Die Zukunft der betrieblichen Mitbestimmung zählt nicht zu den Themen, über die sich die Ampelkoalitionäre derzeit täglich den Kopf zerbrechen. Sie steht aber auf der Aufgabenliste von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Sozialdemokraten, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, sie werden die Mitbestimmung "weiterentwickeln", sie haben den Unterpunkt auf einer knappen halbe Seite abgehandelt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kann sich da auch etwas mehr vorstellen und hat zusammen mit seinen Mitgliedern IG Metall und Verdi am Mittwoch einen Gesetzentwurf für ein neues Betriebsverfassungsgesetz vorgelegt, der 68 Seiten einnimmt. Man präsentiere die Vorschläge mit einer klaren Erwartung an die Ampel: "Packt es an, setzt es um", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann in Berlin.
Die Gewerkschafter treibt das Thema durchaus um, sie sehen ein stetiges Bröckeln der betrieblichen Demokratie. Betriebsratsarbeit werde behindert, Mitbestimmungsrechte durch internationale Unternehmenskonstruktionen umgangen, neue digitale Möglichkeiten zu wenig kontrolliert, so der Befund. Als Konsequenz daraus schwebt den Gewerkschaftern eine Generalsanierung der betrieblichen Mitbestimmung vor, man kann auch sagen: mehr Mitbestimmungsmacht für die Betriebsräte bei vielen Themen.
Konkret verlangt der DGB, dass Betriebsrätinnen und Betriebsräte künftig auch über Umwelt- und Klimaschutz in Unternehmen mitentscheiden sollen, etwa bei der Umstellung auf eine umweltfreundlichere Produktion. Solche Entscheidungen dürften gerade im laufenden Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft häufiger anstehen. Auch die Gleichstellung der Geschlechter soll per Betriebsrat vorangetrieben werden. Kernpunkt ist dem Gesetzentwurf zufolge ein Initiativ- und Mitbestimmungsrecht des Arbeitnehmergremiums für Schritte, die "Entgeltgerechtigkeit" herstellen sollen - in der Regel eine gleiche und damit höhere Bezahlung von Frauen, wenn sie die gleiche Arbeit leisten wie Männer.
Die Gewerkschafter wollen den Einfluss der Arbeitnehmervertreter auch bei den großen Trends der betrieblichen Veränderungen gesichert sehen, die sich aus Globalisierung, Digitalisierung und der Alterung der Gesellschaft ergeben. Beschäftigte müssen, da sind sich die Fachleute weitgehend einig, mehr als bisher weitergebildet, Arbeitsplätze gesichert werden. Wie die Jobs gerettet werden, dazu dürfen Betriebsräte bisher Vorschläge machen und beraten, für Arbeitgeber ist das mitunter eine lästige Pflichtübung, aber auch nicht mehr. Künftig soll der Betriebsrat mitbestimmen dürfen, so die Forderung. Auch bei der Personalplanung soll bei Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern kein Weg mehr am Betriebsrat vorbeiführen. "Entgrenzung und Verdichtung sind Mega-Themen", schreibt der DGB zur Erläuterung. Gerade in Zeiten des Wandels sei "der Interessenausgleich von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit".
Durch den Umbau der Industrie besteht großer Handlungsbedarf
In dieser Richtung geht es weiter im Gesetzentwurf: Die Betriebsräte sollen künftig mitentscheiden über digitale Möglichkeiten zur Kontrolle der Arbeit, die eingeschränkte Mitbestimmung bei Kirchen- und Medienunternehmen müsse fallen, Leiharbeiter und arbeitnehmerähnliche Beschäftigte in die betriebliche Demokratie einbezogen werden.
Wie groß ist die Hoffnung von Reiner Hoffmann, dass diese Wunschliste umgesetzt wird von einer Koalition mit Beteiligung der FDP, die bisher nicht als Vorkämpferin mächtiger Betriebsräte aufgefallen ist? Er setze seine Hoffnung auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Evaluierung des geltenden Gesetzes, da werde man "ganz viele Schwachstellen identifizieren, die mit unserem Gesetzentwurf aufgegriffen werden", sagte der DGB-Chef. Christiane Benner, Zweiter Vorsitzende der IG-Metall, sagte: Es sei offensichtlich, welch großer Handlungsbedarf durch den Umbau der Industrie bestehe - und dass die Beschäftigten hier beteiligt werden müssten. "In diesem Punkt erlebe ich auch eine Offenheit bei der FDP."