Süddeutsche Zeitung

Kredite der Bundesbank für Währungsunion:Verstecktes Risiko

Immer neue Quellen werden angezapft, um klammen Staaten mehr Kreditspielraum zu geben. Das ist riskant, vor allem für Deutschland: Target-Kredite der Bundesbank an die Zentralbanken verschuldeter Länder erhöhen die Haftungsrisiken zusätzlich. So wenigstens lautet die Kritik von Ifo-Chef Hans-Werner Sinn.

Simone Boehringer

Mitte Oktober, drei Jahre nach Beginn der Finanzkrise. Der Kampf um die Zukunft der europäischen Währungsunion geht in eine entscheidende Runde. Während Bürger weltweit gegen die Macht der Finanzindustrie auf die Straße gehen, bedrängen die Führer der G20-Gruppe die Staatschefs im Euroland, schnell eine Lösung für ihr Schuldenproblem zu finden. Gleichzeitig werden immer neue Quellen angezapft, um überschuldeten Staaten wie Portugal, Spanien und neuerdings Italien mehr Kreditspielraum zu geben. Die Risiken nehmen besonders für Deutschland zu.

So warnte Hans-Werner Sinn am Wochenende davor, dass die Bundesbank trotz der jüngst beschlossenen Erweiterung des Rettungsschirms EFSF weiter Kredite an die Zentralbanken überschuldeter Länder vergeben muss: "Das Haftungsrisiko Deutschlands für die Euro-Rettung steigt weiter." Sogenannte Target-Kredite der Bundesbank seien im August und September um 106 Milliarden Euro gestiegen, rechnet der Chef des Konjunkturforschungsinstituts Ifo vor. Dieser Kredit wird automatisch gezogen, wenn in den Nehmerländern - dazu gehören auch noch Griechenland und Irland - mehr Geld gedruckt wird, um den Güterimport und den Erwerb ausländischer Vermögenstitel zu bezahlen.

Erstmals habe auch die italienische Zentralbank Target-Kredite in Anspruch genommen. "Der Löwenanteil der neuen Kredite ist sicherlich nach Italien geflossen", so der Ifo-Chef im Gespräch mit der SZ. Insgesamt hätten die Krisenländer und die Europäische Zentralbank (EZB) inzwischen Kredite in Höhe von 450 Milliarden Euro von der Bundesbank bezogen. "Letztlich ist der Target-Kredit ein Staatskredit Deutschlands an die Krisenländer", sagt Sinn. Der Target-Kredit muss noch der Kreditgewährung durch Käufe von Staatspapieren der Krisenländer durch die EZB hinzuaddiert werden.

Die Haftungsrisiken der Bundesrepublik sind daher sehr viel höher als es aus den Zahlen zu den offiziellen Rettungsfonds hervorgeht. Gerade erst haben die Parlamente in Deutschland und der Slowakei nach teils heftigen Debatten und Flügelkämpfen die Erweiterung des bislang größten Hilfsfonds EFSF beschlossen und damit den Weg frei gemacht für die Aufstockung der Hilfsmittel auf 860 Milliarden Euro. Die offiziell eingeräumte Haftungssumme Deutschlands steigt dadurch von 123 auf 211 Milliarden Euro.

Nach einer Aufstellung des Bundesfinanzministeriums, die der SZ vorliegt, hat die Bundesrepublik im Rahmen der bisherigen Griechenlandhilfe per Mitte August bislang 22,3 Milliarden Euro ausbezahlt. Die insgesamt zugesagten Kredite belaufen sich bereits auf mehr als 50 Milliarden Euro. "Bei rund 82 Millionen Einwohnern Deutschlands liegt die maximale mögliche Haftung pro Person aktuell bei 2125 Euro und nach der Ausweitung des EFSF bei rund 3200 Euro", heißt es dazu beschwichtigend in dem Schreiben des Ministeriums.

Target-Salden sind in der Rechnung nicht berücksichtigt

Die seit Beginn der Griechenlandkrise in die Höhe schnellenden Target-Kredit-Salden sind in dieser Rechnung aber nicht berücksichtigt. Denn im Gegensatz zu Ifo-Chef Sinn und anderen Ökonomen sieht die Europäische Zentralbank in diesen Zahlungen auch nur eine statistische Größe zum Ausgleich von Geldströmen innerhalb der Währungsunion. Die Zunahme der Verbindlichkeiten einiger Zentralbanken gegenüber der EZB während der Krise sei "auf Finanzierungsengpässe im Bankensektor in den betreffenden Ländern und auf die Deckung des daraus resultierenden Liquiditätsbedarfs durch die EZB zurückzuführen", heißt es dazu im Oktober-Monatsbericht der EZB, bei dem die Währungshüter erstmals ausführlich zum Thema Stellung nehmen. Innerhalb der Währungsunion spiegele eine Target-Forderung "für sich genommen kein finanzielles Risiko einer bestimmten Zentralbank wider".

Doch erst kürzlich hatte Ifo-Chef Sinn für seine Sicht noch Unterstützung vom ehemaligen Bundesbankchef Helmut Schlesinger erhalten. Der hatte die Target-Salden als "wichtigste Posten in der Bundesbankbilanz" bezeichnet. Sie stellten einen "wichtigen Teil des Auslandsvermögens der Bundesrepublik dar".

Der Streit über die Rolle der Zentralbankkredite wird andauern. So stellt die EZB klar, dass es "keine Obergrenze" für die Target-Zahlungen innerhalb des Währungssystems geben werde. Für Kritiker dieser Kredite sind sie ein weiterer Topf, um Löcher zu stopfen, bis der erweiterte EFSF und der schon diskutierte Nachfolgeorganisation zur Rettung des Euro, ESM, einsatzbereit sind.

Die Politik braucht dringend Geld, egal aus welchem Topf. Zu häufig mussten die Politiker mit ansehen, wie soeben beschlossene Rettungsmaßnahmen von Börsen und Ratingagenturen ignoriert wurden. Zahlreiche Herabstufungen von Banken und Ländern wie Spanien und Italien haben dazu geführt, dass sich Brüssel nun schon dringend mit dem Zeitplan für den permanenten Stabilitätsfonds beschäftigen muss, obwohl der Vorläufer seine Kapazitätsgrenze noch gar nicht erreicht hat. Anders als bisher bedarf es für den ESM der Änderung der Verträge zur Währungsunion, da die Euro-Staaten hierfür Souveränität abgeben müssten.

Beim G-20-Gipfels in Paris am Wochenende machten die Finanzminister und Notenbankchefs den Euro-Teilnehmern ungeschminkt klar, dass sie vom EU-Gipfel in einer Woche in Brüssel Entscheidungen in diese Richtung sehen wollen, auf jeden Fall solche, die über die bloße Aufstockung von Garantien hinausgehen. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte "einen umfassenden Plan" zu. Früheren Äußerungen zufolge soll dieser die Stärkung der Banken mit Kapital sowie auch die Bereitschaft zu Vertragsänderungen in Europa enthalten.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2011/fran
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