Süddeutsche Zeitung

Deutscher Mittelstand:Was macht eigentlich ... Udo Walter?

Der Mittelstand gilt als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Aber womit verdienen die Familienunternehmer eigentlich ihr Geld? Wir stellen einige von ihnen vor. Diesmal spricht Udo Walter, Mitinhaber der Patisserie Walter, über tiefgefrorene Desserts, Törtchen für die Fußball-WM und bewussten Konsum.

Von Elisabeth Dostert

SZ: Herr Walter, was machen Sie eigentlich?

Udo Walter: Wir stellen Süßspeisen her und liefern sie tiefgefroren an Caterer und Hotellerie.

Haben Sie das gelernt?

Nein, ich bin Koch und Betriebswirt. Mein Bruder ist Koch und Konditormeister. Wir ergänzen uns. Konditoren nehmen alles sehr genau, jedes Gramm, jedes Grad. Das muss auch so sein bei einem Dessert. Bei Köchen kommt es auf zehn Gramm hin oder her nicht an, die folgen ihrem Bauchgefühl. Ich bin eher der Spinner, mein Bruder der Ruhige.

Wer hatte die Idee, die Firma zu gründen?

Mein Bruder Uwe. Als angestellter Konditor hätte er noch 30 Jahre arbeiten müssen, um seine Doppelhaushälfte abzuzahlen. Die Aussicht gefiel ihm nicht.

Gründen kann ganz schön schief gehen!

Ja. Ich bin auch keiner, der die Selbstständigkeit verherrlicht. Das ist ein harter Job. Meine Eltern hatten einen Gasthof in der Nähe von Kleinheubach. Die Arbeit stand immer im Vordergrund.

Wie groß kann die Patisserie Walter noch werden?

Unsere Kapazitäten reichen maximal für zehn Millionen Euro Umsatz. Ich habe zwar gerade Grund gekauft, aber eigentlich will ich nicht noch mehr Boden versiegeln als bislang. Es kann aber sein, dass ich in zehn Jahren ganz anders denke, wenn es gut für die Firma wäre. Wir hätten auch in der Vergangenheit schon expandieren können, wir hatten Angebote von Investoren, in Dubai, Damaskus oder Las Vegas zu produzieren. Las Vegas fand mein Bruder reizvoll.

Sie nicht?

Doch, irgendwie schon. Da hätten wir an einem Tag so viele Desserts verkaufen können wie in ganz Deutschland. Die Amerikaner wollen Süßes, aber zuckerfrei. Ich verstehe die Amerikaner nicht, jedenfalls nicht gut genug, um dort zu produzieren.

Was ist so schwer zu verstehen?

Wie man, wenn man schon 180 Kilogramm wiegt und zur Fortbewegung einen Rollator braucht, trotzdem jeden Tag noch literweise Cola trinken kann. Das verstehe ich nicht und alles, was ich nicht verstehe, mache ich nicht. Außerdem hätte Las Vegas bedeutet, dass ich viel vor Ort bin. Das wollte ich nicht. Meine Kinder sind noch klein, ich will sie aufwachsen sehen.

Ist Ihnen die Familie wichtiger als die Firma?

Unser höchstes Gut ist die GmbH, die muss ich schützen. Das ist mein Arbeitgeber. Davon leben unsere Familien und das nicht schlecht. Aber ich kann sie nicht in beliebigem Maße anzapfen, um meinen persönlichen Konsum zu finanzieren. Aber noch wichtiger als die Firma sind mir Familie und Gesundheit. Ich weiß, wann ich die Reißleine ziehen muss.

Wann denn?

Ich habe da meine eigene Kennzahl entwickelt. Wenn ich mehr als zwölf Wochen im Jahr unruhig schlafe, ziehe ich die Bremse. Wenn wir bauten, ging mir das so. Da bekomme ich Magenschmerzen, Gürtelrose und letztes Mal einen kreisrunden Haarausfall am Bart.

Ihnen fehlt es an Härte!

Na und? Ich stehe zu meinen femininen Seiten. Auch Unternehmer dürfen Gefühle zeigen. Es kommt nur selten vor, dass ich laut und aufbrausend werde, und wenn es mir auffällt, werde ich sofort ganz still und entschuldige mich. Da müsste ich manchmal drüber stehen.

Sie sagten, die Amerikaner essen gern süß. Gibt es ausgeprägte regionale Präferenzen?

Ja, aber die werden kleiner durch die Globalisierung. Aber es gibt sie noch. Und da wir Dienstleister sind, schauen wir uns immer die Esskultur an und interpretieren sie in unseren Desserts. Als wir den Auftrag für die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika bekamen, ist mein Bruder erst einmal hingeflogen.

Welche Veranstaltung haben Sie bedient?

Alle, alle Caterer in allen Stadien. 400 000 Portionen.

Wie kommt ein Mittelständler aus Kleinheubach an so einen Auftrag?

Wir hatten schon die Desserts für die WM in Deutschland geliefert. Weil die Veranstaltung in Deutschland so gut lief, wollten die Caterer für Südafrika die gleichen Lieferanten, also auch uns.

Sind Sie auch bei der WM in Brasilien zum Zug gekommen?

Die Caterer wollten schon, aber es geht nicht wegen der Zölle. Jeder Bundesstaat Brasiliens hat eigene Zölle. Wenn wir von einem in einen anderen liefern würden, müssten wir Zölle zahlen. Das ist teuer. Die Ware wird ja tiefgefroren in Containern verschifft, dann geht es weiter mit Lkws . In Südafrika lagen die Dessert-Container vor Kapstadt und Durban. Jeder Tag war durchgeplant. Was zuerst gebraucht wurde, lag vorne im Container, damit man nicht jedes Mal den ganzen Container umräumen musste.

Klingt aus ökologischer Sicht ziemlich bedenklich, Desserts von Kleinheubach nach Südafrika zu liefern?

Das wäre es nur, wenn es einen Lieferanten vor Ort gegeben hätte, die solche Mengen in unserer Qualität liefern hätten können. Die gab es aber nicht. Außerdem ist die CO2-Bilanz eines Tiefkühlcontainers unschlagbar, besser als der Lkw-Transport. Fliegen geht gar nicht.

Wie viel verdienen Sie an einem Dessert?

Das ist eine Mischkalkulation. Ich kann Ihnen sagen, welche Rendite die Firma braucht. Mittelständler wie wir müssen eine hohe einstellige oder kleine zweistellige Rendite machen, um sich weiterentwickeln zu können, Ich lebe ja nicht von der verkauften Menge, sondern von Innovationen. Ich sage auch mal Nein, das ist manchmal schwerer als Ja zu sagen.

Ihre Produktion muss erheblich schwanken, Großereignisse wie die WM gibt es ja nicht alle Nase lang?

Das kann ich nur machen, wenn ich es drei, vier Monate im Voraus weiß. Dann kann ich anfangen zu produzieren. Sonst müsste ich Leute einstellen, dann rechnet sich so ein Auftrag nicht mehr. Gefroren halten die Desserts bis zu einem Jahr.

Wie viel Chemie steckt in einem Törtchen, damit es sich Monate hält?

Walter: Null. Wir verwenden keine Konservierungsstoffe. Wir verwenden noch nicht mal Vanillin, sondern nur echte Vanille.

Wie Sie nicht gerade ein Fußballevent versorgen, wen beliefern Sie denn noch?

Luftfahrtgesellschaften und Schifffahrtslinien wie Viking. Oder Hapag-Lloyd, mit denen ist mein Bruder gerade zwei Wochen auf der MS Europa unterwegs. Er gibt Patisserie-Kurse. Im Eventbereich, also zum Beispiel für die Dinner-Zelte, arbeiten wir für viele Sterneköche.

Wen denn?

Alexander Hermann, Harald Wohlfahrt, Kolja Kleeberg.

Die Sterneköche suggerieren doch immer, dass irgendwo hinten im Zelt ein Patissier in der Küche steht und Törtchen dekoriert!

Das tut niemand von denen. Es steht vielleicht nicht auf dem Titel der Menükarte, wer das Dessert liefert, aber wer fragt bekommt eine ehrliche Antwort. Entscheidend ist doch, wer die beste Qualität in großen Mengen für die Zelte liefern kann. Im Sterne-Restaurant erwarte ich die Handschrift des Sternekochs. Ein Großereignis können wir besser bedienen.

Bescheidenheit ist nicht Ihre Stärke?

Nein.

Welche Abnehmer versuchen am stärksten, die Preise zu drücken?

Auf den Preis achtet heute jeder. Die Frage ist, wie stark der Druck ist.

Wie stark ist der Druck auf Sie?

Überschaubar. Unsere Eigenkapitalquote beträgt mehr als 50 Prozent. Da kann man auch schon mal "Nein" sagen. Für mich hat Unternehmertum allerdings mehr mit Geld ausgeben und investieren zu tun als mit sparen.

Wenn sie ständig auf die Kosten achten und Preisnachlässe fordern müssen, haben sie vorher etwas falsch gemacht. Wenn ein Bauer nicht das Getreide sät, das zu seinen Böden passt und deshalb die Ernte schlecht ausfällt, muss er nachher sparen.

Ab welcher Eigenkapitalquote werden Sie unruhig?

Ab einer Quote von weniger als 50 Prozent. Das geht natürlich nicht von Anfang an. Als mein Bruder und ich vor 16 Jahren die Firma gegründet haben, hatten wir 10 000 Mark Miese. Die Sparkasse hat uns damals eine Viertel Million Mark geliehen. Damals ging das noch. Und wir haben immer darauf geachtet, wofür wir das Geld ausgeben. Wir treffen jede Entscheidung bewusst - in der Firma und privat.

Zum Beispiel?

Ich entscheide mich bewusst, drei- vier Mal im Jahr einen mit der Longline geangelten Steinbutt zu essen oder zwei, drei Mal Gänsestopfleber.

Mit dem Argument des bewussten Konsums kann man sich alles schön reden, auch die Gänsestopfleber!

Ich rede mir nichts schön. Ich mache mir bewusst, wie und was ich konsumiere. Die Gänse werden ja nicht zum Stopfen getragen, sondern die laufen zu den Menschen hin, die sie stopfen. Ich habe mir das angesehen. Ich weiß natürlich auch, dass die Leber verfettet. Meine ethische Grenze ist so, dass ich ein, zwei Mal im Jahr Gänsestopfleber esse. Aber das muss jeder für sich entscheiden. Ich bin ein Schönredner, aber in diesem Fall nicht. Wenn jemand sich bewusst für einen Shopping-Trip nach New York entscheidet und ihm die ökologischen Folgen klar sind, finde ich das in Ordnung.

Glauben Sie, dass das den meisten bewusst ist?

Nein.

Fragen die Leute heute stärker als vor zehn Jahren, wie viele Kalorien ein Dessert hat.

Mich fragt niemand. Aber der Trend geht weg vom ganz Süßen. Ich bin auch nicht so der Törtchen-Typ. Wir machen auch viel mit Gemüse oder Sorbets mit Holunderholz oder Johannisbeerstrauch.

Wer kocht bei Ihnen zuhause?

Ich koche jedes Wochenende durch. Kochen ist besser als jede Entspannungstherapie.

Wer kümmert sich um den Nachtisch?

Den nehme ich aus der Firma mit, aber die buche ich aus. Ich nehme hier noch nicht einmal eine Kiste Wasser mit. Geschäft ist Geschäft und privat ist privat.

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