Deutschlands beste Arbeitgeber:Nachmittags zum Reitausflug - und der Chef findet's gut

Familienfreundlichkeit

Das sind die familienfreundlichsten Unternehmen.

(Foto: Süddeutsche Zeitung)

Deutschlands Arbeitgeber erkennen allmählich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer wichtiger wird. Besonders gute Bedingungen für seine Mitarbeiter schafft hierbei Microsoft. Mit Arbeitszeiten, die Zeit lassen für Reiterhof, Ehrenamt und die kranke Oma.

Von Sibylle Haas

Die Art, wie die Leute beim Softwarekonzern Microsoft arbeiten, ist nicht jedermanns Sache. Deshalb hört Ina Bourmer genau hin, was ihr die Bewerber über ihre bisherigen Jobs erzählen. Bourmer, 49, leitet das Recruiting bei Microsoft Deutschland und ist mit dafür verantwortlich, wer bei dem Unternehmen einsteigt. "Wir suchen Leute, die frei arbeiten wollen und können", sagt Bourmer. "Wer aus einem sehr prozessorientierten Unternehmen kommt, für den kann die flexible und selbstbestimmte Arbeitsweise durchaus problematisch sein", erklärt sie.

Denn Selbstdisziplin und die Fähigkeit, sich zu organisieren, seien absolut wichtig für die flexible Arbeitsweise bei dem Softwarekonzern. Bourmer selbst ist seit Anfang Juni bei Microsoft. Die Informatikerin war bei verschiedenen Konzernen und als selbständige Personalberaterin tätig.

"Das Schöne ist, bei Microsoft gibt es keine Anwesenheitspflicht, sondern Vertrauensarbeitszeit und Zielvereinbarungen", erklärt Bourmer. Wann jemand seine Aufgaben erledige und wo, sei seine Sache. Schreibtischarbeit im Büro verliert bei Microsoft an Bedeutung. Der Konzern will künftig noch mehr als bisher auf Home-Office und Vertrauensarbeitszeit setzen.

"Great Place to work"

Microsoft gehört mit 2700 Beschäftigten zu Deutschlands besten Arbeitgebern. So taucht der Konzern im Ranking von "Great Place to Work" immer wieder auf. Auch 2013 hat der Konzern den Wettbewerb der Forschungs- und Beratungsfirma in seiner Größenklasse gewonnen (siehe Grafik). "Microsoft schneidet schon seit Jahren und in vielen Ländern sehr gut ab", sagt Karsten Schulte-Deußen. Er ist als Projektleiter zuständig für die Mitarbeiterbefragung und das Audit bei "Great Place to Work". Die Liste der 100 besten Arbeitgeber erschien 1998 zum ersten Mal in den USA. Inzwischen gibt es Befragungen in 45 Ländern, in Deutschland seit elf Jahren.

Die anonyme Befragung der Mitarbeiter zu Betriebsklima, Führung, Teamgeist oder Fairness macht zwei Drittel der Gesamtnote aus. Das verbleibende Drittel beruht auf Analysen der "Great Place to Work"-Experten. Die nehmen die Personalprogramme unter die Lupe und checken Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

"90 Prozent der Mitarbeiter von Microsoft sagen, dass es ein sehr guter Arbeitgeber ist", sagt Schulte-Deußen. Dies zeige, dass der Konzern viel in die Unternehmenskultur und in die Entwicklung seiner Mitarbeiter steckt. Microsoft habe 2011 auch den Sonderpreis zur Chancengleichheit der Geschlechter bekommen. "Wenn in der Geschäftsführung eines Technologieunternehmens fünf von 13 Mitgliedern weiblich sind, dann ist das schon beachtlich", betont Schulte-Deußen. "Microsoft nimmt es sehr ernst, dass Frauen mit Kindern Karriere machen können. Es findet dort ein gezieltes Coaching statt, es gibt Potenzialanalysen, und der Konzern fördert die Bildung von Netzwerken."

Ein außergewöhnliches Hobby

Zu den Frauen in der Geschäftsleitung gehört Victoria Ossadnik, 45. Sie verantwortet das Services-Geschäft bei Microsoft und hat eine fünf Jahre alte Tochter sowie einen zwölfjährigen Sohn. Kinder seien für Führungsjobs kein Hindernis, sagt sie. Bei Microsoft spiele die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine große Rolle. Seit 1998 bietet das Unternehmen einen Familienservice an, der bei der Betreuung von Kindern und bei der Pflege von Familienmitgliedern unterstützt. "Microsoft übernimmt die Vermittlungskosten und unterstützt finanziell die Kinderbetreuung in den ersten zwei Jahren", heißt es dazu in einer Unternehmens-Präsentation.

"Es wird akzeptiert, dass es Familien gibt", sagt Managerin Ossadnik. Die promovierte Physikerin hält dies für viel wichtiger als das Bereitstellen von betriebseigenen Kita-Plätzen. Für sie erleichtert das flexible Arbeiten "so ziemlich alles". Sie muss nicht an ihrem Schreibtisch im Büro sitzen, um effizient zu sein. Wenn eines der Kinder krank wird, arbeitet sie von zu Hause aus, ist stets mit der Firma verbunden und kann sich auch in Meetings einschalten. Manchmal unternimmt sie am Nachmittag einen Reitausflug mit den Kindern, sitzt um 20 Uhr wieder an ihrem häuslichen Schreibtisch und konferiert mit Kollegen in den USA. "Vielleicht funktioniert das ja in einer IT-Firma besser als in einem klassischen Industriebetrieb", gesteht Ossadnik ein. "Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, anders zu arbeiten", betont sie.

So ähnlich beschreibt das auch Vertriebsleiter Christian Gfüllner, 41. Er ist seit 13 Jahren bei Microsoft, hat Betriebswirtschaft studiert und davor eine Lehre zum Bankkaufmann absolviert. "Ich möchte nicht mehr in solche Prozesse eingebunden sein, wie ich sie bei der Bank erlebt habe", sagt er. Gfüllner ist Vater eines erwachsenen Sohnes und von sechsjährigen Zwillingen. Er teilt sich die Kinderbetreuung mit seiner Frau, die selbständig ist. "Es ist völlig okay, wenn jemand um 16 Uhr geht, weil er die Kinder aus dem Kindergarten holen muss", sagt Gfüllner. So wie das seine Mitarbeiterin macht, die alleinerziehende Mutter ist. "Sie arbeitet dann von zu Hause weiter." Meetings legt Gfüllner zeitlich so, dass es für alle passt. Die Technologie macht es eben möglich. Er selbst hat im vorigen Jahr ein dreimonatiges Sabbatical gemacht und die Zeit mit der Familie in Afrika verbracht. Solche Auszeiten sind bei Microsoft nicht außergewöhnlich.

Die 32-jährige Manuela Sessler etwa hat ein ausgefallenes "Hobby". Sie arbeitet ehrenamtlich für die Münchner Aids-Hilfe, geht regelmäßig in die Jugendarrestanstalt, um die jungen Leute über HIV und Hepatitis aufzuklären. Jeden zweiten Mittwoch ist sie dort, von neun bis elf Uhr. "Das ist von allen akzeptiert", sagt sie. Sessler arbeitet als Projekt-Assistentin für Microsoft. Sie ist bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt und schätzt das freie Arbeiten bei dem Softwarekonzern. Kürzlich war sie als Freiwillige für vier Wochen für eine international tätige Hilfsorganisation im Libanon, um bei der medizinischen Betreuung syrischer Flüchtlinge zu helfen. "Die Entscheidung fiel kurzfristig. Meine Chefs haben sofort zugestimmt", erzählt die Frau. Sie bekam Urlaub und zusätzlich noch drei Tage Sonderurlaub von Microsoft für das ehrenamtliche Engagement.

Beruf und Pflege vereinbaren

Der Vereinbarkeit von Beruf und Familien widmet sich seit 15 Jahren die Beruf und Familie gGmbH von der Hertie-Stiftung. Ihr Zertifikat hat sich inzwischen zum Qualitätssiegel familienbewusster Personalpolitik entwickelt. Mehr als 1400 Unternehmen, Institutionen und Hochschulen haben sich zertifizieren lassen. "Viele Arbeitgeber haben erkannt, dass Mitarbeiter motivierter und effizienter sind, wenn sie ihre privat-familiären Aufgaben neben dem Beruf nicht ausblenden müssen oder sogar der Chef wegen der Familie eine Auszeit gewährt", sagt Stefan Becker, Geschäftsführer der Gesellschaft.

Doch während sich Firmen verstärkt darum kümmern, das Ehrenamt der Mitarbeiter zu fördern oder Eltern bei der Betreuung ihrer Kinder zu helfen, steht die Hilfe von Mitarbeitern bei der Pflege von Angehörigen noch am Anfang. Arbeitgeber tun sich schwer damit, wie eine Umfrage von "Beruf und Familie" aus dem vorigen Jahr zeigt. Danach kennen 71 Prozent der deutschen Arbeitgeber keine betrieblichen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. 62 Prozent haben sich bislang nicht mit dem Thema beschäftigt.

Das Reha-Zentrum Lübben gehört zu den Ausnahmen. Es hat für pflegende Angehörige nicht nur die Arbeitszeiten flexibilisiert, sondern bietet auch eine Art Urlaub von der Pflege an. Die Angestellten können ihre Angehörigen in der Ferienzeit in der Klinik kostenfrei betreuen lassen. Andere Unternehmen kooperieren mit der Diakonie oder der Caritas, damit ihre Mitarbeiter im Notfall schnell beraten werden. Das Pharmaunternehmen Merz etwa spricht gezielt Männer an, weil Pflege nicht nur als Frauensache wahrgenommen werden soll. Bei Boehringer Ingelheim gibt es eine Betriebsvereinbarung, in der bezahlte Freistellungen im Pflegefall geregelt sind. "Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden unsere Arbeitswelt vor immer größere Herausforderungen stellen. Dazu zählt insbesondere die immer wichtiger werdende Aufgabe, Beruf und Pflege zu vereinbaren", sagt Becker.

Waschmittelkonzern mit Krisendienst

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist inzwischen auch in der Politik zum Thema geworden. Das Bundesfamilienministerium hat sich dieses Jahr zum vierten Mal von "Beruf und Familie" zertifizieren lassen. "Wir wollen für Mütter eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Karriere, und wir wollen mehr Väter, die sich neben ihrem Beruf auch Zeit für ihre Familie nehmen wollen", sagte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) bei der Zertifikatsverleihung.

Das Ministerium hat selbst zum dritten Mal Unternehmen ausgezeichnet, die sich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einsetzen. Ein gemeinsamer Leitfaden mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag zeigt, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege unterstützen können. Dort sind viele Beispiele aufgeführt. So gibt es beim Waschmittelkonzern Henkel seit fast 100 Jahren eine Abteilung "Soziale Dienste", die den Beschäftigten in Krisensituationen hilft. Immer öfter spielt die Pflege von Angehörigen in den Gesprächen eine Rolle. Bei Henkel können Mitarbeiter, die Angehörige pflegen, für eine gewisse Zeit ihre Arbeitszeit flexibel gestalten und bestimmte Aufgaben an einem Telearbeitsplatz zu Hause erledigen.

Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat soeben eine breite Sammlung von Beispielen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusammengestellt. Deutschland habe in einigen Bereichen bereits heute ein Fachkräftedefizit, das durch den demografischen Wandel in Zukunft noch gravierend verschärft werde, heißt es in der Einleitung. "Deutschland kann es sich insbesondere nicht mehr leisten, auf die Arbeitskraft sehr gut ausgebildeter Frauen zu verzichten." Die Broschüre zeigt die guten Beispiele auf. Immerhin gebe es inzwischen 586 betriebseigene Kindertagesstätten. Jedes dritte Unternehmen unterstütze seine Mitarbeiter bei der Kinderbetreuung.

Die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind vielfältig. Dazu zählen Teilzeit, Gleitzeit und flexible Jahres- und Lebensarbeitszeiten. Auch Home-Office und Jobsharing gehören dazu. Die Fülle der Leitfäden, Broschüren, Zertifizierungen und der Praxisbeispiele ist lobenswert, weil sie Unternehmen Impulse bei der Umsetzung familienfreundlicher Maßnahmen geben können. Die Fülle zeigt aber auch, dass in den Betrieben viele Fragen noch unbeantwortet sind und dass sich Familie und Beruf für viele Arbeitnehmer noch immer nicht gut vereinbaren lassen.

Lassen Sie sich von Arbeitszeiten, Aufgaben, Chef und Kollegen stressen? Oder sind Sie zufrieden in Ihrem Job? Machen Sie mit bei unserer großen Leserumfrage! Die Ergebnisse lesen Sie dann hier auf SZ.de und in der Süddeutschen Zeitung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: