Für deutsche Atommanager eine verlockende Vorstellung. Die Entsorgung der strahlenden Hinterlassenschaft gilt als das zentrale Problem der Nuklearindustrie. Die Suche nach einem deutschen Endlagerstandort wie Gorleben ist politisch höchst umstritten und dürfte noch viele Jahre dauern. Aufwendig ist auch das Zerlegen eines AKW infolge des beschleunigten Atomausstiegs: Die Konzerne rechnen mit Kosten je Anlage von bis zu einer Milliarde Euro - etwa dem Dreifachen der Baukosten.
Dass viele verschämt ins Ausland schielten war klar. Dass es einen so konkreten Vorstoß gab wie im Fall EnBW, war jedoch unbekannt. Den Dokumenten zufolge lag sogar schon ein Angebot aus Russland vor. Als Partner für den Rückbau des AKW Obrigheim war den Papieren zufolge Atomprom vorgesehen, eine russische Atom-Holding, die Russland damals gerade schmiedete. Sie sollte 49 Prozent an einem Gemeinschaftsunternehmen, eine EnBW-Tochter 51 Prozent halten. Die Offerte schloss den Bau eines Entsorgungszentrums in St. Petersburg samt Schmelzofen ein. Geschätztes Investment: 400 Millionen Euro, plus 15 Jahre Betriebskosten von 65 Millionen Euro. Auch der EnBW-Anteil an dem Investment war schon berechnet: ,,10 Prozent der oben genannten Werte''.
Am liebsten wollte der deutsche Konzern den Müll dann offenbar auch endgültig in Russland versenken. Sobald ein Endlager vorhanden sei, erhalte man ,,eine Zugangsoption zur Endlagerung von radioaktiven Betriebs- und Stilllegungsabfällen'', heißt es in dem vertraulichen Papier.
Kein Alleingang
Offenbar war der Vorstoß kein Alleingang. Involviert war auch die Russische Akademie der Wissenschaften. Deren Vizepräsident Nikolaj Pawlowitsch Lawerow schrieb unter "Bezug auf mein Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden der Energie Baden-Württemberg AG Prof. Dr. Utz Claassen", "intensive Besprechungen und Briefwechsel mit ihrem Unternehmen im Laufe der letzten 12 Monate", man werde die "Nutzung eines Plasmaschmelzofens und eines Zwischenlagers für die Lagerung und Behandlung der Komponenten des Kernreaktors Obrigheim, die zur Behandlung nach Russland gebracht werden, ... sichern" - nur wenige Tage nach der Präsentation im Konzernvorstand.
Selbst höchste politische Stellen sollen sich für das heikle Projekt stark gemacht haben: Ein solches "Zwischenlager- und Behandlungszentrum auf russischem Territorium", das man ausländischen Partnern zur Verfügung stelle, sei "Teil der Vorschläge, welche vom Präsidenten der russischen Föderation auf dem jüngsten Gipfel in Sankt Petersburg offiziell unterbreitet wurden", erklärt Lawerow weiter. Ein Angebot, das mit freundlichen Grüßen aus Moskau schließt.
Die Rolle der Bundesregierung
Und sogar die Bundesregierung war über Pläne für eine deutsch-russische Kooperation beim AKW-Rückbau im Bilde: Am Rande eines Treffens im Bundeswirtschaftsministeriums zwischen Ex-Staatssekretär Bernd Pfaffenbach und Rosatom-Vizechef Andrey Malyshev im November 2006 in Berlin seien Pläne für eine "kommerzielle Kooperation mit deutschen Unternehmen im Bereich der Stilllegung kerntechnischer Anlagen" angesprochen worden, räumte die Bundesregierung in einer Antwort auf Fragen der Grünen vom Dezember ein, die der SZ vorliegt.
Deutscher Atommüll für Russland - Unsinn also? Die Frage drängt sich auf, ob die deutsche Öffentlichkeit möglicherweise über Jahre über wahre Ziele beim Umgang mit der strahlenden Altlast getäuscht wurde. Die Russland-Kontakte im Zuge des Obrigheim-Rückbaus waren dem deutschen Stromriesen EnBW indes eine Menge Geld wert. Als Vorauszahlung überwies man 46,5 Millionen Euro an Geschäftspartner. Eingeschaltet: Eine der Schweizer Firmen des umstrittenen Lobbyisten Andrey Bykow, Pro Life Systems.