Deutsche Telekom an der Börse:15 Jahre Volksaktie - 15 Jahre Leiden

Nicht einmal Manfred Krugs Dauergrinsen half: Die T-Aktie der Telekom schaffte es bis in die Wohnzimmer der Deutschen - und stürzte dann ab. Der Konzern steht heute vor demselben Problem wie damals: Er sucht nach frischen Ideen.

Alexander Hagelüken, Andreas Jalsovec, Alexander Mühlauer und Stefan Weber

Eine Aktie so schrumpelig wie ein Luftballon, der vergessen in der Ecke des Kinderzimmers liegt. Zum Jubiläum reichte es für das Telekom-Papier am Freitag trotz eines Zugewinns nicht einmal für einen Kurs von zehn Euro. So ist das mit einem Wert-Papier, in das 1996 so viel Luft reingeblasen wurde, dass es gleich als Volksaktie für alle Deutschen taugen sollte: Wer damals beim Börsengang am Freitag vor genau 15 Jahren die Aktie orderte, verlor bis heute ein Drittel seines Geldes. Wer zum historischen Höchstkurs im Jahr 2000 kaufte, büßte gar 90 Prozent ein.

T-AKTIE AUF NEUEM REKORDTIEF

1996, ein Jahr voller Hoffnung: Deutsche Telekom-Vorstandsvorsitzender Ron Sommer vor der Anzeigentafel der Deutschen Börse in Frankfurt am Main, auf der der Ausgabepreis von 28,50 DM pro Stück für die Telekom-Aktie zu lesen ist.

(Foto: DPA)

Der Hype um die T-Aktie erinnert an eine Zeit, die nach Finanzkrise und mehreren Börsenkrächen lang vergangen erscheint. Damals kurz vor der Jahrtausendwende wurden Firmenchefs wie Popstars gefeiert. Die Welt der Nadelstreifen entfaltete etwas Verführerisches: Sie lockte die Klein- und Bausparer mit dem Versprechen, das schnelle Geld zu machen. Davon angesteckt kauften die Deutschen auf einmal Aktien. Die Papiere des Chipkonzerns Infineon oder der Medienfirma EM.TV waren auf einmal so begehrt wie Konzertkarten von Michael Jackson.

Und alles begann 1996 mit dem Börsengang der Telekom. Damals fing die Bundesregierung an, den ehemaligen staatlichen Telefonkonzern zu versilbern. Als Werbefigur wurde der beliebte Tatort-Kommissar Manfred Krug engagiert, der den Deutschen in zahlreichen Anzeigen und Fernsehspots den Weg an die Börse wies. Außerdem dauergrinste ein eloquenter Manager namens Ron Sommer in die Kameras, der damals seit kurzem Vorstandschef der Telekom war.

Börse im Wohnzimmer

Fast zwei Millionen Anleger kauften die Papiere, jeder Dritte investierte zum allerersten Mal in Aktien. "Das war die einzige Zeit in Deutschland, wo sich die Leute am Stammtisch über Aktien unterhalten haben", findet Rüdiger von Rosen, Chef des Deutschen Aktieninstituts. Die Börse kam auf einmal ins Wohnzimmer der Deutschen: Jeden Abend kurz vor der Tagesschau sahen sie im Fernsehen die Händler auf dem Parkett und die schwarze Anzeigetafel mit Kursgewinnen und -verlusten. Weil die Deutschen auf ganz viel Plus hofften, vergaßen sie ihre jahrzehntelange Skepsis gegenüber Aktien und kauften.

Die Bilder von damals wecken nicht die besten Erinnerungen. Viele, die im Rausch der vermeintlichen New Economy spekulierten, hatten am Ende ganz viel Minus auf dem Konto. Dazu trug neben unsoliden Internet-Werten auch die Telekom bei: Die Phantasien von schrankenlosen Gewinnen mit Telekommunikation erfüllten sich nicht. Und die Bundesregierung brachte im Aktienrausch Ende der Neunziger noch mal viele Papiere unter die Leute - zu hohen Preisen, die die Telekom-Aktie nach der Jahrtausendwende nie mehr erreichte.

Große Scheu nach dem Crash

Kein Wunder, dass es immer weniger Aktionäre gibt. Im Jahr 2000, auf dem Höhepunkt des Hypes, hatten rund 6,2 Millionen Aktionäre Einzelaktien von Unternehmen in ihrem Depot. Heute sind es gerade einmal noch 3,6 Millionen. Die Deutschen Privatanleger waren nach dem Crash scheu geworden. Und sie griffen nicht mehr zu, als die Kurse niedrig waren und Investments zu hohen Gewinnen geführt hätten. "Die Anleger haben viele Chancen liegen lassen in den letzten Jahren", meint von Rosen.

Manfred Krug beim Musikfestival 'Haendels Open'

Schauspieler und Sänger Manfred Krug warb erst für die T-Aktie - und entschuldigte sich knapp zehn Jahre später bei allen, die seiner Empfehlung gefolgt waren und enttäuscht wurden.

(Foto: ddp)

Damit platzten aber auch alle Hoffnungen, die mit dem Projekt Volksaktie verknüpft waren - etwa die Hoffnung, dass breite Schichten an den Gewinnen der Unternehmen teilhaben und nicht nur wenige Reiche, und dass der Kapitalismus so für alle zum Erfolgsmodell wird.

Volksaktie? Frank Rothauge ist skeptisch, wenn er diesen Begriff hört. Der Aktienstratege der Berenberg Bank beobachtet die Telekom seit dem Börsengang. "Der Begriff Volksaktie war sicher zu hoch gegriffen", meint er. Die Aktie habe es aber immerhin geschafft, noch heute das Dividendenpapier zu sein, das unter Privatanlegern am weitesten verbreitet ist. Trotz der langen Kursmisere. Wer damals das Papier kaufte und es bis heute hielt, "hat an der Aktie etwas verdient", meint Rothauge. Denn die Telekom zahlte über die Jahre immer wieder gute Dividenden.

Derzeit liegt die Dividendenrendite bei knapp acht Prozent. "Das müssen Sie mit einem anderen Investment erst einmal erzielen", meint Heike Pauls, Analystin bei der Commerzbank.

Papier ohne Phantasie

Die Frage ist, was dem schwachen Kurs der Aktie mehr Auftrieb geben könnte. Große Fortschritte konnte Vorstandschef René Obermann in den vergangenen Monaten nur auf einem Feld vorweisen: bei der Kostenkontrolle. Die Anleger warten vergeblich auf frische Ideen und technische Innovationen, mit denen die Telekom sich im Wettbewerb ein Alleinstellungsmerkmal erobern kann. In diesen Disziplinen herrscht bei Deutschlands größten Technologiekonzern seit langem Flaute.

Edward Kozel, viele Jahre Vorstand beim US-Netzwerkausrüster Cisco, sollte das ändern. Mit großen Vorschusslorbeeren hatte er im Mai 2010 als Technik- und Innovationsvorstand bei der Telekom angefangen. Obermann hatte ihn als "angesehenen Experten mit ausgewiesenem Know-how und hervorragenden Führungsqualitäten" begrüßt. Doch nun, erst eineinhalb Jahre später, ist offensichtlich Schluss: Kozel will den Konzern verlassen. Der Amerikaner habe den Aufsichtsrat gebeten, seinen bis 2015 laufenden Vertrag vorzeitig zu beenden, meldet das Handelsblatt.

Kozels Abgang zeige, "dass es offensichtlich sehr schwierig ist, in der Telekom neue Geschäftsfelder zu etablieren", meint Analyst Rothauge. Mehr denn je jedoch ist das Unternehmen auf neue Ideen angewiesen. Denn mit dem geplanten Rückzug aus den USA wird die Telekom ein europäischer Konzern. Das begrenzt die Wachstumsperspektiven. Schon die Erwartungen auf stark wachsende Geschäfte in Südosteuropa sind bisher nicht aufgegangen.

Ohne Innovationen bleibt die T-Aktie ein Papier ohne Phantasie. Wie ein schrumpliger Luftballon, aus dem heiße Luft entwichen ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: