Die Finanzbranche und ihre Schleichwerbung im Fernsehen:20.000 Euro für einen Beitrag mit Experten-Auftritt

Finanz-Unternehmen wie AWD oder WWK zahlten in den vergangenen Jahren hohe Honorare, um ihre Themen und Experten unterzubringen. Und Sat 1 gab zu, gesetzlich verbotene Schleichwerbung ausgestrahlt zu haben.

Thomas Öchsner und Klaus Ott

Wer ein Haus oder eine Wohnung besitzt, braucht in der Regel eine Wohngebäude-Versicherung. Bloß welche? Und wie teuer darf so eine Police sein? Darum kümmerte sich - vor drei Jahren schon - auch das Frühstücksfernsehen von Sat 1.

Die Finanzbranche und ihre Schleichwerbung im Fernsehen: Bei Sat 1 durften AWD-Experten auftreten und Fragen des Moderators beantworten. Offiziell floss das Honorar für das Recht, den Beitrag unternehmensintern zu verwenden.

Bei Sat 1 durften AWD-Experten auftreten und Fragen des Moderators beantworten. Offiziell floss das Honorar für das Recht, den Beitrag unternehmensintern zu verwenden.

(Foto: Bild: Screenshot)

Als Expertin im Studio trat Beraterin Doris K. von AWD Deutschland auf. Der Finanzvertrieb, dessen etwa 6000 selbstständige Handelsvertreter vor allem Versicherungen und Investmentfonds verkaufen, wirbt für sich mit dem Slogan "Ihr unabhängiger Finanzoptimierer".

Die AWD-Expertin durfte viel reden, und der Moderator fragte artig nach. Etwa, an wen sich die Zuschauer wenden könnten. Doris K. antwortete, am besten an einen "unabhängigen Finanzexperten". Der könne "individuell herausfinden, was notwendig und richtig ist".

Florierende Geschäfte

Was das Publikum in diesen Fall und bei vielen anderen Berichten nicht erfuhr: AWD hatte viel Geld bezahlt, damit die eigenen Berater in Sat 1 auftreten konnten und der Name des Finanzvertriebs genannt wurde.

Das Unternehmen aus Hannover ließ kaum eine Gelegenheit aus, Themen und Experten zu platzieren, um die Zuschauer zu Kunden zu machen: Auto, Haus, Sparen, Steuern, Beruf, Unfallvorsorge, Krankheit, Kinder, Rente, Urlaub, Fonds, alles kam vor. Oft trat ein AWD-Ratgeber auf, und häufig kam der Tipp, der Zuschauer möge einen unabhängigen Finanzexperten aufsuchen.

Mehr als 20.000 Euro ließen sich die Hannoveraner eine Episode im Schnitt kosten. Solche Beiträge brachte Sat 1 schon im Juli 2000, also kurz vor dem Börsengang von AWD im Oktober 2000.

Mit Empfehlungen zum Aktien- und Rentenmarkt endete im November 2002 die AWD-Serie, die länger lief als manche Seifenoper im Fernsehen. Abgewickelt wurde das Geschäft über eine Agentur namens Connect-TV.

Laut internen Listen der Agentur, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, überwies AWD von Mitte 2000 bis Ende 2002 insgesamt rund 1,1 Millionen Euro für 52 Beiträge und Interviews.

Der Finanzvertrieb war nicht das einzige Unternehmen, das seine Anliegen bei Sat 1 unterbrachte. Viele Firmen und Konzerne aus anderen Wirtschaftszweigen schlichen sich ebenfalls nur zu gerne ins Programm ein. Zwei Branchen sind indes besonders anfällig für diese Form der PR: Die Pharma- und eben die Finanzindustrie.

Schon in den neunziger Jahren empfahl sich die Bausparkasse BHW in Sat 1 als Helfer beim Häuslebau. "Sie erhalten mit geringen Spar-Raten genau zum richtigen Zeitpunkt das zinsgünstige Bauspardarlehen, und auch die Tilgung erfolgt in bequemen Monatsbeiträgen", verkündete ein BHW-Experte. Der angeblich seriöse Verbrauchertipp erwies sich hinterher als verkappter Werbespot.

Die Medienaufsicht rügte Sat 1 für den Gesetzesverstoß, doch den Privatsender kümmerte das wenig. Nach der Jahrtausendwende florierten die Geschäfte weiter, nicht nur mit AWD.

Auch ein anderer großer Kunde aus der Geldbranche kam bei Sat 1 ins Programm, die WWK-Gruppe. Die wollte vor allem ihre Lebensversicherungen verkaufen. Die WWK zahlte für bis zu vier Beiträge pro Quartal, 20 000 Euro pro Stück, bis ins Jahr 2005 hinein.

Erst als die Schleichwerbeaffäre bei der ARD in diesem Sommer hochkochte, fragte sich die Chefin der WWK-Öffentlichkeitsarbeit, Ursula Schwarz, ob solche Kooperationen "aktuell noch machbar" seien.

"Nicht nachvollziehbar"

Nach der ARD hat auch Sat 1 zugegeben, verbotene Schleichwerbung gezeigt zu haben. So sieht AWD für die Verstöße auch keine Schuld bei sich, zuständig sei der Privatsender.

Sat 1 habe über einen Vermittler um sachkundige Gesprächspartner für Live-Interviews gebeten. AWD habe die TV-Beiträge weder produziert noch platziert. "Die Ausstrahlung der Beiträge stand allein in der Verantwortung des Senders, der hierfür mit vollumfänglichen Wissen auch von Justiziar und Geschäftsführung die Plattform gegeben hat", sagte ein AWD-Sprecher auf Anfrage.

Zur Anzahl der Beiträge und der Höhe der Honorare erklärte AWD nur, die von der SZ genannten Zahlen seien "für uns nicht nachvollziehbar". Man habe nur die Rechte an den Beiträgen zur späteren "Zweitverwertung im internen Bereich" erworben.

Vielleicht sollte die AWD Holding AG in Hannover noch einmal die Rechnungen von Connect durchschauen, die im Bereich Presse/Öffentlichkeitsarbeit eingingen. Da sind die Summen genannt, und der eigentliche Zweck. Zum Beispiel: "TV-Projekt Sat.1, Thema: Rentenmarkt...Sendetermine: 25. 11. 2002 Sat.1 Frühstücksfernsehen, 27. 11. 2002 Live aus Berlin." Eingefügt ist: "Kosten für Rechteerwerb: 20 450 Euro."

Die Schleichwerbung von AWD und der WWK in Sat 1 ist inzwischen auch ein Thema für die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG). Das ist der Berufsverband der PR-Fachleute in Deutschland. "Wir werden beide Unternehmen um eine Stellungnahme bitten und dann das weitere Vorgehen beraten" , sagte DPRG-Präsident Ulrich Nies.

"Hinter's Licht geführt"

Dabei könnte ein Rüge herauskommen. Denn nach den Richtlinien des Deutschen Rates für Public Relations liegt unzulässige Schleichwerbung vor, wenn für die Darstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung "ein Platzierungs-Entgelt gezahlt wird, ohne dass dies für Leser, Hörer oder Zuschauer erkenntlich ist".

Kritik kommt auch von Verbraucherschützern, gerade was AWD angeht. Sie bestreiten schon lange, dass der Finanzvertrieb wirklich unabhängig seine Kunden berät. Entsprechend scharf fällt die Reaktion von Edda Castello, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg, aus: "AWD führt die Kunden doppelt hinter's Licht: Erst kassieren sie hohe Provisionen für eine ganz und gar nicht unabhängige ,Beratung'. Davon wird dann Schleichwerbung bezahlt, die den Zuschauern wiederum Unabhängigkeit vorgaukelt."

Auch Wolfgang Scholl, Finanzexperte der Bundeszentrale Verbraucherverband (vzbv), ist empört: "In seiner Eigenwerbung stellte sich AWD stets als unabhängiger Finanzoptimierer dar. Vor diesem Hintergrund ist der den Zuschauern jeweils erteilte Rat, man möge sich an unabhängige Finanzexperten wenden, nichts anderes als versteckte Werbung für AWD."

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