Deutschland erhält zinsfreie Kredite:Knete für umme

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Die Geschichte der Finanzmärkte ist voll von hormongesteuerten Überschussreaktionen, doch nun grassiert das Angstprinzip - und Anleger werfen Deutschland das Geld hinterher. Das ist wunderbar für den deutschen Staatssäckel, aber eine Katastrophe für die Euro-Zone.

Markus Zydra

Es schwingt meist ein abfälliger Unterton mit, wenn man hört, dass jemandem "das Geld nachgeworfen wird". Natürlich spielt da Neid und Missgunst eine Rolle. Es steht aber auch der Verdacht im Raum, dem Empfänger werde es unverdientermaßen leicht gemacht.

Nun denn: Deutschland wird Geld nachgeworfen. Der Mittwoch war in dieser Hinsicht ein historischer Tag. Erstmals musste die Finanzagentur des Bundes - sie verwaltet rund 1100 Milliarden Euro Bundesschulden - langfristigen Kreditgebern keinen Zins bezahlen.

Null Prozent, Knete für umsonst - Money for nothing. Bei mehr als zwei Prozent Inflation ist das ein reales Minusgeschäft und damit normalerweise ein echter Abschrecker. Doch normal ist in diesen Zeiten nichts mehr: Investoren sind auf der Flucht, sie suchen Sicherheit um jeden Preis. Deshalb zahlen sie gerne drauf, um Deutschland Geld zu pumpen.

Das ist natürlich wunderbar für den deutschen Staatssäckel, aber es ist eine Katastrophe für die Euro-Zone. Die europäische Finanzwirtschaft spielt verrückt, sie ist traumatisiert und durchsetzt von tiefem Misstrauen. Wohin mit dem Geld, wenn Banken - die klassischen Sammelstellen - pleitegehen können? Wohin mit dem Geld, wenn südlichen Euro-Staaten der Bankrott droht?

Ab nach Deutschland! Deutlicher kann die angespannte Lage nicht dokumentiert werden. Spanien, Italien, ja selbst Frankreich gelten den Märkten mittlerweile als suspekt. Die deutsche Finanzbranche zieht in dem Maße Kapital an, wie es andere Euro-Staaten verlieren. Es ist ein gefährliches Nullsummenspiel. Der eine gewinnt, der andere verliert. Eine gesunde Finanzwirtschaft sollte allen dienen.

Natürlich kann man sich im Bundesfinanzministerium über die sensationell günstige Kreditaufnahme freuen. Aber man sollte es nicht überbewerten. Auch Deutschland hat ein Schuldenproblem, getilgt werden die Verbindlichkeiten schon lange nicht mehr, sie wachsen nur langsamer. Deutschland genießt unter Investoren kein Höchstmaß an Vertrauen - vielmehr ist nur das Misstrauen im direkten Euro-Zonen-Vergleich geringer. Das ist ein Unterschied. Deutschland wirkt im Augenblick gesünder als es ist.

Deshalb kommen die Investoren, und nicht nur sie. Griechische und spanische Privatleute plündern ihre Heimatkonten und überweisen das Ersparte an deutsche Banken. Alle klammern sich an das letzte Rettungsboot.

Die Geschichte der Finanzmärkte ist voll von hormongesteuerten Überschussreaktionen. Meist war die menschliche Gier der Antrieb. Man erinnert sich: Noch vor fünf Jahren galten Staatsanleihen als langweilige Wertpapiere. Risiko aus Leidenschaft war damals das Prinzip. Komplexe Wertpapiere versprachen unter massivem Krediteinsatz exorbitant hohe Renditen - dieser Pumpkapitalismus endete vor fünf Jahren in der weltweiten Finanzkrise.

Nun ist es umgekehrt, das Angstprinzip grassiert. Investoren wollen Sicherheit, sie verzichten auf Rendite und sind sogar bereit, für den Kapitalerhalt draufzuzahlen. Auf der Flucht nimmt man vieles in Kauf, auch das. Es gehört zur Tragik der Situation, dass diese Kapitalflucht die Zentrifugalkräfte in der Euro-Zone noch verstärken.

Kredit an Deutschland für null Prozent - das ist nicht nur ein Spaltpilz in der Euro-Zone, es ist auch ein Signal: Bürger und Investoren warten auf eine Entscheidung für Europa. Die Politik muss ihre Reformen fortsetzen, die Banken brauchen Kapital - dann wird, in einer Notlage, auch die Europäische Zentralbank ihre Hilfe nicht verweigern.

In einem solch hoffnungsvollen Szenario werden die Kreditzinsen für den deutschen Staat sofort deutlich ansteigen. Dann ist es vorbei mit der Sonderrolle. Die Zinskosten für den Bund nehmen zu, der Krach um den Sparhaushalt beginnt aufs Neue. Spätestens dann sind die null Prozent als eine Anomalie entlarvt. Jemandem Geld nachwerfen - das gehört in keine Marktwirtschaft.

© SZ vom 24.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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