PrognoseHandelskrieg lähmt Europas Konjunktur

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Die Stahlbranche ist einer der Industriezweige, die von zusätzlichen Zöllen in Mitleidenschaft gezogen werden können. 
Die Stahlbranche ist einer der Industriezweige, die von zusätzlichen Zöllen in Mitleidenschaft gezogen werden können.  (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Das erschwert die Lage vor allem für das exportorientierte Deutschland, heißt es in der Frühjahrsprognose der EU-Kommission. Die Bundesregierung hält mit Schulden und Investitionen dagegen. Aber reicht das?

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Man kann inzwischen kaum noch zählen, wie häufig die Europäische Kommission in den vergangenen Jahren solche Worte gewählt hat. Wie oft sie geschrieben hat, Europas Wirtschaft bleibe „robust“, aber die Aussichten seien höchst unsicher. Wie viele Male die Kommission eine weitgehende Stagnation einkleidete in eine Sprache, die Besserung verspricht: Wenn wir uns anstrengen, dann wächst auch der Wohlstand wieder. An diesem Montag hat sie das in ihrer Frühjahrs-Konjunkturprognose erneut getan, wobei diesmal auch noch der Handelskonflikt mit den USA über allem steht. Und damit ist die Vorhersage so unsicher wie seit der Pandemie nicht mehr.

Das gilt auch und vor allem für das exportorientierte Deutschland, die größte Volkswirtschaft in der EU, von deren Wachstum das Wohl der gesamten Union abhängt. Zuerst die gute Nachricht: Deutschlands Wirtschaft dürfte in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2022 nicht mehr schrumpfen. Allerdings kommt sie auch nicht vom Fleck. Bis Ende des Jahres erwartet die Kommission ein Wachstum von genau null Prozent. Vor wenigen Monaten war sie noch von einem moderaten Plus von 0,7 Prozent ausgegangen. Erst 2026 dürfte die Konjunktur wieder anziehen, mit einer erwarteten Wachstumsrate von 1,1 Prozent. Bis dahin bleibt das Bild getrübt: Die Exporte brechen weg, Unternehmen investieren nach wie vor zu wenig, die Unsicherheit dominiert das Geschehen.

Das hat vor allem mit dem Handelskonflikt zwischen der EU und den USA zu tun. US-Präsident Donald Trump überzieht die Handelspartner der Vereinigten Staaten mit neuen Zöllen, hat auf Stahl- und Autoimporte aus der EU zusätzliche 25 Prozent verhängt und belegt die Mehrheit aller Einfuhren aus Europa einstweilen mit einem zusätzlichen Basiszoll von zehn Prozent. Weitere Zölle dürften folgen, wie es ausgeht, ist nicht absehbar. Deutschland, der einstige Exportweltmeister, hat unter den EU-Ländern in diesem Konflikt mit am meisten zu verlieren. Was früher als Stärke der deutschen Wirtschaft galt – die Versorgung der Welt mit Maschinen und Autos, mit Chemieprodukten und Medikamenten –, ist heute ihre größte Schwäche. Denn Investitionen und Konsum im Inland können den Verlust nicht auffangen.

Übersetzt in eine Vorhersage heißt das: Die deutschen Ausfuhren dürften das dritte Jahr in Serie schrumpfen, um diesmal fast zwei Prozent. Grund dafür ist zunächst ein struktureller Verlust von Marktanteilen im Export nach China. Der geringere Absatz von Autos in der Volksrepublik steht exemplarisch für diesen Trend. Jetzt verschärft der Zollstreit die Lage: „Der US-Markt wird nicht länger als teilweiser Puffer dienen“, um die rapide sinkenden China-Exporte auszugleichen, schreibt die Kommission. Was auch für den Rest der EU gilt: Insgesamt geht die Kommission von durchschnittlich 1,1 Prozent Wachstum in diesem Jahr aus – 0,4 Prozentpunkte weniger als noch im Herbst erwartet. Vor allem kleinere und wirtschaftlich schwächere Volkswirtschaften senken den Schnitt.

Für die schwarz-rote Bundesregierung hängt von der Kommissions-Prognose einiges ab. Denn anhand ihrer Zahlen berechnet die Brüsseler Behörde, wie sich Deutschlands Schuldenquote entwickeln wird, in ihre Annahmen fließt auch die Entwicklung des deutschen Haushaltsdefizits mit ein. Mit der Aussetzung der Schuldenbremse und dem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro hat die neue Regierung zwar Bewegungsfreiheit, um der Exportschwäche und den lahmenden privaten Ausgaben eine öffentliche Investitionsoffensive entgegenzusetzen. Dabei zeichnet sich aber ein Konflikt mit den EU-Fiskalregeln ab, die Deutschland eigentlich dazu zwingen würden, in den kommenden Jahren seine Schuldenquote zu senken.

Stattdessen wird sie weiter steigen, laut Kommission auf annähernd 65 Prozent im kommenden Jahr – was sie noch ohne die deutschen Schuldenpläne berechnet hat. EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis sagte dazu lediglich, die Beratungen mit Berlin über Deutschlands Staatsfinanzen begännen gerade erst, und verwies auf eine vorläufige Modellrechnung der Kommission. Die lässt hoffen: Sollte das Sondervermögen voll ausgeschöpft werden, könnte Deutschlands Wachstumsrate bis Ende der Legislaturperiode 2029 um 1,25 höher liegen und bis 2035 sogar um 2,5 Prozent. Das gelte allerdings nur, wenn das Geld auch konsequent für produktive Investitionen eingesetzt würde. Unter der Annahme, dass ein Teil des Geldes in höheren Staatskonsum fließt, also etwa in der öffentlichen Verwaltung verschwindet, wären die Effekte viel geringer.

Im optimistischen Szenario bliebe den Berechnungen zufolge auch die Schuldenquote beherrschbar, schreibt die Kommission, die schon lange höhere Staatsausgaben von Deutschland gefordert hat. Und auch der Rest Europas würde profitieren, wenn Deutschlands Wirtschaft wieder auf die Beine kommt. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und sein Vize Lars Klingbeil (SPD), der sich auch als „Investitionsminister“ versteht, sollten die frischen Milliarden in den kommenden Jahren demnach dorthin lenken, wo sie tatsächlich das Wachstum fördern. Und das, während die Auswirkungen des Zollkonflikts noch kaum zu berechnen sind. Aber dass es einfach würde, hat ja nie jemand behauptet.

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