Technologieführerschaft:Wie Deutschland den Wandel schaffen soll

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"Digitale Kompetenz" entscheidet vor allem in Zeiten der Corona-Pandemie immer stärker über den Zugang zu Bildung. (Foto: imago/Westend61)

Bürger und Parteien spüren, dass ein Umdenken nötig ist, vor allem technologisch gesehen. Aber ist das Land auch bereit dafür?

Von Helmut Martin-Jung

"Nie gab es mehr zu tun", findet die FDP. Scholz will es "anpacken", die Grünen zeigen sich "bereit" für einen Wandel, und sogar die CDU, immerhin 16 Jahre Regierungspartei, ruft ein "Modernisierungs-Jahrzehnt" aus. Dass sich in Deutschland etwas verändern muss, scheint also common sense zu sein, aber ist das Land auch bereit dafür? Diese Frage hat die Beratungsfirma McKinsey in einer Studie untersucht. Das Ergebnis fällt gemischt aus.

Zwar halten es unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 70 Prozent für unabdingbar, dass es zu einem substanziellen, technologisch getriebenen Wandel kommt. Nur die Jüngeren zwischen 20 und 29 Jahren glauben aber mehrheitlich, dass ein Wandel die soziale und wirtschaftliche Lage in Deutschland verbessern werde, die Älteren sind da skeptischer. Sie fürchten, dass die neuen Technologien noch nicht genügend getestet seien, und einige geben auch zu, dass sie lieber alten Gewohnheiten folgen würden.

Wenn Deutschland mithalten wolle mit konkurrierenden Ländern wie den USA oder China, müsse man aber auf Technologieführerschaft setzen, so die Studien-Autoren Graciana Petersen und Gérard Richter von McKinsey. "Wenn Deutschland will, kann es auch", sagt Richter. Bei Forschung und Entwicklung sei man zwar immer in der globalen Spitzengruppe, aber viele Initiativen seien "zu fragmentiert". Um die komplexen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern, müsse man sich stärker fokussieren.

Die Einstellung gegenüber Technik muss sich ändern

Begleitet werden muss das nach Ansicht von Petersen mit einem Wandel der Einstellung gegenüber Technik. "Wir müssen eine gemeinsame Sprache finden, die transparent vermittelt, warum eine kreative Erneuerung mit Technologieführerschaft notwendig ist", fordert sie. Politik, Wirtschaft und Bildungseinrichtungen müssten die Ängste und Fragen der Bevölkerung im Zusammenhang mit Veränderung aufnehmen und beantworten. Beispielsweise, ob durch Automatisierung immer auch Arbeitsplätze verloren gingen. Jungen Menschen müsse zudem Lust auf Unternehmertum gemacht werden. Petersen: "Der Pfad in ein Beamten- oder Angestelltenverhältnis ist kein Automatismus."

Die Studienautoren sind zwar der Ansicht, dass der nötige schnelle Wandel nur durch Technologie erreicht werden kann. Angesichts endlicher Ressourcen seien aber auch messbare Ziele notwendig. Initiativen müssten nachvollziehbar priorisiert und der Fortschritt regelmäßig überprüft werden. Dabei müssten der Staat und die Wirtschaft stärker zusammenarbeiten als bisher. Das finden auch mehr als 70 Prozent der 5000 Befragten im Alter zwischen 20 und 65 Jahren. Mehr Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft wünschen sich die Befragten vor allem bei den Themen lebenslange Weiterbildung, bei Grundlagenforschung und bei der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis.

Und was wären, wenn es nach den Beratern geht, die wichtigsten Aufgaben der künftigen Bundesregierung? Sie sollte "die nächste Generation der globalen Technologie hervorbringen und mitgestalten, insbesondere Technologien für erneuerbare Energien, Biorevolution und angewandte künstliche Intelligenz", sagt Graciana Petersen. Das Budget für Forschung und Entwicklung müsse dazu schrittweise auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesteigert, die Resultate genau evaluiert werden. Die öffentliche Hand müsse dazu bei den Themenfeldern Digitalisierung, Energiewende und Investitionen in die Infrastruktur ergebnis- und zukunftsorientierter werden.

Das Bildungswesen steht in der Kritik

Eine große Aufgabe sehen die Berater auch beim Wandel in der Arbeitswelt auf die Gesellschaft zukommen. Das Land müsse zehn Millionen Jobs in verschiedenen Tätigkeitsfeldern schaffen, "die den Wandel zu einer innovativeren und kreativeren Gesellschaft mitgestalten", sagt Petersen. Besonders das Bildungswesen schneidet in der Befragung sehr schlecht ab. Nicht einmal ein Drittel glaubt, dass es die kommende Generation gut auf die Anforderungen vorbereitet, die die Zukunft stellt. Dabei stehen technische Fähigkeiten gar nicht einmal ganz oben, sondern soziale Kompetenz, erst danach kommen Dinge wie Softwareentwicklung oder agiles Arbeiten.

Viel zu tun bleibt aber auch bei der Infrastruktur. Deutschland liegt zum Beispiel beim Ausbau von Glasfaserleitungen sogar hinter einigen osteuropäischen Ländern zurück, von Japan, Südkorea oder Schweden ganz zu schweigen. Und bis dies einigermaßen abgeschlossen ist, müssen die ersten Leitungen schon wieder erneuert werden, denn mehr als 30, 40 Jahre halten die Glasfasern nicht - wenn sie nicht vorher einem Bagger zum Opfer fallen. Viel zu tun also, egal wer die die Wahl am 26. September gewinnt.

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