Deutschland gegen strengere CO2-Grenzwerte:"Das Dreisteste, was ich in acht Jahren Brüssel erlebt habe"

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Nach starkem Druck der Autoindustrie hat sich Kanzlerin Merkel persönlich eingemischt - und damit die EU-Regel vorerst abgewendet, den CO2-Ausstoß im Autoverkehr zu reduzieren. Heftige Vorwürfe kommen von Umweltorganisationen und aus dem Europaparlament.

Alle 27 EU-Mitgliedstaaten, natürlich auch Deutschland, hatten dem Ziel zugestimmt, in Dienste des Klimaschutzes. Von 2020 an, so die schon im Jahr 2008 vereinbarte Regel, sollten die Fahrzeugflotten der Autohersteller durchschnittlich nur noch 95 Gramm Kohlendioxid pro gefahrenem Kilometer ausstoßen dürfen.

Das war von Anfang an ehrgeizig - und es könnte die Hersteller großer deutscher Limousinen in Bedrängnis bringen. Deshalb versucht die Autoindustrie bereits seit Monaten, in Berlin zu intervenieren. Offenbar mit Erfolg, denn der Bundesregierung ist es gelungen, die 95-Gramm-Regel auf EU-Ebene vorerst abzuwenden - und zwar mindestens bis Sommer 2014.

Auf deutschen Druck hin verschoben die EU-Botschafter eine eigentlich für Donnerstag geplante endgültige Festlegung. Von deutscher Seite hieß es, die Auflagen seien nicht entscheidungsreif. Eine Abstimmung gab es nicht. Irland, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, vertagte das Thema.

"Skandalös", nannte dies Renate Künast, Chefin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Die Kanzlerin mache "Lobbyarbeit für die Konzerninteressen von Daimler, BMW und Volkswagen und torpediert deswegen die EU-Klimapolitik". Der Vorsitzende des Umweltausschusses im Europaparlament, der SPD-Abgeordnete Matthias Groote, sagte: "Sie haben einen mühsam erarbeiteten Kompromiss kaputt geschlagen. Das ist das Dreisteste, was ich in acht Jahren Brüssel erlebt habe".

Ähnlich sieht das die Umweltorganisation Greenpeace: Sie warf Merkel vor, "demokratische Prozesse zu kidnappen und andere Regierungen einzuschüchtern, um einige wenige Luxusauto-Hersteller zu hätscheln".

Vom Verband der Automobilindustrie (VDA) hieß es hingegen: "Bei einer so wichtigen industriepolitischen Entscheidung muss Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen. Deswegen ist es richtig, dass die irische Ratspräsidentschaft den EU-Mitgliedsländern ausreichend Zeit zur Prüfung des Kompromissvorschlages einräumt." In einem Brief an Kanzlerin Merkel vor ein paar Wochen hatte der Präsident des Verbands, Matthias Wissmann, betont, es könne nicht sein, dass "wir unser leistungsfähiges und starkes Premiumsegment, das fast 60 Prozent der Arbeitsplätze unserer Automobilhersteller in Deutschland ausmacht, über willkürlich gesetzte Grenzwerte buchstäblich kaputt regulieren lassen".

Erst Anfang der Woche hatte die EU einen Kompromiss zu Grenzwerten für das Treibhausgas CO2 erreicht. Nach Gerüchten in Brüssel hat Deutschland massiven Einfluss auf die anderen EU-Staaten ausgeübt, um eine Verzögerung der Entscheidung zu erreichen.

Ein EU-Diplomat sagte, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich habe zum Hörer gegriffen und unter anderem Irlands Premierminister Enda Kenny angerufen. Möglicherweise werde Deutschland später einen neuen Vorschlag machen. Doch wegen komplizierter europäischer Regeln kommt das Thema frühstens in einem Jahr nach den Europawahlen im Mai wieder auf dem Tisch.

© Süddeutsche.de/dpa/olkl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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