Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Die deutsche Wirtschaft ist in Gefahr

Krieg, Energiekrise, Pandemie, Lieferkettenprobleme - die deutschen Unternehmen kämpfen gerade mit vielen Problemen. Eine Chance bietet sich allerdings.

Kommentar von Caspar Busse

Es gibt ein wertvolles Gut, das derzeit besonders knapp ist in der deutschen Wirtschaft: Optimismus. Die Stimmung wird immer schlechter, die Sorgen werden immer größer, die Liste der Probleme länger und länger: der Krieg in der Ukraine, die sich zuspitzende Energiekrise mit dem drohenden Ausfall der Gaslieferungen aus Russland, die in Deutschland wieder aufflackernde Pandemie, der Lockdown in China, angespannte internationale Lieferketten, der Rückgang an den Börsen - und jetzt auch noch der Verfall des Euro, der die Importe verteuert. Der Kurs ist so schwach wie seit 20 Jahren nicht mehr, faktisch ist schon die Parität zum Dollar erreicht.

Schon stellen sich grundsätzliche Fragen: Ist das über Jahrzehnte so erfolgreiche Wirtschaftsmodell "Made in Germany" am Ende?

Auf den ersten Blick sieht es schlecht aus. Im Mai wies die deutsche Handelsbilanz ein Minus aus - zum ersten Mal seit 2008. Der Wert der Einfuhren überstieg nach Angaben des Statistischen Bundeamtes also den der Ausfuhren, wenn auch nur leicht. Das ist durchaus bemerkenswert, gehört Deutschland doch seit Langem zu den Exportweltmeistern. Und das Land war stolz darauf, dass deutsche Waren international so gefragt und konkurrenzfähig waren wie keine anderen. Regelmäßig lagen die Exporte deutlich über den Importen, der teilweise sehr hohe Handelsüberschuss bewirkte immer wieder auch heftige internationale Kritik, nicht nur des früheren US-Präsidenten Donald Trump, auch von EZB-Chefin Christine Lagarde. Deutschland lebe auf Kosten anderer Volkswirtschaften, so der Vorwurf, und tue zu wenig, um die Nachfrage im eigenen Land anzukurbeln.

Freude der Handelspartner wäre aber verführt. Denn dass sich die Handelsbilanz nun umkehrt, hat seinen Grund nicht in einer plötzlichen Schwäche der deutschen Wirtschaft. Eine Zeitenwende ist das noch nicht. Vielmehr machen sich die deutlich gestiegenen Preise für Erdöl und Gas bemerkbar. Dadurch werden die Importe deutlich teurer. So ist zu erklären, dass der Wert der Einfuhren sprunghaft um mehr als ein Viertel zunahm, auch der schwache Euro macht die Importe teilweise teurer, zumindest die, die nicht aus Europa kommen. Das wirkt auf die Handelsbilanz des ehemaligen Exportweltmeisters. Immerhin verbilligt ein schwacher Euro die Ausfuhren der Unternehmen - und macht sie damit tendenziell attraktiver.

Trotzdem: Die deutsche Wirtschaft ist langfristig in Gefahr. "Der Exportabschwung ist eingeläutet", mahnte zuletzt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Das ist gefährlich für eine Volkswirtschaft, die seit Jahrzehnten von einem florierenden Außenhandel und ihrer Verflechtung in die Weltwirtschaft lebt. Dies war auch immer Garant für Wohlstand und eine gute Beschäftigungslage hierzulande. Es geht also um viel. Jetzt werden die Zeiten härter, und das ist durchaus beunruhigend.

Billige Energie aus Russland - die große Abhängigkeit davon ist fatal

Immer deutlicher wird, mit welchem Modell die deutsche Wirtschaft jahrzehntelang sehr gut gelebt hat. Sie hat vor allem auf billige Energie, also auf Gas, Öl und Kohle aus Russland gesetzt. Das trifft nicht zuletzt die Chemiebranche, für die billiges Gas immer ein großer Vorteil war und die der Ukraine-Krieg und die daraus resultierende Energiekrise nun umso härter trifft. Denn wenn etwa Gas auf einmal teuer und knapp ist, geht die Rechnung nicht mehr auf. Die fatale Abhängigkeit, die politisch unterstützt wurde, rächt sich jetzt.

Dazu kommt, dass gerade Deutschland als Exportnation überproportional von einem freien Handel profitiert. Aber genau der ist in Gefahr. Die Globalisierung ist ins Stocken geraten, die Pandemie und jetzt der Krieg zeigen, welche Risiken es gibt, wenn Lieferketten nicht mehr funktionieren und entscheidende Dinge wie etwa Halbleiter nicht mehr selbst hergestellt werden. Es bilden sich Wirtschaftsblöcke, immer mehr Volkswirtschaft halten es für eine gute Idee, ihre Märkte eher abzuschotten und autonomer zu werden. Einige Branchen, etwa die Autoindustrie, sind sehr abhängig von China. Was passiert eigentlich, sollte sich die Lage dort verschärfen, etwa wenn die Regierung in Peking nach Taiwan greift und es Sanktionen geben sollte?

Dabei sollten sich die deutschen (und europäischen) Unternehmen auf ihre alten Tugenden besinnen. Sie müssen Lösungen und Innovationen für die Probleme dieser Welt entwickeln, zum Beispiel führend sein bei Produkten für die Energie-, Klima- und Verkehrswende. So könnte "Made in Germany" weltweit attraktiv bleiben - und so auch den Wohlstand sichern.

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