicklungsländern für Hungerlöhne arbeiten müssen und ihre Arbeits- und Menschenrechte missachtet werden.

Die Supermärkte und Discounter, so der Vorwurf, sind als neue Akteure in den Kreislauf von Preisdruck und miesen Arbeitsbedingungen eingestiegen. Die großen Ketten diktieren den Lieferanten die Preise und ziehen ihnen durch unfaire Einkaufspraktiken das Geld aus der Tasche. Die Zulieferer wiederum reichen die niedrigen Preise nach unten durch. Die Arbeiter am Ende der Kette tragen die größte Last.

"Bereits jetzt führt der Preisdruck dazu, dass die Lieferanten Arbeits- und Menschenrechte verletzen, um in dem harten Wettbewerb gut abzuschneiden", sagt Marita Wiggerthale, Handelsexpertin bei Oxfam Deutschland. Sie hat versucht, am Beispiel des Bananen- und Ananasmarktes diese Lieferkette nachzuzeichnen. Im Rahmen der Studie untersuchte sie, wie die Früchte von den Plantagen in Costa Rica und Ecuador in deutsche Obstschalen kommen.

Keine schönen Fakten

Die Recherchen waren mühsam: Zunächst hatte Wiggerthale die Supermarktkonzerne mit der Bitte angeschrieben, ihre Bananen- und Ananaszulieferer zu nennen - sie bekam keine einzige Antwort auf ihre Anfrage. Wiggerthale sprach daraufhin mit zahlreichen Ananas- und Bananenlieferanten, sie nahm Kontakt zu einer Arbeitsrechtsorganisation in Costa Rica und zu einem Agrar-Forschungszentrum in Ecuador auf.

Auf 55 Seiten hat die Oxfam-Handelsexpertin ihre Erkenntnisse nun zusammengetragen. Es sind keine schönen Fakten, die Wiggerthale präsentiert: Arbeiter in den Ananas- und Bananenplantagen seien in hohem Maße gesundheitsschädlichen Pestiziden ausgesetzt, berichtet sie. Und: Arbeiter klagen über Augenschäden, Nasenbluten, Verbrennung der Haut, Übelkeit und Erbrechen. Anwohner flüchten vor den Flugzeugen, die die Pestizide über die Plantagen sprühen - und auch über die Menschen.

Wiggerthale berichtet auch, dass auf den Bananenplantagen Ecuadors nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 30.000 Kinder arbeiten. Dass die Menschen auf den Ananasfeldern in Costa Rica üblicherweise zwölf Stunden und länger schuften müssen. Dass der Lohn für einen solchen Knochenjob im Schnitt bei 75 Cent pro Stunde liegt. Und sie fand heraus, dass die Lieferanten in Ecuador und Costa Rica systematisch die Bildung von Gewerkschaften verhindern. Beispielsweise dadurch, dass Plantagenarbeiter häufig versetzt werden - so schnell, dass sie sich in der kurzen Zeit kaum organisieren können. Das nimmt den Menschen die Chance, sich zu wehren.

Die Zulieferer selbst sind laut Oxfam Deutschland in hohem Maß von den Lebensmitteleinzelhändlern abhängig, da diese das Nadelöhr zum Kunden sind - weil fünf Supermarktketten rund 70 Prozent des Marktes bedienen, führt kaum ein Weg an ihnen vorbei. Und offenbar nutzen die großen Fünf diese Position nach Kräften aus: Zulieferer berichteten, dass die Supermarktkonzerne viele Kosten und Risiken auf die abhängigen Unternehmen abwälzten. Sie verlangen offenbar Regalmieten und unentgeltliche Dienstleistungen, Jubiläumsboni und Zuschüsse für die Neueröffnung von Geschäften und verpflichten die Lieferanten dazu, verdorbene oder beschädigte Ware zurückzunehmen.

Oxfam wendet sich nun mit der Forderung an das Bundeskartellamt, um zu prüfen, inwieweit die Lebensmitteleinzelhändler ihre Einkaufsmacht missbrauchen. Falls sich der Verdacht bestätigt, verlangt Oxfam von der Bundesregierung, dass das Ausnutzen der Marktmacht bestraft wird. Zudem sollten deutsche Einzelhändler und Importunternehmen nach Ansicht der Hilfsorganisation dazu verpflichtet werden, ihre internationalen Geschäfte unter Beachtung der Menschenrechte auszuüben. Um faire Arbeits- und Produktionsbedingungen zu gewährleisten, sollte sich die Bundesregierung laut Oxfam für verbindliche Regeln auf internationaler Ebene einsetzen.

Politik mit dem Einkaufskorb

Die Bürger könnten derweil Politik mit dem Einkaufskorb betreiben, indem sie Bio- und Fairtrade-Produkte kaufen. Dass die Arbeiter bei Bioprodukten allerdings faire Löhne bezahlt bekommen, kann Oxfam nicht sicher belegen. "Aber wenn die Arbeiter keinen Pestiziden ausgesetzt sind, ist das schon eine erhebliche Verbesserung", urteilt Wiggerthale.

An die Lebensmitteleinzelhändler gewandt besteht Oxfam darauf, dass diese ihre Einkaufspolitik ändern. Supermarktketten dazu zu bewegen, Verantwortung zu übernehmen, könnten jedoch vor allem die Verbraucher. Denn bislang scheinen die Supermarktketten nicht einmal daran zu denken, mehr auf die Menschen am Ende der Lieferkette zu achten. Edeka jedenfalls, zitiert Wiggerthale den Konzern, möchte seine Beschaffungsmacht weiter einsetzen, um seine Ziele zu erreichen.

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