Süddeutsche Zeitung

Deutschland und Frankreich nach S&P-Abwertung:Adieu, Merkozy

Sie waren schon länger nur noch das Trugbild eines harmonischen Paares. Doch bisher verhandelte der französische Präsident auf Augenhöhe mit der Kanzlerin. Das ändert sich jetzt spätestens mit der Abwertung Frankreichs durch die Ratingagentur Standard & Poor's. Das deutsch-französische Kräftegleichgewicht in Europa ist gestört.

Michael Kläsgen

Im Laufe des vergangenen Jahres zeigte sich ein Witzbold kreativ und erfand "Merkozy". Die Wort-Neuschöpfung kam an, schien sie doch griffig auf den Punkt zu bringen, was man seit Monaten sieht: den Schulterschluss zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in der Euro-Krise, die gemeinsame Führungsarbeit von Deutschland und Frankreich. Dass in Frankreich manche sofort von "Sarkel" sprachen, ist mehr als nur ein amüsantes Detail: Es zeigt, welche Sensibilitäten das deutsch-französische Verhältnis ausmachen. Empfindliche Gemüter im Nachbarland erkannten in der Rangfolge der Namensnennung allen Ernstes eine politische Bewertung.

"Merkozy" als Beleg, dass der zweitgenannte Sarkozy nur Anhängsel der deutschen Kanzlerin ist?

Der jüngste Verlust von Frankreichs Top-Ranking hat die Frage nach der Reihenfolge obsolet gemacht. Frankreichs Verhandlungsposition gegenüber Deutschland ist nach der Herabstufung durch Standard & Poor's nachhaltig geschwächt. Wer behauptet, dies sei doch im Prinzip seit Monaten der Status quo, übersieht, dass es Frankreich gelang, die aktuelle wirtschaftliche Schwäche durch viel Verhandlungsgeschick auszugleichen. So kam es unter anderem dazu, dass die Banken weitgehend verschont blieben. So entstand der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, der Nachfolger des Euro-Rettungsfonds EFSF, dessen Start auf französische Initiative vorgezogen wird. So kam es zur Erkenntnis, der Euro-Raum brauche eine Wirtschaftsregierung, wofür sich Regierungen in Paris seit 20 Jahren einsetzen.

Nicolas Sarkozy konnte all diese - nun unverrückbaren - Punkte durchsetzen, weil er auf Augenhöhe mit der Bundeskanzlerin verhandelte. Dies wird fortan nicht mehr so sein. Gleichwohl werden beide Politiker bemüht sein, den äußeren Anschein eines Kräftegleichgewichts aufrechtzuerhalten. Beiden nutzt die Vorstellung von "Merkozy". Angela Merkel hat über Frankreich einen Zugang zu den südlichen "Club-Med"-Staaten gefunden, als dessen Sprachrohr sich Sarkozy verstanden hat.

Und das Trugbild vom harmonischen Paar erspart es der Berliner Regierungschefin, die unliebsame Führungsrolle mit all ihren Risiken selbst zu übernehmen. Sarkozy wiederum kann weiterhin als der Macher in der Krise dastehen - eine Rolle, die er lieber allein übernommen hätte, wie ein Ausspruch aus dem Jahr 2009 klarmacht: "Deutschland überlegt noch, Frankreich handelt schon." Bald darauf musste er seine Ambitionen unter dem wirtschaftlichen Gewicht Deutschlands begraben.

Die Schwäche Frankreichs hat der Präsident mit einer unausgegorenen Wirtschafts- und Steuerpolitik selbst mitverschuldet. Mal profilierte er sich als liberaler Reformer eines verkrusteten Landes, dann gefiel er sich in der Rolle des Fürsprechers einer Finanztransaktionssteuer, die er selber einmal als "Absurdität" bezeichnet hatte. In Zahlen ausgedrückt ist seine Bilanz vernichtend: Um 600 Milliarden Euro hat sich die Schuldenlast Frankreichs in den vergangenen vier Jahren erhöht - das entspricht ziemlich genau einem Drittel der Gesamtverschuldung des Landes von knapp 1,8 Billionen Euro. Natürlich gab es sehr früh warnende Stimmen. Sarkozy, der Allwissende, schlug sie aber in den Wind.

Jetzt stagniert die Konjunktur. Und Frankreich muss fürchten, um eine weitere Note herabgestuft zu werden. Das heißt, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone läuft Gefahr, immer tiefer in die Schuldenfalle zu geraten. Schon jetzt ist der Schuldendienst der größte Haushaltsposten. Er droht nun, noch größer zu werden. Sich Geld zu leihen wird auch für alle anderen teurer: für die vielen Staatskonzerne wie die Post, die Bahn sowie die Energiekonzerne EdF und Areva; vor allem für die Banken; dann für die Städte und Gemeinden und schließlich für die Normalbürger, die sich eine Immobilie kaufen wollen. Der Kampf gegen den Abwärtssog wird die Politik in Frankreich bis auf weiteres bestimmen - egal, wer regiert.

Der Schein des deutsch-französischen Kräftegleichgewichts mag nach außen gewahrt bleiben. In Wirklichkeit aber droht Frankreich weiter abzufallen. Im Falle eines Regierungswechsels werden die Unabwägbarkeiten noch größer werden. Beruhigend ist das weder für Deutschland noch für Europa.

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SZ vom 17.01.2012/jab
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