Süddeutsche Zeitung

Migration:Deutschland ist für ausländische Akademiker attraktiver als gedacht

Gemeinsam mit Kanada gilt die Bundesrepublik als weltweit offenstes Land für Fachkräfte aus aller Welt. Aber nicht bei allen Kriterien.

Von Johannes Bauer

Seit Jahren läuft die Debatte darüber, ob Deutschland eine andere, offenere Einwanderungspolitik braucht, gerade um den Fachkräftemangel abzufedern. Nun hat ein Report der Boston Consulting Group (BCG) Erstaunliches zutage gebracht: Deutschland ist bereits eine der Top-Destinationen in der Welt für junge, gut ausgebildete Migranten. Geht es um die so wichtige Frage der Zugänglichkeit, die sich in der Vergabe von Arbeitsvisa bemisst, liegt Deutschland sogar auf Platz eins. Bei der Standortattraktivität indes liegt Deutschland hinter Kanada, den USA und Australien auf dem vierten Rang und rutscht damit im Vergleich zur letzten Erhebung aus dem Jahr 2018 um zwei Plätze ab. Nimmt man beide Faktoren zusammen, sind Deutschland und Kanada die Top-Destinationen für internationale Talente. Damit sind Menschen gemeint, die mindestens einen Bachelor-Abschluss haben und mindestens 60 000 Euro verdienen werden.

"Grundsätzlich ist Deutschland bereits viel offener als viele denken", lautet das Urteil für den Ökonomen Johann Harnoss, der für die Unternehmensberatung einen Teil der Analyse beigesteuert hat. Gerade was den Zuzug hochqualifizierter Menschen angehe, sei Deutschland mit das offenste Land der Welt.

Die Erhebung stützt sich teilweise auf Daten der Studienreihe Decoding Global Talent, bei deren letzten Auflage 2020 mehr als 200 000 Menschen in 190 Ländern befragt wurden. Um zu messen, wie zugänglich ein Land ist, haben Harnoss und seine Kollegin Anna Schwarz die zehn Länder mit der höchsten Einwanderung berücksichtigt, sowie Japan und Indien, und dann die Vergabe von Arbeitsvisa nach Gesetzeslage bewertet. Relevant war etwa, ob ein Land eine Obergrenze für solche Visa hat oder einen Arbeitsvertrag bereits im Moment des Antrags verlangt. In Deutschland genügt es, dass ein Bewerber oder eine Bewerberin nachweisen kann, auf Jobsuche zu sein - anders als etwa in den USA oder Australien.

Doch wie passt das gute Abschneiden Deutschlands zum angeblichen Fachkräftemangel, der in der öffentlichen Debatte immer beschworen wird? "Den Fachkräftemangel gibt es nicht", stellt Forscherin Christina Hoon von der Universität Bielefeld klar. "Einige Unternehmen sind gut darin, den Top-Leuten Visa zu besorgen." Deutlich schwieriger sei es für deutsche Unternehmen hingegen, Akademiker ins Land zu holen, die in der Hierarchie weiter unten stehen.

Deutschland tut sich schwer bei der Integration der internationalen Fachkräfte

Blickt man auf die Demografie und damit die zunehmende Überalterung der deutschen Gesellschaft, wird Migration von Arbeitskräften in den kommenden Jahren immer wichtiger. "Ich glaube, Deutschland ist grundsätzlich auf einem guten Weg", sagt Harnoss, "aber wenn man sich die Zahlen anschaut, wird dieser Weg einfach viel zu langsam begangen." Rund 40 000 Arbeitskräfte seien im vergangenen Jahr aus Drittstaaten nach Deutschland gekommen, also Ländern außerhalb der EU. Das reiche nicht aus, so der Unternehmensberater.

Ein wichtiger Faktor, damit mehr Fachkräfte aus dem Ausland die Offenheit nutzen und nach Deutschland kommen, ist die Sprache. "Beim Recruiting wird immer noch abgefragt, ob ein Bewerber deutsch spricht oder nicht", erklärt Maike Andresen, die sich als Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bamberg unter anderem auf Personalmanagement spezialisiert hat. Es hätte mehrere naheliegende Vorteile, wenn Unternehmen auch Englisch als Arbeitssprache zuließen: Einerseits könne ein Unternehmen so attraktiver für Bewerber aus dem Ausland werden. Andererseits sei der neu gewonnene Mitarbeiter dann auch produktiver, sobald er dann da sei: "Wenn mich die Sprache stresst, kann ich mich nicht auf meine berufliche Performance konzentrieren."

Ihre Kollegin Christina Hoon aus Bielefeld weist auf einen anderen Punkt hin: Deutsche Unternehmen tun sich eher schwer mit der kulturellen Vielfalt, selbst wenn sie ihre Produkte in der ganzen Welt vertreiben. Dazu passt die Beobachtung, die Unternehmensberater Johann Harnoss gemacht hat: "Ich glaube, in Deutschland gibt es manchmal noch Vorbehalte gegenüber Menschen aus muslimischen Ländern."

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