Deutscher Mittelstand:Was macht eigentlich ... Dirk Wember?

Haas Schleifmaschinen

Die Produktionshalle des Mittelständlers Haas Schleifmaschinen in Trossingen.

(Foto: Kraas & Lachmann)

Der Mittelstand gilt als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Aber womit verdienen die Familienunternehmer eigentlich ihr Geld? Wir stellen einige von ihnen vor. Ein Gespräch mit Dirk Wember über Schleifmaschinen, den Mittelstand und Konzerne.

Von Elisabeth Dostert

Was machen Sie eigentlich?

Wir entwickeln und produzieren Werkzeugmaschinen und Software.

Wieso heißt die Firma denn dann Haas Schleifmaschinen?

Unsere Maschinen können auch schleifen, aber nicht nur, sie können auch fräsen, drehen und bohren, alles was nötig ist, um ein Werkstück fertigzustellen. Das verlangen die Kunden, die wollen möglichst viel auf einer Maschine machen können. Der Ursprung und die Hauptanwendung ist aber schon Schleifen, das stimmt.

Wie viele Maschinen stellen Sie jährlich her?

70 bis 90. In unserem neuen Werk können wir bei Vollauslastung bis zu 120 bauen.

Die Firma

Haas Schleifmaschinen GmbH

  • Gegründet 1934 durch Adelbert Haas
  • Umsatz: rund 40 Millionen Euro
  • Beschäftigte: 150
  • Geschäftsführer: Dirk Wember
  • Gesellschafter: Dirk Wember: 90 Prozent
  • Thomas Bader: 5 Prozent
  • Wolfram Hermle: 5 Prozent

Was kosten die Geräte?

Die einfacheren rund eine Viertel Million Euro, die technisch anspruchsvollsten mehr als eine Million.

Wer sind die Abnehmer?

Wir bedienen im Wesentlichen drei Industriezweige: die Werkzeughersteller machen etwa die Hälfte unserer Erlöse aus, die orthopädische Industrie macht ein Viertel aus, und die Zulieferer und Hersteller von Flugzeug- und Gasturbinen, die steuern ein Sechstel bei.

Was schleifen die Medizintechnik-Firmen auf Ihren Maschinen?

Implantate, hauptsächlich künstliche Knie. Da sind wir der weltweit führende Lieferant von Schleifmaschinen.

Was sind die größten Risiken für Ihr Geschäft?

Haben wir bis morgen Früh Zeit?

Nein, bitte nur die beiden größten Gefahren!

Die größte Bedrohung sind die Finanzmärkte und ihre Kapriolen.

Wie tangieren die Sie?

Mein Geschäft hängt davon ab, dass meine Kunden investieren, also an ihre Zukunft glauben. Unsicherheit an den Finanzmärkten verunsichert die Kunden. Die halten sich dann mit Aufträgen zurück.

Wie ist die Stimmung gerade?

Ganz gut auf den meisten Märkten. In den vergangenen Monaten hat sie sich erheblich verbessert. In China gibt es noch Irritationen.

Was ist die zweitgrößte Bedrohung?

Das sind alle Risiken, die die Zukunftsfähigkeit der Firma bedrohen.

Haben Sie Zweifel, dass Haas nicht zukunftsfähig ist?

Die Zweifel müssen sie immer haben, wenn sie Unternehmer sind, um wachsam zu bleiben. Die Frage ist doch: was macht ein Unternehmen zukunftsfähig? Haas ist ein technologiegetriebenes Unternehmen. Wir stehen im Wettbewerb um Talente, um die Brainforce, mit der wir eine Firma wie diese in die nächste Generation führen können. Das ist schon eine Herausforderung.

Finden Sie nicht genügend Mitarbeiter, weil Haas Schleifmaschinen aus Trossingen in der Rangliste der Wunscharbeitgeber nicht ganz oben steht?

Das ist wahrscheinlich so.

Woran liegt es?

Die meinungsbildenden Medien zeichnen doch jeden Tag ein Bild der deutschen Wirtschaft. Die Zeitungen schreiben über BMW, Siemens, Daimler, Google und so weiter. Der Mittelstand kommt selten vor. Wie sollen sich junge Menschen für den Mittelstand begeistern, wenn die Medien ständig suggerieren, dass es nichts Schöneres gibt, als für BMW, Google, Siemens oder Facebook zu arbeiten? In einer Gesellschaft, die in ihrer Wahrnehmung immer mehr den Medien folgt, den analogen und digitalen, fällt es mir schwer, die Attraktivität meiner Firma zu vermitteln.

Es steht Ihnen doch frei, über Twitter oder auf Facebook für sich zu werben!

Das mache ich auch! Aber mein Marketingbudget ist nicht vergleichbar mit dem der Konzerne.

Dann bekommen Sie jetzt die einmalige Chance: Nennen Sie mir mal einen Grund, weshalb es schöner ist für Haas Schleifmaschinen auf dem Land zu arbeiten als für BMW?

Ich finde BMW schon auch toll. Aber ein technikbegeisterter Mensch findet doch bei einem Mittelständler ein viel offeneres Spielfeld, da kann er viel mehr bewegen in kürzerer Zeit und seine Ideen viel leichter in die Tat umsetzen, als er das bei BMW je tun können wird.

Behaupten Sie! Das sei dahingestellt. Dafür kann er für BMW nach China gehen, in die USA...

...in den USA haben wir auch eine Vertriebstochter.

Und Ihre Mitarbeiter müssen sich damit abfinden, dass sie weniger verdienen als bei einem Autokonzern...

...wenn ich meine Mitarbeiter nicht ähnlich bezahlen würde, fände ich keine...

...einschließlich Boni?

Boni gibt es bei uns auch. Ich bin mir schon bewusst: im Vergleich zu BMW bin ich nur ein Sandkorn. Mich stört nur die Wahrnehmung des Mittelstands in der Öffentlichkeit und die Konsequenzen daraus. Ich komme schlecht weg, wie viele andere Mittelständler auch; wir finden gar nicht statt, das ist schade. Die Ignoranz der Medien erschwert es uns, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Die wahre Welt spielt sich doch nicht auf der Vorstandsetage von BMW ab. Da geht es um viel Geld und viel Macht, aber die Konzerne sind nicht die einzige Facette der Wirtschaft.

Wie Dirk Wember zur Firma Haas kam

Früher fanden Sie Konzerne auch attraktiver als Mittelständler. Bevor Sie sich Anfang 2000 mit 90 Prozent an Haas Schleifmaschinen beteiligt haben, haben Sie mehr als 15 Jahre für den französischen Autozulieferer Valeo gearbeitet! Wo denn?

Wolfsburg, Paris, München, Stuttgart, Toronto.

Und jetzt Trossingen! Können Sie mir das mal erklären?

Das ist einfach. Als ich mich entschied, selbständig zu werden..

...wie alt waren Sie da?

38.

Ziemlich alt!

Der letzte Augenblick, aber gut vorbereitet durch eine internationale Karriere in einer Industrie, in der die Messer lang und scharf sind. Ich wollte etwas Technologisches und Internationales. Ich wollte eine Firma finden, deren Zukunft ich gestalten kann.

War Ihre Karriere bei Valeo am Ende?

Nein, ich hatte tolle Aufstiegschancen. Ich war Co-Chef für eine Unternehmenssparte mit 6000 Mitarbeitern und Sitz in Paris. Mittleres Management, wir berichteten an den Vorstandschef.

Was haben Sie verdient?

Viel mehr, als ich bei Haas jemals im Jahr verdienen werde.

Einschließlich Ausschüttung?

Ja.

Hatten Sie den Konzern satt?

So ein Leben hat auch private Implikationen. Ich hatte drei Kinder und sah meine Familie kaum. Das wird irgendwann ein Problem. Es hatte auch berufliche Gründe. Ab einem bestimmten Level beschäftigen sie sich nicht mehr mit der Sache, sondern arbeiten an ihrem Netzwerk. 70 bis 80 Prozent ihrer Zeit verbringen sie damit, ihr Netzwerk zu pflegen.

Sie meinen, Strippen zu ziehen?

Ja. Sie arbeiten am nächsten Karriereschritt.

Wie viele Ihrer Valeo-Kollegen haben Ihnen einen Vogel gezeigt?

Es wussten nicht so viele Leute, dass ich einen Mittelständler kaufen wollte. Wo Trossingen ist, wussten die auch nicht. Ich auch nicht. Es gab wenige Menschen, die mir viel Glück gewünscht haben. Aber ich hatte auch wenig soziale Kontakte im Konzern, da redete man nicht über Privates.

Wie fanden Sie Haas?

Ich habe die Nachfolgebörse der Industrie- und Handelskammern durchforstet. Da suchte Horst Bader einen Nachfolger für Haas Schleifmaschinen. In den meisten Anzeigen steht weniger drin, als wenn sie über eine Kleinanzeige einen gebrauchten Rasenmäher kaufen wollen. Das war harte Arbeit, die Börsen zu durchforsten. Ich habe dann am Ende 20 angeschrieben und zehn besucht. Das hat eineinhalb Jahre gedauert. Ich bekam Dinge zu sehen, die mit Unternehmen gar nichts zu tun haben.

Erzählen Sie! Da haben Sie doch sicher tiefe Einblicke in den von Ihnen so geschätzten deutschen Mittelstand gewonnen.

Oh mein Gott! Oh mein Gott! Es gab Zwei-Mann-Unternehmen. Es gab Firmen, die existierten nur auf dem Papier, reine Luftnummern. Aber hier und da gibt es auch Unternehmen wie Haas.

Wie haben Sie Ihrer Frau und Ihren Kindern erklärt, Ihr wohnt jetzt nicht mehr in Paris, sondern in Trossingen?

Damals lebten wir in Toronto. Die haben das mit großer Gelassenheit aufgenommen.

Heißt in weniger freundlichen Worten, Ihre Familie hatte sowieso die Nase voll vom ständigen Umziehen?

Ja. Natürlich hatten die die Schnauze voll vom Umziehen. Die genießen das Leben hier, aber schätzen es auch, dass sie von hier aus in einer Stunde in Stuttgart oder Zürich sind oder in drei Stunden in München. Wir sind keine Menschen, die eine Fahrzeit von eineinhalb Stunden von irgendetwas abhält und einen Besuch in München für eine Urlaubsreise halten. Wir waren andere Distanzen gewohnt. Mittlerweile sind die Kinder auch erwachsen. Ich genieße mein Leben auf dem Land, aber mal ein Wochenende in Paris oder München zu verbringen, tut mir auch gut.

Wie viel haben Sie für Haas bezahlt?

Sechs Millionen Mark. Solange das Unternehmen so viel Gewinn abwirft, um den Kaufpreis zu finanzieren, ist der auch nicht strittig.

Haben Sie den Kaufpreis inzwischen verdient?

Aber ja.

Wann sind die Momente, in denen es Ihnen leid tat, Haas übernommen zu haben, weniger geworden?

Die hat es nie gegeben.

Trotz der Sorgen und Risiken oder Ängste, die Sie als Angestellter nicht hatten?

Doch. Je höher sie als Angestellter steigen, desto größer sind die Ängste. Die können furchtbare Formen annehmen.

Dass Sie rausfliegen?

Ja, obwohl das noch nicht mal ein finanzielles Risiko wäre. Je höher sie in der Hierarchie standen, umso weicher fallen sie. Das ist nicht das Problem. Sie haben ja die Abfindung. Aber aus einem System rauszufliegen, in dem sie eine gewisse Rolle gespielt haben, ist eine furchtbare Niederlage.

Sind Ihre Ängste jetzt geringer als früher?

Geringer und anders. Ich bestimme jetzt die Geschicke des Unternehmen, für Erfolge und Misserfolge bin ich verantwortlich.

Hat Haas Sie mehr verändert als Sie Haas?

Das ist eine schwierige Frage. Haas hat mich stark verändert.

In welcher Form?

Ich musste die Konzerndenke ablegen. Ich habe meine Basics neu entwickelt.

Was meinen Sie mit Basics? Gehen Sie heute mit Mitarbeitern anders um als früher bei Valeo?

Ja. Das Mitarbeiterbild eines Konzerns ist total anders. Der Mittelständler fasst seine Belegschaft als seine wichtigste Ressource, manchmal auch seine empfindlichste auf, im Konzern sind Mitarbeiter Produktionsmittel.

Heißt, Sie sind in der ersten Zeit gegen manche Wand gelaufen?

Ich und andere auch. Das war ein Konfliktfeld. Da habe ich mich geändert, aber in anderen Dingen auch. Wir leben ja hier auf dem Land. Hier in der Region gibt es jede Menge Mittelständler, die machen gerne mit anderen Mittelständlern Geschäfte. Wenn sie aus einem Konzern kommen, müssen sie lernen, dass sie mit einem Mittelständler ohne Rechtsanwalt Geschäfte machen können. Da braucht es keine dicken Verträge. Das ist super. Einen konzerngeprägten Manager verunsichert es, wenn da einer sagt: Ich gebe Dir jetzt einen Auftrag, Hand drauf, und morgen überweise ich das Geld. Das machen hier noch viele so. Und glauben sie nicht, dass diese Mittelständler schlechter bedient werden als die mit den dicken Verträgen und der Horde von Rechtsanwälten. Die werden besser bedient. Und glauben sie nicht, dass die weniger Druckmittel haben. Die haben ein monströses Druckmittel: ihren Ruf. Ich habe hier jede Menge gelernt.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich richtig angekommen und aufgenommen fühlten?

Vier, fünf Jahre. Ich weiß, wer mir traut und wem ich trauen kann.

Wie viele Ihre Kinder wollen Ihre Nachfolge antreten?

Mein Jüngster ist 19 und studiert Bioinformatik in Tübingen, der hat mir klar gesagt, dass er sich überhaupt nicht für mein Geschäft interessiert. Mein Ältester ist 29 Jahre alt und studiert industrielle Fertigungstechnik in Tuttlingen, da bin ich mir nicht ganz sicher, was er will. Meine Tochter ist 23 und studiert Maschinenbau in Stuttgart, die arbeitet hier ab und an. Ich glaube, die interessiert sich dafür, die Firma zu übernehmen, und ich würde mich freuen, wenn sie es täte.

Haas Schleifmaschinen

Geschäftsführer Dirk Wember

(Foto: Kraas & Lachmann)
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