Deutscher Discountmarkt in der Schweiz:"Zu Aldi gehe ich nicht mehr so schnell"

Lesezeit: 4 min

Seit einem Jahr ist Aldi in der Schweiz - und stößt dort auf geteilte Zustimmung. Viele Kunden fremdeln, andere freuen sich über die günstigeren Preise.

Judith Raupp

Ruth Rämi schaut grimmig, keinesfalls wie eine glückliche Kundin. Das liegt nicht nur am Lärm, mit dem die Teerwalze über den Max-Bill-Platz im Züricher Stadtteil Oerlikon rumpelt. Rund um den neuen Geschäftsblock mit Reinigung und Friseur soll alles schöner werden.

Aldi-Suisse-Sprecher Sven Bradke bei der Eröffnung der ersten vier Schweizer Aldi-Filialen. (Foto: Foto: AP)

Ginge es nach Rämi, müsste sich auch die Aldi-Filiale im Erdgeschoss herausputzen. "Die Waren sind ungepflegt präsentiert", sagt die Dame mittleren Alters. Sie trägt einen Blazer in dezentem Beige. Die Hose passt farblich perfekt. Andere Kundinnen im Aldi sind nicht so schick gekleidet.

Rämi ist zuvor noch nie beim deutschen Discounter gewesen, obwohl Aldi am 27. Oktober vor einem Jahr die ersten Filialen in der Schweiz eröffnete. Sie ist entsetzt, dass die meisten Waren auf Paletten liegen statt in Regalen. Nur bei den Blumensträußen wird sie einen Moment schwach. Sie lässt die Rosen aber im Ständer stecken.

Halb verwelkte Blumen

"Die Blumen sehen aus, als ob sie verwelkt sind, bis ich zu Hause bin", schimpft Rämi. Nach dem ersten Besuch ist ihr klar: "Zu Aldi gehe ich nicht mehr so schnell." Rämi steht mit ihrer Abneigung gegen die Paletten-Kultur nicht allein da. Viele Schweizer erzählen, dass sie lieber in den Supermärkten von Migros und Coop einkaufen.

Die beiden Filialisten heimsen zwei Drittel des Schweizer Einzelhandelsumsatzes von 40 Milliarden Franken ein. Dagegen ist Aldi mit seinen 18 Filialen und einem geschätzten Jahresumsatz von 190 Millionen Franken eine kleine Nummer.

Thomas Rudolph, Leiter des Instituts für Marketing und Handel an der Universität St. Gallen, vermutet, "dass es für Aldi in der Schweiz nicht so gut läuft, jedenfalls wenn man das Geschäft am Erfolg in Deutschland misst".

Spärlich belegte Parkplätze

Er stützt seine Meinung auf Beobachtungen. Rudolph erzählt von teilweise spärlich belegten Parkplätzen vor den Filialen und von halb gefüllten Einkaufswagen.

Seit im April, nur sechs Monate nach der Eröffnung, Ulrich Born, der Verwaltungsratspräsident und Schweizer Geschäftsführer von Aldi ging, teilen einige Beobachter die Skepsis von Rudolph. Offiziell heißt es, Born sei aus persönlichen Gründen ausgeschieden. Seine Aufgaben erledigen nun Armin Burger und Roman Heini.

Burger managt die österreichische Aldi-Tochter Hofer mit großem Erfolg und wacht jetzt zusätzlich als Verwaltungsratspräsident über die Schweiz. Heini, zuvor Borns rechte Hand, leitet das operative Geschäft.

Wie es um Aldi im Alpenland wirklich steht, ist ungewiss. Manche sagen, das Abenteuer Schweiz lohne sich, andere behaupten das Gegenteil. Das Unternehmen nennt keine Zahlen, und der Sprecher von Aldi Schweiz darf nur sagen, dass "wir sehr zufrieden sind". Vielleicht stimmt das sogar. Die Filiale in Oerlikon ist heute gut besucht.

Einige Kundinnen drängeln sich im Gang, weil eine Palette Barbera d'Asti den Weg versperrt. Es dauert, bis die Verkäuferin die Kartons neben den anderen Weinen gestapelt hat. Den "Klassiker aus dem Piemont" lassen die meisten aber links liegen. Mona Ledinic zum Beispiel packt ihren Wagen lieber mit Mineralwasser und Küchenrollen voll.

Die Gewerkschaft greift ein

"Ich gehe oft zu Aldi, weil es billig ist", erzählt die Frau im Strickpulli. Sie lebt von einer kleinen Invalidenrente und muss beim Einkaufen aufs Geld schauen. Carlo Mathieu versteht das. Der Sekretär der Gewerkschaft Syna geht selbst zwar nicht zu Aldi - aus Prinzip. Er gewinnt dem Discounter aber durchaus Positives ab. Als Aldi kam, haben die etablierten Einzelhändler die Preise gesenkt.

Das gefällt vielen Schweizern, denn auch in dem reichen Land verdienen nicht alle gut.Mathieu will aber verhindern, dass die Billigpreise auf Kosten der Beschäftigten gehen. Den Lohn bei Aldi findet er aber in Ordnung, branchenüblich eben.

Allerdings bietet der Discounter nur Teilzeitstellen, von denen sich schlecht leben lässt. Die Mitarbeiter hätten zudem kaum eine Chance, einen zweiten Job auszuüben, kritisiert der Gewerkschafter. Denn Aldi ordne oft sehr kurzfristig Überstunden an.

Selbst ehrenamtliche Tätigkeiten in der Freizeit müssten sich die Beschäftigten genehmigen lassen. Mathieu wittert eine Attacke gegen die Gewerkschaften. Die Mitarbeit dort ist schließlich auch ehrenamtlich. "Wir hören oft, dass die Geschäftsleiter Druck ausüben, damit niemand der Gewerkschaft beitritt", sagt er.

Am meisten stört ihn, dass Aldi offenbar den eigenen Leuten misstraut. Anfangs wollte der Discounter gar das Arztgeheimnis kippen. Der Chef hätte jederzeit nachfragen können, was seinen Mitarbeitern fehlt. Als Syna intervenierte, hat Aldi diesen Passus aus dem Arbeitsvertrag gestrichen. Geblieben ist vieles, was den Gewerkschafter ärgert.

Zum Beispiel soll eine junge Frau gefeuert worden sein, nur weil sie mit Rastazöpfen zur Arbeit kam. Und wenn jemand die Kollegin nicht verpfeift, die sich beim Klauen eines Apfels erwischen lässt, kann Aldi fristlos kündigen.

Klick, klick, klick. Der Scanner surrt im Sekundentakt, wenn die Kassiererinnen Unterhosen oder Kaffee über den Sensor ziehen. Zwei der sechs Kassen sind in der Züricher Filiale besetzt. Als die Kunden etwas länger anstehen müssen, eilen zwei Kassiererinnen zu Hilfe. Sie lächeln.

Dabei erinnern sie an einen Fototermin für das Klassenalbum, bei dem der Lehrer ständig sagt, man solle freundlich schauen. Der Scanner klickt noch öfter in noch kürzerer Zeit. Sobald die Schlangen wieder kurz sind, stapeln die Frauen wieder Kartons.

Kurze Wartezeiten - und vieles ist billiger

Mona Ledinic schätzt die kurzen Wartezeiten. Sie kennt das Aldi-System von früher, als sie in die Filialen nach Deutschland fuhr. "Wenn ich noch ein Auto hätte, würde ich immer noch dorthin fahren", sagt sie. Es sind ja nur 40 Kilometer von Zürich. "Vieles ist dort einfach billiger", weiß Ledinic. Für 250 Gramm Butter verlangt Aldi in Deutschland zum Beispiel 0,75 Euro, in der Schweiz umgerechnet 1,69 Euro.

Obst, Gemüse, Milchprodukte und Fleisch muss Aldi Schweiz teuer im Inland beziehen, weil die Regierung in Bern Bauern und Zwischenhändler vor ausländischer Konkurrenz schützt. So kommt es, dass der größte Konkurrent von Aldi Schweiz Aldi Deutschland heißt. Samstags erklingt in den grenznahen deutschen Filialen immer noch mehr Schweizer Dialekt als Hochdeutsch. Fast so, als gäbe es Aldi bei den Eidgenossen überhaupt nicht.

Jetzt kommt auch noch Erzrivale Lidl ins Alpenland. Am Hauptsitz in Weinfelden wird schon gebaut. Die ersten Geschäfte öffnen vermutlich 2008. Mona Ledinic freut sich auf noch billigere Preise. Und Gewerkschafter Mathieu macht sich auf Runde zwei im Streit mit deutschen Discountern gefasst.

© SZ vom 21.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: