Süddeutsche Zeitung

Deutschlands Gründer:Biete Zukunft, brauche Geld

Wer gründet, braucht Kapital, viel Kapital. Nach Jahren der Zurückhaltung gibt es nun auch hierzulande zahlreiche Geldgeber. Das Klischee vom rückständigen, risikoscheuen Deutschland stimmt so nicht mehr.

Von Lukas Zdrzalek

Am Anfang ist Michael Dreiner ganz auf sich allein gestellt. Am Anfang, da hockt Dreiner in einem kleinen Büro in Köln-Deutz, zehrt von seinem Ersparten und beginnt, seinen Plan Stück für Stück umzusetzen. Er baut auf eigene Kosten ein Unternehmen auf. Die Idee: Die Banken attackieren, eine Onlineplattform erschaffen, auf der Konzerne und Kommunen Kredite erhalten - ohne länger auf Banken angewiesen zu sein. Ein ambitionierter Plan ist das, dessen Gelingen oder Nichtgelingen beispielhaft für die Zukunft Deutschlands steht.

Im Internet-Zeitalter braucht die Republik junge, pfiffige Firmen wie die von Dreiner, die digitale Geschäftsmodelle entwickeln. Und diese Start-ups benötigen fremdes Geld, das Ersparte allein reicht nicht. Die Zukunft ist teuer.

Angesichts dessen erscheint die Geschichte von Dreiner katastrophal, und sie ist längst kein Einzelfall. Mehr als 70 Prozent aller Gründer investieren anfangs auch eigenes Kapital, zeigt eine repräsentative Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa für American Express erstellt hat. Diese hohe Zahl nährt das Vorurteil, die Bundesrepublik sei in Sachen Digitalisierung ein Entwicklungsland.

Doch das Klischee stimmt nicht. Es gibt einen guten Grund, warum Gründer erst eigenes Vermögen investieren. Und nach dieser Frühphase kommen junge Firmen teils sogar ziemlich einfach an Kapital.

Die Erklärung ist simpel: "Start-ups müssen erst mal ein detailliertes Konzept ihres Geschäftsmodells entwickeln, bevor sie fremdes Geld bekommen. Sie müssen etwas vorweisen", sagt Dreiner. Er muss, als er 2014 mit seiner Firma Firstwire loslegt, erst mal überlegen, wer die Software für seine Onlineplattform programmiert. Muss mit potenziellen Kunden sprechen, ob sie sich für seine Idee interessieren. Dreiner entwickelt einen virtuellen Marktplatz für Unternehmen und Kommunen, auf dem sie eigenständig Geldgeber für Millionenkredite finden sollen - statt wie bisher Banken beauftragen zu müssen, die daran gut verdienen. Dreiner holt einen Mitgründer dazu, um den steigenden Arbeitsaufwand zu bewältigen, und gemeinsam finden sie Interessenten, etwa die Stadt Essen.

In der frühen Phase müssen Gründer häufig eigene Mittel einsetzen

Langsam geht ein Start-up so in die zweite Entwicklungsstufe über: Gründer müssen ihr Konzept in die Praxis umsetzen, müssen ihr Produkt marktreif machen, erste Mitarbeiter anstellen. Während die Firma noch nichts verdient, ist das Startkapital bald aufgezehrt. Jetzt braucht das junge Unternehmen zusätzlich fremdes Geld.

Gründer wie Dreiner bekommen bei Banken nur ausnahmsweise einen Kredit. "Zum einen, weil Geldhäuser in der Fläche selten die Kompetenz haben, um einzuschätzen, wie innovativ ein Start-up ist, ob sich eine Investition lohnt", sagt Karel Dörner, Digitalexperte der Unternehmensberatung McKinsey. Zum anderen sind Start-ups sehr riskant, von zehn jungen Unternehmen gehen schätzungsweise acht pleite. "Vielen Banken ist das zu gefährlich, sie scheuen mögliche Verluste", sagt Dörner.

Start-ups sind daher auf Business Angels angewiesen. Das sind meist besonders wohlhabende Einzelpersonen, die oft aus der Wirtschaft kommen, teils selbst gegründet haben. Jungunternehmer wie Dreiner müssen sie im persönlichen Gespräch von ihrer Idee überzeugen; gelingt das, investieren Business Angels meist fünf- bis sechsstellige Beträge in ein Start-up und werden Miteigentümer. So können sie vom späteren Erfolg profitieren. Schön, sollte sich ein Start-up als das nächste Facebook entpuppen. Inzwischen hat es Michael Dreiner geschafft, Geld von Business Angels einzusammeln, genauso wie Christoph Hardt. Seine Geschichte zeigt: In der zweiten Phase kommen junge Firmen inzwischen gut an Geld.

Hardt hat 2014 Comatch gegründet: Das Start-up hat eine Onlineplattform entwickelt, auf der Firmen besonders schnell einen freiberuflichen Unternehmensberater finden können, etwa dank eines Algorithmus. Hardt beginnt Mitte 2014 nach Business Angels zu suchen und erwartet eine schwierige Zeit. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es viele Menschen gibt, die einen hohen fünf- oder sechsstelligen Betrag übrig haben", sagt er.

Doch schnell stößt Hardt auf etliche potenzielle Geldgeber, die sich etwa in Verbänden zusammenschließen und sich auf Branchentreffen zeigen. Mittlerweile sollen in Deutschland gut 8000 Business Angels tätig sein, schätzen Experten. Ein Grund für das große Angebot: "Bei Vermögenden ist es angesichts des Start-up-Booms en vogue, in junge Firma zu investieren", sagt Hardt. Zudem suchten Vermögende neue Wege, ihr Geld anzulegen. Mit klassischen Sparprodukten erzielen sie kaum noch Rendite, weil die Zinsen so niedrig sind. Und noch eine andere Entwicklung sorgt dafür, dass Gründer leichter an Geld kommen: Die Politik hat die Spielregeln für Business Angels verbessert. So erhalten sie beispielsweise seit Jahresbeginn einen Zuschuss von 20 Prozent, wenn sie bis zu 500 000 Euro in die jungen, innovativen Firmen investieren. Um in den Genuss der Förderung zu kommen, müssen die Geldgeber allerdings mindestens drei Jahre lang dabei bleiben, das Start-up wiederum muss währenddessen mindestens eine Niederlassung in Deutschland haben.

Comatch-Gründer Hardt sieht die Herausforderung für junge Unternehmen inzwischen eher darin, "nicht irgendeinen Business Angel zu finden, sondern den passenden". Einen herauszufiltern, der einem Start-up mit seinen Kontakten hilft, Geld für die dritte Phase zu bekommen.

Die Politik hat die Spielregeln für Geldgeber gelockert

Diese Entwicklungsstufe beginnt, wenn das Produkt marktreif ist, wenn Start-ups wachsen wollen. Dann brauchen sie etliche Millionen, um viel stärker als vorher um Kunden zu werben - damit sie Einnahmen haben, aus denen irgendwann Gewinne werden. Jungunternehmer Hardt ist dank eines Business Angels an Kapital für die dritte Phase gekommen, doch bei anderen Firmen hapert es hier noch, klagt der Bundesverband Deutsche Start-ups. Auch Hardt kennt mehrere Unternehmen mit tragfähigem Konzept, die kein Geld bekommen. Das Problem: Es fehlen Leute wie Jan Schultze.

Schultze arbeitet bei Acton Capital Partners, einem Münchner Wagniskapitalfonds, der gleich Millionenbeträge bei Anlegern einsammelt, etwa bei Großinvestoren wie Pensionskassen. Acton-Mann Schultze kann Start-ups deshalb viel eher Kapital fürs Wachstum geben als einzelne Business Angels. Nur verfügen deutsche Wagnisfonds über vergleichsweise wenig Geld, zeigen Daten des Bundesverbandes deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften. In den vergangenen fünf Jahren konnten deutsche Fonds viereinhalb Milliarden Euro einsammeln, in den USA waren es umgerechnet 200 Milliarden Euro.

Der Grund dafür: Wagnisfonds existieren in den Staaten schon seit circa 50 Jahren, weil die Amerikaner traditionell risikofreudiger sind, sagt Schultze. Im konservativeren Deutschland sind Fonds erst vor gut 30 Jahren entstanden. "Viele haben hierzulande lange Zeit nur auf mögliche Verluste geblickt, aber nie die Chancen gesehen", sagt er. Jetzt nehme er langsam einen Mentalitätswandel wahr. So wie die Zahl der Business Angels steige, nehme auch das Interesse an Wagnisfonds zu. "Aber es gibt rechtliche Hürden, etwa für Versicherer", klagt Schultze.

Sie müssen Start-up-Investitionen mit bis zu 49 Prozent Eigenkapital hinterlegen, um mögliche Verluste abzufedern. Legt ein Versicherer 100 000 Euro an, entstehen ihm also quasi 49 000 Euro Kosten. Der Bundesverband Deutsche Start-ups fordert, dass die Unternehmen künftig ein Prozent ihrer Mittel ohne diesen Risikopuffer investieren dürfen. "Start-up-Investitionen können so attraktiver werden, ohne Versicherer zu hohen Gefahren auszusetzen", sagt McKinsey-Experte Dörner. Darüber hinaus könnten Steuernachlässe helfen.

Dem Kölner Gründer Dreiner käme es zupass, wenn die Regeln für Wagnisfonds gelockert würden. Er und sein Team beginnen gerade damit, bei Fonds um Kapital zu werben. Das Gründerdasein dreht sich eben nicht nur um die große Idee, es ist vor allem ein Wettlauf ums Geld.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2017
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