Deutscher Aktienindex:Warum der Dax so viel Beachtung nicht verdient

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Der Deutsche Aktienindex steigt auf 12 000 Punkte. Es läuft also gut - blöd nur, dass der normale Mensch davon nichts hat. Warum werden eigentlich jeden Tag Dax-Stände hoch- und runtergebetet?

Ein Kommentar von Marc Beise

Was hat nur dieser Dax, dass er so allgegenwärtig ist? Keine Nachrichtensendung ohne Blick auf diese Kennzahl und diesen Begriff, der gerne auch "Leitindex" oder "Börsenbarometer" genannt wird; am besten immer mit Live-Schaltung direkt in den Handelsraum in Frankfurt. Natürlich auch kein Wirtschaftsteil ohne Dax-Tabelle, und das Radio meldet gleich mehrmals täglich jede noch so kleine Veränderung. Wichtig, wichtig das alles, alle hören irgendwie hin, obwohl doch - welche Ironie - die wenigsten so genau wissen, worum es eigentlich geht.

Ein bisschen ist das Ganze wie der biblische Tanz der Israeliten ums goldene Kalb, damals am Fuß des Berges Sinai. Ein Götzenwerk, gegossen aus dem Schmuck des Volkes - als Moses das sah, nach dem Abstieg mit den Zehn Geboten im Gepäck, zerschlug er es. Man muss den Dax nicht unbedingt ebenso zertrümmern. Aber man sollte ihn doch gelegentlich durch Missachtung strafen.

Der Deutsche Aktienindex, ein Index von vielen, ist maßgeblich für Menschen, die in Aktien investiert haben und vielleicht sogar auf den Dax wetten. Ansonsten ist er ein Orientierungspunkt für Börsianer, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Im Dax ist die Entwicklung der 30 größten und umsatzstärksten an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen zusammengefasst (derzeit von A wie Adidas bis V wie Volkswagen). Börsen gibt es seit Jahrhunderten, den Dax erst seit 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall; das glaubt man kaum, so allgegenwärtig wie er heute ist.

Der Aktienindex ist nicht so wichtig, wie immer getan wird

Damals wurde er auf 1000 Punkte festgesetzt, jetzt hat er die 12 000-Punkte-Marke genommen. Auf diesem Weg sind manche reich geworden und andere arm, und viele haben bei diesem Spiel mitgemacht, die es gar nicht beherrschten.

Der Dax auf neuem Höchststand hat nichts Dämonisches an sich, wie seine Kritiker glauben mögen, er bedeutet kein letztes Aufflackern des Kapitalismus, übrigens auch nicht das Gegenteil. Sondern er ist einfach Ergebnis eines "Anlage-Notstands", wie manche Kundige sagen: Menschen mit Geld wollen dieses für sie arbeiten lassen, sie suchen an den Finanzmärkten nach lukrativen Anlagen. Weil aber die Zinsen so niedrig und die Wirtschaftslage vieler Staaten so schlecht ist, bringen die meisten Anlageformen in Europa heute kaum noch Rendite. Zugleich ist immer mehr Geld im Umlauf, erst recht, seitdem die Europäische Zentralbank nun sogar monatlich 60 Milliarden Euro in die Finanzmärkte drückt. Weil nichts anderes noch lukrativ ist, fließt das Geld in Aktien.

Damit verliert der Dax allerdings eine hilfreiche Funktion. Da an den Börsen normalerweise Erwartungen gehandelt werden, und nicht die aktuelle Realität, zeigen steigende Kurse an, dass man allgemein gutes Wirtschaftswetter erwartet; fallende Kurse hingegen künden von Gefahr. Wenn aber so viel Geld im Markt ist wie derzeit, das irgendwo geparkt werden muss: Was wird dann aus der Frühwarnfunktion der Börse?

Die Deutschen haben von Aktien die Nase voll

Der Dax also läuft gut - blöd nur, dass der normale Mensch davon nichts hat, der wirklich mal ein bisschen mehr Geld bräuchte, als er mit Hand oder Kopf verdienen kann. Seine bevorzugten Anlageformen sind Sparbuch, Tagesgeld, Festgeld; das alles bringt aber nur noch wenig. Dabei war es einst fast gelungen, die Deutschen für Aktien zu begeistern. Es war das Jahr 1996, die Telekom avancierte zur "Volksaktie", und Manfred Krug war ihr Werbeträger - ein "Tatort"-Kommissar, das zählt was in Deutschland. Als im Zuge der "Internetblase" viele schwache oder sogar unseriöse Unternehmen an die Börse kamen, schoss der Dax leider erst hoch und dann herunter. Genau wie Manfred Krugs Telekomaktie, die bei umgerechnet 14,57 Euro begann, auf über 100 Euro kletterte und dann verfiel; heute ist sie noch 17 Euro wert. Seitdem haben die Deutschen von Aktien die Nase voll.

Etwa acht Millionen Bundesbürger haben Aktien oder Anteile an Aktienfonds, gerade mal etwas mehr als zehn Prozent der Bevölkerung - dabei hätten sie in den vergangenen Jahren gut mitverdienen können. Stattdessen machen nun vor allem die professionellen Anleger Kasse: Vermögende, Firmenanleger und Institutionen, die Aktien halten - die übrigens alle ihre Kurse elektronisch checken. Weswegen es erst recht ziemlich blöd ist, in den Massenmedien täglich mehrmals Dax-Stände hoch- und runterzubeten.

Warum eigentlich, darf man sich fragen, werden jeden Tag in den Nachrichten der Dax und andere Indizes gepriesen, sowie jene Konzerne, die ihn anführen? Viel besser wäre es, Firmen zu belobigen, die in den jeweils zurückliegenden Stunden besonders viele neue Arbeitsplätze geschaffen haben.

© SZ vom 17.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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