Deutsches Wirtschaftswachstum:Wie Phoenix aus der Krise

Die Bundesrepublik überrascht mit einem Wachstum von 1,5 Prozent - und überholt die anderen Industriestaaten teilweise deutlich. Den Kern des deutschen Aufschwungs macht dabei eine Stärke aus, die in der Krise wie eine Schwäche wirkte. Doch der Boom steckt auch voller Risiken.

Alexander Hagelüken

Was hörten die Deutschen alles für Katastrophenprognosen. Auf grausige fünf Millionen werde die Zahl der Arbeitslosen steigen, raunten Ökonomen, als sich 2009 die Folgen der Finanzkrise abzeichneten. Es kommt ganz anders, als damals viele zu wissen glaubten. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte bald unter drei Millionen rutschen. Die Bundesrepublik überrascht in den ersten drei Monaten mit einem Wachstum von 1,5 Prozent zum Vorquartal - in den vergangenen Jahren brauchte die Wirtschaft oft ein ganzes Jahr, um diesen Wert zu erreichen.

Wirtschaftswachstum auf Rekordkurs

Container im Containerterminal Altenwerder im Hafen von Hamburg: Das deutsche Wirtschaftswachstum stieg im ersten Quartal um 1,5 Prozent.

(Foto: dapd)

Man muss sich die Daten einmal genauer zu betrachten, um die Epochenwende zu erkennen. Das erste Quartal sah höhere Ölpreise und das Jahrhundertunglück in Japan, an deutschen Firmen ging das beinahe spurlos vorüber. Die Bundesrepublik ist schneller aus der Krise gekommen als die meisten Industriestaaten. 2011 dürfte das Wachstum zum zweiten Mal in Folge über drei Prozent liegen - sowas gab es im vereinten Deutschland überhaupt noch nie.

Vorbei sind die Zeiten, da das von der Wiedervereinigung belastete Land Europas kranker Mann war: Zwischen 1995 und 2005 wuchs die deutsche Wirtschaft im Schnitt jedes Jahr um maue 1,5 Prozent, Amerika aber um vier Prozent - dazwischen liegen Welten. Pardon: lagen. Heute blicken die überschuldeten USA in eine ungewisse Zukunft, während Deutschland sich im Glanz sonnen darf.

Die Bundesrepublik hat auch Glück: Vom aktuellen Dauerboom in Asien profitieren unsere Exportfirmen ganz besonders. Glück alleine aber ist es nicht. Unternehmen, Arbeitnehmer und Politiker haben ziemlich viel richtig gemacht. Moderate Löhne und flexible Arbeitszeiten machen Produkte made in Germany so wettbewerbsfähig wie nie.

Möglich ist dieses Erfolgsbündnis von Kapital und Arbeit aber nur, weil Deutschland (noch) eine auf Ausgleich und Konsens bedachte Gesellschaft ist. Das sollten die Arbeitgeber bedenken, bevor sie Löhne drücken und befristete Jobs durchsetzen und so die Identifikation der Beschäftigten mit ihrer Arbeit zerstören.

Möglich ist der deutsche Aufschwung auch, weil die Politiker in der Krise auf etwas setzten, was Ökonomen gern verteufeln: Sie förderten die Konjunktur und sicherten Beschäftigung. Die höheren Kosten für Kurzarbeit ersparten Sozialausgaben für Arbeitslose und geben den Firmen jetzt eine eingearbeitete Mannschaft, die alle internationalen Aufträge bewältigt.

Gefahr hinter dem Gartenzaun

Spannend ist, dass den Kern des deutschen Booms eine Stärke ausmacht, die in der Krise wie eine Schwäche wirkte. Der Export, dessen Absturz vor zwei Jahren die Volkswirtschaft kollabieren ließ, bewirkt heute den Höhenflug. Das bedeutet sicher: Die Kritik der französischen Regierung, Exportweltmeister Deutschland wachse auf Kosten seiner Partner, quasi wie ein Vampir, war völlig überzogen. Die Nachbarn können froh sein, dass die Bundesrepublik ihre Waren in viele Staaten der Welt verkauft - und dadurch Kaufkraft ansammelt, die sie in anderen Euro-Ländern ausgibt.

Allerdings müssen die Deutschen darauf achten, dass sie sich nicht allein auf den Export stützen, weil sie dann in der nächsten Krise wackeln. Die Stärkung des Konsums wäre eine wichtige Aufgabe: Durch angemessene Lohnerhöhungen und eine Entlastung von Abgaben. Die Mittelschicht zahlt zu viel Steuern, Geringverdienern nehmen die Sozialabgaben zu viel vom Einkommen weg.

Der deutsche Boom ist ein halbes Wirtschaftswunder, ohne Risiken ist er nicht. Der Ölpreis könnte in den nächsten Monaten schmerzen, die Aussichten der USA sind ungewiss.

Die größte Gefahr aber droht direkt hinter dem Gartenzaun. Deutschland exportiert 60 Prozent seiner Waren nach Europa. Wenn angeschlagene Euro-Staaten wie Griechenland, Portugal oder Spanien als Nachfrager ausfallen, wirkt sich das aus. Die zweite Gefahr ist, dass die Währungsunion in eine Transferunion abgleitet, in der Deutschland die Euro-Schwächlinge auf Dauer alimentiert.

Deshalb braucht die Währungsunion schnell ein Konzept: Einen Schuldenschnitt für Griechenland verbunden mit einer Sicherung des Reformkurses in allen maroden Euro-Staaten. Wenn die Währungsunion stabilisiert wird, kann sie ihre Segenswirkung für den Exportgiganten Deutschland noch viele Jahre entfalten.

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