Deutschland:Sehnsucht nach einer Agenda 2020

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Zehn Jahr ist es her, dass die Agenda 2010 initiiert wurde. Jetzt gibt es bei aller Kritik viel Lob für sie. Mehr noch: Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der seinerzeit die Agenda 2010 auf den Weg brachte, drängt die Deutschen zu einem neuen Reformpaket.

Können die Deutschen ein größeres Lob bekommen, als dass Frankreich ausgerechnet von der Bundesrepublik kopieren möchte? Im vergangenen Jahr jedenfalls gab es nicht wenige Franzosen, die sich so etwas wie eine Agenda 2010 wünschten. Weil es nicht mehr so gut läuft in der Grande Nation.

Was nun letzten Endes zur zuletzt starken wirtschaftlichen Position Deutschlands in der Krise alles beiträgt, sei dahingestellt. Immerhin profitiert das Land ja auch von dem Wirtschaftsboom in Asien und von den enormen Kapitalzuflüssen, die vor allem jetzt in den Krisenjahren die Wirtschaft stärken.

2,6 Millionen neue Arbeitsplätze

Dennoch herrscht bei Ökonomen eine gewisse Einigkeit, dass die Agenda 2010 viel zum Aufschwung in Deutschland beigetragen habe. Zur Erinnerung: Gerade zur Jahrtausendwende gehörte Deutschland wirtschaftlich noch zu den Schlusslichtern in Europa: Viele Unternehmen verlagerten ihre Arbeitsplätze ins Ausland, die Deutschen galten als Freizeitweltmeister und viele fragten sich, welchen Grund es denn noch gebe, in diesem Land überhaupt noch irgendetwas zu fertigen. Arbeit in Deutschland, so hieß es damals, sei zu teuer. Die Agenda 2010 hat nach Ansicht vieler Ökonomen Arbeit in Deutschland wieder finanzierbar gemacht.

Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, sagt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass insgesamt seit 2005 2,6 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden seien. Es gebe so viel Erwerbstätige wie nie zuvor, fast 42 Millionen. Der viel kritisierte Anstieg der prekären Jobs, also Leiharbeit, Teilzeitarbeit, schlecht bezahlte Arbeit sei entgegen vielfacher Behauptung nicht zulasten der Vollzeitjobs gegangen. "Sondern das sind neue Jobs, für Menschen, denen der Arbeitsmarkt vorher versperrt war. Für viele geht es nach dem Einstieg weiter. Über 40 Prozent aller Zeitarbeitsverhältnisse führen zu festen, vollwertigen Jobs", sagte Hüther.

Natürlich gibt es auch Stimmen, die die Kehrseite der Agenda 2010 hervorheben - immerhin war sie mit Einschnitten bei der Rente, der Arbeitslosen-Unterstützung und im Gesundheitssystem die tiefgreifendste Sozialreform der Nachkriegszeit verbunden. Viele Deutsche setzen die Agenda 2010 mittlerweile mit Hartz IV gleich.

Doch an Jahrestagen wird so etwas gerne verdrängt, darum überwiegt in diesen Tagen das Lob. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), der einst als Kanzler die Agenda 2010 initiiert hatte, fordert jetzt gar eine Agenda 2020, obschon gerade in seiner Partei das Reformpaket bis heute umstritten ist.

Die Republik könne den Vorsprung gegenüber aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie Brasilien und China nur dann verteidigen, "wenn wir hart an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten", sagt er der Zeitung Bild . Erst wenn das gelänge, gebe es genug Arbeit, um etwa die Renten zu bezahlen.

Doch welche Vorhaben sollte seiner Ansicht nach die Agenda 2020 verfolgen? Wichtig nannte Schröder vor allem Investitionen in Forschung und Bildung. "Wir brauchen noch mehr Ganztagsschulen, um denen größere Chancen zu geben, die zuhause nicht so gute Bedingungen haben", sagte er.

"Wegen unserer niedrigen Geburtenrate haben wir zu wenig Fachkräfte. Deswegen sind gute Bildung und Betreuung so wichtig." Zugleich sprach sich Schröder für mehr Zuwanderung aus: "Angesichts des Bevölkerungsrückgangs brauchen wir Einwanderer!" Die unsägliche Debatte darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, habe "sehr geschadet", kritisierte Schröder. "Jetzt können wir froh sein, wenn qualifizierte Leute noch zu uns kommen."

"Anforderungen heute sind kleinteiliger"

Hüther sagte sich im Hinblick auf eine Agenda 2020, sie werde "nicht im groß angelegten Sinne der Agenda 2010" gebraucht. Die Anforderungen heute seien kleinteiliger. Vor allem wäre viel gewonnen, wenn die Errungenschaften der Agenda 2010 bewahrt blieben. "Wenn ich mir die ersten Wahlaussagen der Parteien zur Bundestagswahl ansehe, ist das nicht gesichert."

Schröder hatte das Reformpaket am 14. März 2003 im Bundestag präsentiert. Umgesetzt wurden die Schritte einschließlich der Hartz-IV-Regelung bis Anfang 2005.

Wie Schröder müht sich nun auch die derzeitige SPD-Führung, nochmals die Vorteile der Agenda hervorzuheben: SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, seinerzeit Kanzleramtschef im Kabinett Schröder, bezeichnete das Reformprojekt als "Ausbruch aus der Abwärtsspirale". "Wenn Schröder damals so mutlos regiert hätte wie Angela Merkel heute, stünden wir jetzt in einer Reihe mit Italien, Frankreich und Spanien vor deutlich größeren Problemen inmitten der Euro-Krise."

Auch Parteichef Sigmar Gabriel findet im Focus lobende Worte: "Die Agenda 2010 war sehr erfolgreich, aber es wird zehn Jahre nach ihrer Ankündigung immer noch viel Falsches darüber erzählt." SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kritisierte, seine Partei hätte viel selbstbewusster und stolzer damit umgehen müssen. "Wir sind Deppen, dass wir die Agenda immer mit Hartz IV gleichgesetzt haben", sagte er bei einer Veranstaltung in Karlsruhe. Damit könne nun Schwarz-Gelb die Rendite einfahren.

Lob für die Agenda kam auch aus der CDU. Arbeitsministerin von der Leyen bezeichnete die Reformschritte im Grundsatz im Tagesspiegel als "mutig und richtig". Einen Nackenschlag für die SPD hatte sie trotzdem parat. Die CDU habe die Agenda "deutlich nacharbeiten und die Agenda 2010 sozialer machen" müssen.

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