Frau Junghans, was machen Sie eigentlich?
Martina Junghans: Wir stellen Deckel und Verschlüsse für Lebensmittelverpackungen her, vor allem für Instant-Produkte wie Kaffee, aber auch für Kräuter, Gewürze, Zucker und Salze.
Klingt relativ simpel?
Das sagen immer alle - bevor ich sie durchs Werk geführt habe. Danach sagen sie, "nie wieder werde ich so einen Deckel achtlos in den Müll werfen". In einem Deckel steckt jede Menge Know-how. Stülpdeckel etwa auf Cappuccino-Dosen sind noch vergleichsweise einfach. Die bestehen nur aus einem Material und haben keine andere Funktion, als die Pappdose zu verschließen.
Was ist Hightech?
Schon etwas komplizierter sind die Deckel für Gläser mit löslichem Kaffee. Die müssen luftdicht abschließen, deshalb ist im Deckel eine Dichtungsscheibe mit der Folie, die später beim ersten Öffnen auf dem Glas sitzt, damit der Kaffee keine Feuchtigkeit zieht. Da gibt es Schraubdeckel und Schnappdeckel, die rasten einfach ein. Der Kunde befüllt nur noch sein Glas und schraubt oder steckt unseren Deckel drauf.
Mögen Sie lieber Schraub- oder Schnappdeckel?
Ich mag das Geräusch von Schnappdeckeln nicht besonders. Für mich fühlt es sich besser an, wenn man ein Glas zuschraubt.
Was ist jetzt die hohe Kunst?
Mehrkomponentendeckel. Die bestehen aus unterschiedlichen Kunststoffen in verschiedenen Farben und besitzen mehrere Funktionen: Originalitätssicherung, Dosierung, Feuchtigkeitsschutz zum Beispiel für Kräuter und Salze. Es gibt Menschen, die bezahlen für ein paar Gramm Salz viel Geld. Die erwarten dann auch eine tolle Verpackung. Oder Puderzucker mit Siebeinsatz, die gehen gut in der Weihnachtszeit.
Wie viel kostet ein Deckel?
Ein paar Cent.
Erkennen Sie denn Ihre Deckel im Laden?
Immer. Mein Mann sowieso, auch wenn der Name nicht im Deckel steht.
Woran denn?
Es gibt Zeichen in den Deckeln, anhand derer sich die Herkunft erkennen lässt..
Arbeiten Sie ausschließlich für die Lebensmittelindustrie?
Nein, wir machen auch Dosen für Fischfutter. Da gelten aber ähnliche strenge Hygienevorschriften wie im Lebensmittelrecht. Noch vor 30 Jahren haben wir die Einzelteile von Deckeln in Heimarbeit zusammenstecken lassen. Das geht wegen der Hygiene nicht mehr, die Handarbeit wäre auch zu teuer. Heute erledigen das Maschinen. Die Werkzeugformen, in denen die Deckel aus flüssigem Kunststoff hergestellt werden, entwickeln wir selbst.
Beliefern Sie alle Lebensmittelhersteller?
Wir haben 10 Kunden und mit vieren machen wir den Großteil unseres Geschäfts.
Wie heißen die?
Deutsche Extrakt Kaffee, Krüger, Weidenhammer, sie stellen die Pappdosen her, und Tetra, sie machen Fischfutter. Wir produzieren etwa eine Million Verschlüsse pro Tag. Wir haben keine Handelsware. Jeder Deckel ist nach den individuellen Wünschen eines Kunden gefertigt.
Macht es Ihnen keine Angst, von so wenigen Auftraggebern abhängig zu sein.
Nein.
Wenn nur einer abspringt, kommen Sie ganz schön unter Druck?
Ja, aber unsere Kunden sind sehr treu, weil die Entwicklung eines Deckels viel Zeit und vor allem Know-how braucht. Vier Monate mindestens für einen normalen Deckel.
Wie läuft denn so ein Auftrag ab?
Der Hersteller bestellt meinen Mann ein und zeigt ihm das neue Produkt. Die Form des Behälters und das Etikett stehen meist schon fest. Was dem Kunden gefällt, haben Markttests ergeben. Es fehlt nur noch der Deckel. Dann beauftragen wir externe Produktdesigner. Die gezeichneten Entwürfe präsentieren wir dann wieder dem Kunden. Falls einer gefällt, verlangt der Kunde Muster. Dann entwickeln unsere Konstrukteure ein Musterwerkzeug für den Deckel und wir produzieren ein paar Musterdeckel.
Wie viel Geld haben Sie bis dahin schon ausgegeben?
Ein paar Tausend Euro. Das Musterwerkzeug darf nicht viel kosten, es muss ja auch nur circa 150 Teile produzieren können. Die Muster zeigen wir dann wieder dem Kunden. Wenn es schlecht läuft, lehnt er den Deckel ab, dann fangen wir wieder vorne an, wenn es gut läuft, akzeptiert er den Deckel und wir lassen nach unseren Konstruktionsplänen ein Produktionswerkzeug herstellen. Das kostet dann schon mal 150 000 Euro, hält aber auch zehn, 20 Jahre. Das zahlt der Auftraggeber.
Aber dann gehört es ihm doch auch. Er könnte die Herausgabe verlangen und zu einem anderen gehen, der mit den von Ihnen entwickelten Formen die Deckel preiswerter herstellt?
Könnte er, das hat auch schon mal einer gemacht. Das ist aber schon lange her.. Nach ein paar Monaten stand der Kunde dann wieder vor unserer Tür. Wir haben hier Mitarbeiter, die hören schon, wenn eine Maschine falsch läuft. Dazu braucht es Erfahrung, die hat nicht jeder.
Sind die Lohnkosten bei einer so starken Mechanisierung überhaupt der entscheidende Faktor?
Nein, genauso wichtig sind die Rohstoffe. Das Kunststoffgranulat wird aus Erdöl hergestellt. Wenn der Preis für Erdöl sinkt, rufen die Kunden bei uns an und wollen nachverhandeln.
Und wenn er steigt?
Dann rufen wir an.
Können Sie sich durchsetzen?
Manchmal.
Der Erdölpreis ist ein Faktor, was kann Ihrem Geschäft sonst noch gefährlich werden?
Hygienenormen. Ende der 90er Jahre wurde in Großbritannien die Norm BRC eingeführt. Wir wollten die Zertifizierung unbedingt, weil wir sonst einen Auftraggeber verloren hätten. Die Umstellung hat uns richtig viel Geld gekostet. Wir mussten neue Umkleiden und Hygieneschleusen bauen, genau festlegen und kontrollieren, wer in welche Bereiche kommt. Das Zertifikat gilt immer nur ein Jahr. Das heißt, wir müssen unsere Mitarbeiter permanent schulen.
Finden Sie als Mittelständler in einem abgelegenen Gewerbegebiet noch leicht Mitarbeiter?
Ja und nein. Eine Zeitlang hat SMA Solar Technology den Arbeitsmarkt leergeräumt. Bei denen verdiente ein Lagerarbeiter so viel wie jemand, der bei uns die Maschinen bedient. Mit solchen Lohnvorstellungen kommen die dann auch zu uns. Das können wir uns nicht leisten. Die passen auch nicht zu uns. Ich kenne jeden mit Namen. Und ich habe bestimmte Vorstellungen, wer zu uns passt. Der oder die sollte schon gerne herkommen.
Aber das erzählt Ihnen doch jeder Bewerber, dass er gerne kommt?
Nein. Wir hatten schon Leute hier sitzen, die dann sagen, "ich mache alles, aber nicht samstags und nicht nachts, und dies und jenes nicht". Da spare ich mir dann die Führung durchs Werk. Manche lasse ich auch erst einmal in Absprache mit dem Arbeitsamt ein bis zwei Wochen zur Probe arbeiten, weil ich im Gespräch den Eindruck habe, dass sie nicht wissen, was Schichtarbeit ist, was es heißt, in der Produktion zu arbeiten. Im Werk ist es laut, heiß und die Mitarbeiter stehen den ganzen Tag. Das muss man aushalten. Das ist eine große körperliche Belastung. In den Bereichen haben wir einen höheren Krankenstand.
Was tun Sie dagegen?
Wir bieten, zum Beispiel, eine Rückenschule an.
Bilden Sie aus?
Ja, seit über 40 Jahren und nur für den eigenen Bedarf. Wir haben einen Mitarbeiter, der vor 30 Jahren bei uns die Ausbildung gemacht hat. Etwa die Hälfte unserer Mitarbeiter sind angelernte Kräfte. Auch das ist nicht ganz einfach.
Wieso?
Sie können heute nicht mehr nichts können. Früher hat man gesagt, wer nichts kann, geht ins Lager oder die Produktion. Wer heute dort arbeitet, muss einen Computer bedienen können. Manche Bewerber können aber nicht ordentlich lesen und schreiben. Das geht gar nicht, denn jeder Mitarbeiter muss Vorschriften zum Thema Arbeitssicherheit und Hygiene lesen können, Schulungen machen. Wir lassen sie auch unterschreiben, ob sie den Lehrstoff verstanden haben. Auch das reicht nicht.
Warum?
Wir haben hier viele Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, viele stammen aus Kasachstan und sie unterschreiben alles. Deshalb machen wir ohne Vorwarnung Tests, ob der Lehrstoff verstanden wurde. Wer nicht 80 Prozent schafft, muss nacharbeiten, zuhause. Den Test müssen auch mein Mann und ich machen. Jede Charge Deckel, die wir ausliefern, muss sich lückenlos rückverfolgen lassen. Wann wurde sie produziert? Welcher Kunststoff wurde verwendet? Welche Farbpigmente? Und so weiter. Das müssen die Mitarbeiter aufschreiben. Es gibt willige und fleißige Menschen, aber das hilft nicht, wenn sie die Sprache nicht einigermaßen beherrschen.
Finden Sie denn genügend Auszubildende?
Neulich hat mein Tango-Lehrer darüber geklagt, dass er keine Schüler mehr findet. Die Zeiten, dass einem Bewerber einfach zulaufen, sind vorbei - für ihn und uns. Früher hatte ich 40 Bewerbungen auf eine Lehrstelle, selbst Ausbildungsstellen für Bürokauffrau sind kein Selbstläufer mehr.
Weshalb?
Das liegt zum einen am demografischen Wandel. Es gibt weniger Schulabgänger. Und die Jugendlichen gehen länger in die Schule, erst in die Hauptschule, wer dann irgendwie kann, macht noch den Quali, danach vielleicht noch die Fachoberschule und dann schauen wir mal. Ich sehe viele Lebensläufe, manchmal frage ich mich schon, warum jemand mit einem Hauptschulabschluss von 3,1 noch die Realschule macht. Das ist doch keiner, dem die Schule leicht fällt.
Vielleicht, weil Arbeitgeber keine Hauptschüler mehr einstellen?
Neulich habe ich eine Radioreportage gehört, da sagte ein Hauptschüler, er macht deshalb weiter, weil in der Schule alles so schön behütet ist. Da ist was dran. Wenn man die Schule verlässt, muss man ein Stück Verantwortung für sein Leben übernehmen. Das schieben viele hinaus. Wir müssen einen großen Aufwand betreiben, um Auszubildende zu finden. Wir stellen auch Hauptschüler ein, selbst mit schlechten Noten. Wir müssen uns heute allerdings intensiver mit den Jugendlichen beschäftigen als früher.
Heißt?
Wir lassen unsvon der Berufsschule bestätigen, ob und wann sie im Unterricht waren. Wir kontrollieren, wie sie in den Schularbeiten abschneiden.
Warum?
Früher konnten Sie davon ausgehen, dass Hauptschüler 1a rechnen konnten. Das ist nicht mehr so. Wenn wir sehen, dass es in der Schule nicht gut läuft, können wir rechtzeitig für Nachhilfe sorgen.
Mit all diesen Hygienevorschriften im Kopf, können Sie noch unbedarft durch einen Supermarkt laufen?
Schon. Wenn ich mit der Bahn gefahren bin, wasche ich mir die Hände. Das tun andere auch. Ich habe auch den Eindruck, dass heute mehr Keime im Umlauf sind als vor 25 Jahren. Aber wenn sie in einem Restaurant essen, wissen sie auch nicht, ob jeder in der Küche seine Hände gewaschen und desinfiziert hat. Das muss man hinnehmen, sonst kann man ja gar nicht mehr aus dem Haus. Neulich hatte ich allerdings tiefgefrorene Beeren gekauft, weil ich meiner Tochter ein Smoothie machen wollte, da fand ich fünf lange schwarze Haare drin.
Haben Sie sich beschwert?
Ja klar. Die haben mir fünf Euro geschickt, damit ich mir eine neue Packung kaufen kann.