Deutscher Mittelstand:Was macht eigentlich ... Stefan Vilsmeier?

Mittelstand Brainlab

Das Familienunternehmen Brainlab entwickelt Geräte und Software für die Neurochirurgie und die Strahlenbehandlung von Tumoren.

Der Mittelstand gilt als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Aber womit verdienen die Familienunternehmer eigentlich ihr Geld? Wir stellen einige von ihnen vor. Dieses Mal spricht Stefan Vilsmeier darüber, wie er vom Commodore 64 zu Maschinen kam, mit denen man Gehirne operiert.

Von Elisabeth Dostert

Was machen Sie eigentlich?

Wir entwickeln Software und Geräte, die es Ärzten erlauben, Eingriffe minimalinvasiv und damit zu geringeren Kosten durchzuführen. Wir konzentrieren uns auf die Neurochirurgie und die Strahlenbehandlung von Tumoren, auf eine Art Navigationssystem für den menschlichen Körper. Ein Trackingsystem erfasst genau, wo sich das chirurgische Instrument gerade befindet und zeigt die exakte Position auf den vorher gemachten radiologischen 3-D-Aufnahmen an. Damit lässt sich zum Beispiel ein Hirntumor sicherer entfernen oder die perfekte Form eines Hüftimplantats bestimmen.

Die Firma

Brainlab AG

  • Sitz: Feldkirchen
  • Gegründet 1989 in Poing von Stefan Vilsmeier und einem Partner
  • AG seit 1998
  • Umsatz 2013: EUR 241 Millionen Euro .
  • Mitarbeiter: 1200
  • Gewinn vor Steuern 2013: EUR 19 Millionen Euro.

Wie funktioniert das genau?

Auf dem chirurgischen Instrument sitzen silberfarbene Kugeln, die Infrarotlicht extrem gut reflektieren. Zwei Kameras senden Infrarotblitze aus und bestimmen über das reflektierte Licht die räumliche Position des Instruments.

Im Alter von 16 Jahren haben Sie ein Buch über 3-D-Software geschrieben, das sich mehr als 50.000 Mal verkauft hat. Was war so spannend an der Materie?

Ja. Mit 15 hatte ich meinen ersten Computer, einen Commodore 64 geschenkt bekommen. Computerspiele interessierten mich, aber in der Schule nahmen wir gerade Vektorrechnung durch und der Rechner war für mich das Werkzeug, mich kreativ auszutoben und mir Gedanken über die dreidimensionale Darstellung von Objekten zu machen. So entstand das Buch. 1987, in dem Jahr habe ich Abitur gemacht, luden mich dann Forscher von der Uni Wien ein. Die suchten für ein Projekt jemanden, der Daten aufbereitet. Aus dem Projekt ist nie was geworden. Aber in Wien sah ich die ersten Aufnahmen aus dem Kernspin und konnte nicht fassen, dass sie nicht effizienter ausgewertet wurden. Die hingen im Lichtkasten in einer Ecke des OP. Da entstand die Idee für die Software.

Da reist ein Schüler aus der bayerischen Provinz nach Wien. Fühlten Sie sich denn von den Forschern richtig ernst genommen?

Richtig ernst genommen vielleicht nicht. Aber das war Jahre lang meine Geheimwaffe. Ich bin von allen immer unterschätzt worden. Wahrscheinlich hätten wir nie in der Form wachsen können, wenn uns Konkurrenten und Partner, die meist ja viel größer waren, ernst genommen hätten.

Bis zu welchem Alter kommt man damit durch?

Relativ lange. Noch beim zehnjährigen Firmenjubiläum galten wir als der stereotaktische Kindergarten. Wir haben sogar damit kokettiert. Neue Ideen kommen doch meistens von jungen Menschen mit unvoreingenommenem Blick, die ihre Grenzen noch gar nicht kennen. Ich stelle auch bevorzugt Mitarbeiter ein, die noch unverbildet sind, die einfach durch Wände gehen. Damit erreichen wir erstaunlich viel.

Wann war Ihnen denn klar, dass Sie eine Firma gründen sollten?

Nach zwei Jahren, 1989, als unsere Software an Patienten eingesetzt werden sollte. Ich wollte nicht persönlich haften für deren Einsatz in der Chirurgie. Da hätte ich ja immer mit einem Bein im Gefängnis gestanden. Deshalb die GmbH zur Haftungsbegrenzung. Ich wusste nach dem Abitur 1987 auch nicht so richtig was ich machen sollte.

Deshalb habe ich erst einmal meinen Militärdienst geleistet, allerdings verkürzt. Ich hatte an dem damaligen Bundesverteidigungsminister einen Brief geschrieben und um einen dreimonatigen Sonderurlaub gebeten, um die Software zu entwickeln. Der Brief ging den Dienstweg hinaus und wieder zurück, alle in der ganzen Kommandokette wussten, wer ich bin.

Andere studierten, Vilsmeier saß im Keller und programmierte

Schafft das mehr Freunde oder mehr Feinde?

Schwer zu sagen. Ich habe da vielleicht eine selektive Wahrnehmung. Ich bin von Haus aus Optimist. Ich nehme nur das Positive war, den Rest blende ich aus. Ich war immer schon unerschrocken, heute würde ich vielleicht sagen naiv. Ich war immer von unserer Technologie überzeugt.

War die Firma das, was Ihre Eltern sich für ihren Sohn vorgestellt hatten?

Eigentlich nicht. Ich war der älteste Sohn. Während die Jungs aus der Nachbarschaft studierten oder einen ordentlichen Beruf ergriffen, saß ich zuhause im Keller und programmierte Software. Aber meine Eltern haben mich immer ermutigt, das zu machen, woran ich glaube, auch wenn sie es nicht immer verstanden. Ich war sehr zielstrebig, es war schwer, mir irgendetwas auszureden, vielleicht haben es deshalb meine Eltern erst gar nicht versucht. Ich hatte ja auch begonnen, Informatik zu studieren, das habe ich aber nach 20 Tagen auf dem Campus wieder aufgegeben. Das hat mich natürlich auch unter Druck gesetzt, dass die Firma ein Erfolg werden muss.

Sorgen, Ängste, Zweifel plagen Sie wohl nie!

Ich hatte damals und habe auch heute extreme Selbstzweifel, die mache ich aber mit mir aus. Ich reflektiere sämtliche Möglichkeiten. Ich träume auch oft über Brainlab.

Sind das eher schöne Träume oder Albträume?

Sowohl als auch. Die schlimmsten Dinge, die passieren können, habe ich vorher schon in meinen Albträumen durchdekliniert. Ich denke viel nach über alle möglichen Optionen, stelle Entscheidungen infrage und korrigiere den Kurs, auch wenn ich vorher felsenfest überzeugt war von meinem Weg. Ich bin sehr meinungsstark, lasse mich aber beeinflussen.

Sie wirken nicht so.

Bin ich aber. Ich bin nicht verliebt in meine eigenen Ideen. In jedem Problem koexistiert die Lösung, man muss noch den richtigen Horizont wählen, um sie zu sehen. Ich passe die Richtung so lange an, bis der Weg stimmt. Die meisten Menschen scheuen Veränderungen, die möchten, dass alles so bleibt, wie es war, bevorzugen evolutionäre Schritte, kleine Anpassungen. Ich liebe Revolutionen. Wir probieren vieles neu.

Was denn zum Beispiel?

Als wir vor acht Jahren hierher nach Feldkirchen gezogen sind, haben wir potenzielle Caterer in einem Küchenstudio um die Wette kochen lassen mit einem von uns vorgegebenen Warenkorb. Die Gewinner kochen heute noch in unserer Kantine. Es gibt keine Tabletts. Das Besteck liegt schon auf den Tischen und die Teller sind so angerichtet wie im Restaurant. Manche Mitarbeiter bringen sogar ihre Großeltern zum Probeessen mit. Das finde ich saucool. Wir haben auch einige Möbel für die Büros selbst entworfen oder machen uns Gedanken über Arbeitsformen. Kreativität beschränkt sich doch nicht auf Produkte, sondern auch auf Abläufe.

Liegt das unternehmerische Talent in der Familie?

Nein. Meine Mutter war Modezeichnerin und mein Vater im Vertrieb eines Werkzeughändlers. Und ich bin ziemlich schüchtern.

Kann das irgendjemand bestätigen?

Alle, die mich kennen. Networking, zum Beispiel, ist mir ein Horror. Ich stehe dann mit meinem Glas in der Ecke.

Das merkt man nicht!

In 25 Jahren habe ich gelernt, das zu überspielen, weil man sonst nicht weiterkommt. Das ist für mich auch der tägliche Kick, mich aus meiner Komfortzone rauszubewegen. Ich muss mich zu jedem Treffen mit Kunden zwingen. Aber für das, was ich mache, kann ich mich natürlich begeistern und deshalb komme ich nicht so introvertiert rüber. Aber privat bin ich unglaublich schüchtern.

Wieso feiern Sie eigentlich das 25-jährige Firmenjubiläum. Sind 25 Jahre schon Grund genug?

Für ein Software-Unternehmen schon. Eigentlich sind wir 100. Eine Software-Firma denkt in Hundejahren. Das sind auch gefühlte hundert Jahre. Es dreht sich alles schneller und die Innovationszyklen sind kürzer.

Hatten Sie irgendwann einmal das Gefühl, es wird leichter?

Nein, es war immer gleich hart. Früher fuhr ich mit 17 Workstations im Gepäck zu Messen, das war hart. Ich habe auf meiner vorletzten US-Reise in 72 Stunden 19 Kunden besucht. Das war auch brutal.

Wie halten Sie das physisch durch?

Mit Starbucks-Cake-Pops. Ich glaube, ich habe acht Stück davon gegessen.

Aber irgendwann lässt doch die finanzielle Unsicherheit nach oder?

Ja. Der Umsatz bereitet mir heute keine schlaflosen Nächte mehr. Als kleines Unternehmen starrt man am Ende jeden Monats auf die Zahlen, mir ist das gleichgültig, ob es drei oder vier Millionen Euro mehr sind. Das Geschäft läuft. Für die ersten Darlehen musste ich persönlich haften. In der Spitze habe ich für Darlehen in der Höhe des 80fachen meines Netto-Jahresgehaltes gebürgt. Irgendwann ist es auch egal, ob es das 20- oder 40-Fache ist. Bis Mitte der 90er Jahre habe ich die Buchhaltung selber gemacht, zuerst in einem Spaltenjournal, später in einem 80 Meter langen Exel-Sheet. Da krieg man einen gutes Gespür für den Wert des Geldes. Heute kann ich mich darauf konzentrieren, die Ideen voranzutreiben.

Wie oft stand Brainlab vor der Pleite?

Objektiv betrachtet vermutlich sehr oft. Subjektiv gesehen nie, weil ich immer einen Ausweg gefunden habe. Ich war immer überzeugt, ich finde einen Weg. Brenzlig war es nach dem geplatzten Börsengang 2001. Wir waren die letzte Firma, die den Börsengang am Neuen Markt abgesagt hat. Das war am 3. Juli. Am 4. Juli trat ich vor die Mitarbeiter, um ihnen die Gründe zu erklären. Mir war zum Heulen. Während der Rede kam mir dann die rettende Idee.

Die da war?

Der 4. Juli ist doch der amerikanische Unabhängigkeitstag. Für den 5. Juli war die Erstnotiz geplant. Ich habe dann alle Mitarbeiter für den 5. Juli zu unserer Independence Party eingeladen. Wir hatten sowieso schon alles für die IPO-Party bestellt. Ich habe mir allerdings Sorge um unsere Banken gemacht, wir wollten ja eigentlich mit Emissionserlösen die Kredite ablösen.

"Die Ideen gehen uns noch lange nicht aus"

Ich habe dann auf der Party jedem Banker eine goldene Plakette als Anerkennung für die Zusammenarbeit überreicht. Und die Mitarbeiter applaudierten. Für die meisten Banker war es dann emotional gar nicht mehr möglich, die Kredite zu kündigen. Die blieben bei der Stange.

Für die meisten?

Ja. Die Deutsche Bank hat nicht mitgemacht. Die spekulierte auf einen Verkauf des Unternehmens, stellte die Kredite fällig und präsentierte auch schon Käufer. Das war schon brenzlig.

Wie hoch war der Kredit?

Zehn Millionen Euro, das Geld hatten wir auch in der Kasse, aber die anderen Banken mussten zustimmen, dass wir eine Bank aus dem Risiko entlassen. Das haben sie dann auch getan.

Haben Sie sich jemals wieder Geld bei der Deutschen Bank geliehen?

Einmal haben wir es nochmal versucht mit der gleichen Erkenntnis, dass man der Deutschen Bank nicht trauen kann.

Sind Sie heute froh, dass Sie nicht an der Börse sind?

Ja. Viele unserer Visionen waren sehr langfristig und Investoren schwer zu vermitteln. Ich messe den Erfolg von Brainlab daran, wie viele Patienten von unseren Geräten profitieren. Ertrag und Umsatz sind eine Konsequenz daraus, aber nicht das Ziel. Ich möchte mit dem, was ich mache etwas bewegen. Ich hatte nie vor, ein großes Unternehmen zu gründen.

Wie groß kann Brainlab noch werden?

Die Antwort fällt mir schwer. Ich weiß auch gar nicht, wie ich Größe beschreiben soll - der Umsatz, die Zahl der Mitarbeiter? Ich denke nie darüber nach in Form von Zahlen. Inhaltlich haben wir noch sehr viel Potenzial. Viele medizinische Probleme sind noch gar nicht gelöst. Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Thema Schlaganfall. Die Ideen gehen uns noch lange nicht aus. Wir können noch sehr groß werden.

Wie lange wollen Sie den Job noch machen?

Ich habe mir als Zeithorizont zehn Jahre gesteckt. Das heißt, mein Nachfolger arbeitet vermutlich schon bei Brainlab oder wird binnen der nächsten drei Jahre eingestellt.

Und Sie fallen dann in ein Loch?

Nein, es gibt so viele Möglichkeiten, mich noch kreativ auszutoben. Vielleicht kümmere ich mich dann intensiver um unsere Stiftung Right Brain, die unsere Geräte in solche Regionen vermittelt, die sich die nicht leisten können.

Gibt es etwas, das wirklich jenseits des Geschäfts liegt?

Ja. Ich reise gerne. Vielleicht werde ich in meinem nächsten Leben auch Social Entrepreneur. Oder ich gründe ein anderes Unternehmen. Das Thema Bildung finde ich spannend. Wir vermitteln Wissen ja heute noch in derselben Art und Weise wie vor 1000 Jahren. Dass in den Schulen heute ein paar Laptops stehen ändert nicht wirklich viel. Es gibt noch viel zu tun.

Mittelstand Brainlab

Stefan Vilsmeier führt die Firma Brainlab seit der Gründung 1989.

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